Die Beziehung zwischen den USA und der Türkei ist auf einem Tiefpunkt. Dennoch funkt es zwischen Trump und Erdoğan, wie auch der Washington-Besuch zeigt.
Der Besuch in Washington endet für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit einer versöhnlichen Geste seines Amtskollegen. «Der Präsident und ich sind sehr gute Freunde», sagte Donald Trump vor Journalisten am Mittwochabend (MEZ). Und offenbar damit keine Zweifel aufkommen, fügte er noch an: «Wir sind seit langem befreundet – fast seit Tag 1».
Sind vollen Lobes füreinander: Präsident Erdogan und Donald Trump. Bild: AP
Als wenig später die offizielle Pressekonferenz in Washington begann, nutzte Erdoğan die Bühne aus, um zu erklären, warum der Einmarsch des türkischen Militärs in Nordsyrien gerecht sei. Und Trump? Der sprang ihm zur Seite und betonte, dass Europa die Türkei in Nordsyrien mehr unterstützen müsse – auch finanziell.
Viele wichtige Fragen, die derzeit die Welt und vor allem den US-Kongress bewegen, bleiben aber auch nach dem Treffen ungelöst. Wie wird es in Nordsyrien weitergehen? Werden die USA Erdoğans Plan unterstützen, Flüchtlinge aus der Türkei im Norden Syriens anzusiedeln? Wird die US-Regierung der türkischen Bitte nachkommen und ihre Zusammenarbeit mit der Kurdenmiliz YPG einstellen? Was passiert mit den Kurden?
Antworten blieben die Staatschefs schuldig. Doch für Erdoğan dürfte sich der Flug nach Washington dennoch gelohnt haben, denn jeder direkte Kontakt mit Donald Trump ist für den türkischen Präsidenten derzeit ein Gewinn. Paradoxerweise ist die Beziehung zwischen den USA und der Türkei zwar in einer tiefen Krise. Doch auf persönlicher Ebene kommen Erdoğan und Trump gemessen an den Umständen überraschend gut klar. Diese persönliche Verbindung zwischen den Staatschefs dürfte im Moment sogar der einzige Grund sein, weshalb es noch nicht zum totalen Bruch zwischen den Nato-Partnern gekommen ist.
Zwar hatte Trump in den vergangenen Monaten wirtschaftliche und politische Sanktionen gegen die Türkei nicht blockiert. Dass diese aber noch keine weitreichenden Folgen hatten, verdankt Erdoğan zu einem grossen Teil Trump.
Da ist etwa das F35-Programm, aus dem die Türkei erst im Sommer ausgeschlossen wurde. Türkische Rüstungsfirmen dürfen schon bald nicht mehr an der Produktion der neuen US-Kampfjets beteiligt werden. Die USA reagierten damit auf die umstrittene Entscheidung der Türkei, russische S400-Flugabwehrraketen zu kaufen. Viele Politiker in den USA glauben, dass der Kauf gegen US-Gesetze verstösst und die Türkei deshalb sogar direkt sanktioniert werden dürfe.
Daraufhin bahnte sich diesen Sommer eine Krise an, die Stimmung zwischen den Nato-Partnern wurde immer angespannter, viele Türken befürchteten, die türkische Lira werde einen weiteren Wertverlust erleiden. Die Krise entschärfte sich aber schlagartig, als Trump und Erdoğan sich auf dem G20-Gipfel im japanischen Osaka trafen. Sie zogen sich für ein Gespräch zurück. Danach zeigte Trump plötzlich Verständnis für Erdoğan.
Donald Trump gibt dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama die Schuld an der misslichen Lage – seine Regierung hatte keine Raketen an die Türkei verkaufen wollen. Bild: AP
Schuld an der misslichen Lage trage sein Vorgänger Barack Obama, verkündete Trump damals. Die Obama-Regierung habe keine US-Raketen an die Türkei verkaufen wollen und Erdoğan somit gezwungen, von Russland zu kaufen. Während der Pressekonferenz in Washington ging Trump nicht näher auf das brisante Thema ein. Stattdessen würgte er es ab, verwies nur darauf, dass die «S400-Sache in Arbeit» sei.
Auch hat sich der US-Präsident bisher nicht zu der Armenien-Resolution geäussert, die zum Ärgernis der türkischen Regierung vor wenigen Tagen im US-Repräsentantenhaus verabschiedet wurde; die Tötung von Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs gilt seitdem auch aus US-Sicht als Völkermord. Ein Bekenntnis von Trump zu der Resolution hätte Erdoğans Besuch enorm erschwert und den türkischen Präsidenten geschwächt. Doch Trump verzichtete.
