Kyriakos Mitsotakis am Abend des Wahlsonntag. Bild: EPA
Mit Kyriakos Mitsotakis kehrt eine alte Dynastie zurück an die Macht in Griechenland. Seine Agenda reicht nicht aus, um zu verstehen, wie es zu diesem Erfolg kam.
Das Intermezzo ist beendet. Vier Jahre lang wurde Griechenland von dem politischen Newcomer Alexis Tsipras und seiner linken Syrizapartei regiert, aber dieser historische Ausnahmezustand ist nun vorüber. Die Wahl am Sonntag hat klar der Herausforderer und bisherige Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis gewonnen. Sehr wahrscheinlich bringt ihm sein Triumph sogar eine absolute Mehrheit im Parlament. Das führt die griechische Politik zurück auf Null, und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Der Vorsitzende der konservativen Nea Demokratia wird damit zum ersten Mal seit Beginn der Schuldenkrise mit einer Partei allein eine Regierung bilden können. Seit am 11.11.2011, einem Datum mit geradezu aberwitziger Symbolik, in Griechenland eine Phase der Übergangs-, Technokraten-, linksrechts und Grosskoalitionen begann, kehrt nun eine der beiden ehemaligen Staatsparteien ganz allein zurück an die Macht. Mit ihr übernimmt auch eine Familie wieder das Amt des Premierministers, die ein Jahrhundert lang die Politik des Landes mitbestimmt hat.
Die Geschichte des neu gewählten Ministerpräsidenten beginnt auf der Insel Kreta, von der seine Familie stammt – unter Anderem sein legendärer Grossonkel Eleftherios Venizelos, der vor rund 100 Jahren dasselbe Amt im Staate innehatte. Er modernisierte Griechenland und begründete eine weit verzweigte politische Dynastie.
Neben Venizelos war die prominenteste Figur in dieser Linie lange Konstantinos Mitsotakis, in den 1990er Jahren Premierminister und Vater von Kyriakos Mitsotakis. Dessen Schwester Dora Bakogianni, geborene Mitsotaki, war lange die mächtigste Frau Griechenlands, zunächst als erste weibliche Bürgermeisterin Athens und später als Aussenministerin des Landes.
In den Jahren der Krise und schliesslich mit der Machtübernahme von Alexis Tsipras war man in Griechenland eigentlich davon ausgegangen, dass die Zeit der politischen Dynastien vorbei sei. Im Wesentlichen hatten sich drei Familien seit dem Ende der Militärdiktatur 1974 die Macht untereinander aufgeteilt: auf der linken Seite Papandreou, auf der rechten Karamanlis und eben Mitsotakis. Die Menschen in Griechenland waren dieser Familien damals überdrüssig. Sie erklärten sie verantwortlich für die jahrelange Misswirtschaft und Klientelpolitik, die in der grössten Schuldenkrise seit dem Zweiten Weltkrieg mündete.
Was aber hat die Wählerinnen und Wähler nun so umgestimmt? Womöglich reichten vier Tsipras-Jahre aus, um das politische Gedächtnis des Landes vollkommen einzutrüben. Den grössten Frust hat er auf sich gezogen, indem er sein wichtigstes Wahlversprechen konterkarierte. Tsipras war angetreten, das Land mit einem Schlag von den Sparprogrammen der internationalen Gläubiger zu befreien, doch geschehen ist das Gegenteil. Die Regierung hat ein weiteres Programm durchgezogen und es so beflissen umgesetzt, dass Griechenland jetzt weitgehend eigenständig wirtschaften und sich am Kapitalmarkt selbst finanzieren kann. Die positiven Effekte des Wirtschaftswachstums sind in der Bevölkerung aber bisher nur wenig spürbar, die Einschnitte aus zehn Jahren Krise dafür umso mehr.
Unbeliebt gemacht hat sich Tsipras erst recht bei weiten Teilen Bevölkerung mit der Einigung, die er nach einem jahrzehntelangen Namensstreit mit Griechenlands Nachbarland im Norden erzielte. Mazedonien heisst jetzt offiziell Nordmazedonien, was für viele Griechinnen und Griechen ein Affront ist, weil sie den Namen für die historische Landschaft im südlichen Balkanraum für sich beanspruchen.
Die Gründe für Tsipras' Niederlage sind schnell gefunden, nicht aber die für den Sieg seines Herausforderers. Sicherlich hat Kyriakos Mitsotakis vielen Menschen eine Antwort gegeben auf ihre drängenden Fragen. Er hat Investitionen in das staatliche Bildungssystem versprochen, eine deutliche Anhebung des Mindestlohns und Steuersenkungen. Wie er dieses Programm finanzieren will, muss er allerdings noch erklären.
Seine Agenda jedoch reicht nicht aus, um zu verstehen, wie es zu diesem Erfolg kam. Mitsotakis hat seinen Aufstieg innerhalb der Partei dem ungebrochenen Beziehungsgeflecht und familiären Banden zu verdanken, die selbst während der Krise der Nea Dimkratia erhalten blieben – anders übrigens als in der sozialistischen Pasok, der anderen ehemaligen Volkspartei Griechenlands, die nur noch eine Schattenexistenz führt. Grosse Teile ihrer Anhängerschaft hat Tsipras erfolgreich mit seiner Syriza-Bewegung absorbiert.
Die Konservativen hingegen hatten in den vergangenen zehn Jahren das Glück, dass ihnen auf der rechten Seite keine ernste Konkurrenz erwuchs, wie es in vielen anderen Ländern Europas passierte. Rechts der Nea Dimokratia erstarkte zwar in den ersten Jahren der Krise die Goldene Morgenröte. Sie legte anfangs mit einem nationalistischen Programm deutlich zu, offenbarte dann aber ihr wahres Wesen als rechtsextremistische Partei. Den Wendepunkt brachte der Mord eines Parteimitglieds an einem linksgerichteten Musiker in Athen. Das schreckte die Wähler aus der Mittelschicht ab, sie wendeten sich den verbliebenen konservativen Kräften des Landes zu.
Die Nea Dimokratia nutzte seit 2015 die Zeit in der Opposition, um sich neu aufzustellen, indem sie auf ihr bewährtes Personal zurückgriff. Mitsotakis konnte sich für seine Wahl zum Vorsitzenden auf ein breites Netz an Unterstützerinnen und Unterstützern in der Partei verlassen, das seine Familie über die Jahrzehnte durch Gefälligkeiten aufgebaut hatte.
Für politische Neulinge in Griechenland ist es extrem schwierig, in diese Kreise vorzudringen, gerade im konservativen Spektrum. Noch immer speist sich der Nachwuchs hierfür häufig aus den wohlhabenden Vororten Athens. Auch Mitsotakis hat dort das Amerikanische Kolleg besucht, eine englischsprachige Privatschule, in der wichtige Freundschaften fürs Leben geschlossen werden. Wie viele seiner Mitschülerinnen und Mitschüler studierte er anschliessend im Ausland, ging an die Harvard Universität in den USA und arbeitete eine Zeit lang in der Finanzbranche, erst in London, dann in Athen.
Nach seiner Wahl zum Parteichef hat es Mitsotakis vor allem vermieden, Fehler zu begehen. Er wusste, dass es Tsipras angesichts seiner Lage schwer haben würde bei der Abstimmung. Also hielt sich Mitsotakis zurück, verzichtete auf Angriffe und Provokationen, gab sich als jugendlicher Veränderer mit einem Gespür für die sozialen Nöte der Menschen. Ohne zu sehr auf seine eigene Historie und die seiner Partei zu verweisen.
Mehr hat es nicht gebraucht, um diesen zu Sieg erringen. Es geschah ohne grosses Aufsehen – als würden sich die Menschen in Griechenland ihrer Vorsehung fügen.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.