Auch den umstrittenen Einmarsch der Türkei in Nordsyrien segnete der US-Präsident überraschend schnell nach einem Telefonat mit Erdoğan ab. In der Folge zog sich das US-Militär aus Nordsyrien weitgehend zurück, die Türkei begann ihren Krieg gegen die unterlegene Kurdenmiliz YPG. Trumps Entscheidung wurde als «Verrat» kritisiert, weil die Kurden mit Unterstützung der USA bis 2017 als Bodentruppen im Kampf gegen den «Islamischen Staat» in Syrien hergehalten hatten.
Als die weltweite Empörung über Trump hereinbrach, drohte der US-Präsident der Türkei zwar damit, die türkische Wirtschaft zu zerstören, sollte der Krieg zu unverhältnismässig vielen Toten führen. Gleichzeitig spielte er aber Erdoğan den Ball zu, etwa als er den türkischen Präsidenten einen «starken Anführer» und «Freund» nannte. Oder als er den Abzug der US-Truppen aus Syrien mit einem absurden historischen Vergleich verteidigte: Die Kurden hätten ja nicht mit den USA in der Normandie gekämpft. In einem anderen Statement sagte Trump, die Kurden seien «keine Engel».
Vor der Presse in Washington verkündete Trump stolz, das Handelsvolumen mit der Türkei von 20 auf 100 Milliarden US-Dollar anheben zu wollen. Da der US-Präsident trotz internationaler Kritik seinen türkischen Amtskollegen noch oft verteidigt, bezeichneten US-Medien ihre Beziehung zuletzt als «bromance». Der bisher relativ wohlwollende Umgang mit Erdoğan dürfte für Trump vor allem zwei Gründe haben.
Zum einen hat sich das Gleichgewicht seit der türkischen Militäroffensive im Nahen Osten erneut verschoben. Trump – und inzwischen auch seine Berater – dürften kein Interesse daran haben, mit der Türkei auch noch den letzten verbliebenen Partner in der Region zu verlieren. Vor allem nicht, nachdem Bashar Assads Armee dank eines Pakts mit der vertriebenen Kurdenmiliz YPG grosse Teile des Nordens zurückerobert hat.
Zudem könnte mit einer zunehmenden Krise zwischen der Türkei und den USA auch ein militärischer Nachteil für die US-Regierung entstehen. Die USA benutzen den türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik nach wie vor. Das US-Militär soll auch Atomwaffen in der Türkei lagern.
Zum anderen wird auch Trumps Regierung nicht wollen, dass der Einfluss Russlands in der Welt wächst. Genau das würde eine engere Zusammenarbeit zwischen Wladimir Putin und Erdoğan aber bedeuten. Die beiden Länder kooperieren bereits so gut wie lange nicht mehr. Russische Touristen reisen in die Türkei zum Sommerurlaub und das türkische Atomkraftwerk Akkuyu wird von Russland gebaut.
Die Türkei und Russland rücken näher zusammen. Bild: AP
Bei einem Besuch Ende August in Russland liessen sich Putin und Erdoğan beim Eisessen fotografieren. Auch schauten sich beide Staatspräsidenten neue russische Kampfjets des Typs SU-57 an. Vor laufenden Kameras fragte Erdoğan seinen russischen Amtskollegen: «Also kaufen wir eine von diesen?» Putin antwortete: «Die können Sie haben». Dann lachten sie.
Die Gefahr vor einer weiteren internationalen Isolation und wirtschaftlichen Einbrüchen ist für die Türkei noch lange nicht vorbei, daran hat auch der Besuch in Washington nichts verändert. Denn im Hintergrund bahnen sich bedrohliche Sanktionen an. Das US-Justizministerium hat Anklage gegen die halbstaatliche türkische Halkbank wegen Umgehung der Iran-Sanktionen erhoben. Und der US-Kongress drängt weiterhin darauf, die Türkei für den Kauf des russischen S400-Raketensystems zu bestrafen.
Ob Erdoğan den Moment mit Trump hinter den Kulissen ausnutzen konnte, um ihn etwa mit Zugeständnissen davon abzuhalten, Sanktionen einzuleiten, wird sich vermutlich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Klar ist aber, dass die US-Regierung ein Interesse daran haben wird, die Türkei als Partner nicht zu verlieren. Und das weiss Erdoğan.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.