In der Watergate-Affäre schien Präsident Richard Nixon lange auf der sicheren Seite zu sein. Die Republikaner standen geschlossen hinter ihm, die Demokraten konnten ihn nicht aus eigener Kraft aus dem Weissen Haus vertreiben.
Da wurde die Sache mit den Tonbändern ruchbar. Nixon verlor den Rückhalt der Grand Old Party (GOP) – und plötzlich ging alles sehr schnell. Der Präsident trat zurück, nachdem ihm sein Vize Gerald Ford eine vollumfängliche Begnadigung zugesichert hatte.
Mit einer Begnadigung durch Mike Pence kann Donald Trump kaum rechnen. Zu viel Geschirr ist zwischen den beiden zerschlagen worden. Weil er die Wahl Joe Bidens anerkannt hatte, soll Trump gemäss «New York Times» seinen Vize übel beschimpft haben. Er könne «entweder als Held oder als Feigling in die Geschichte eingehen», soll er Pence ins Gesicht geschleudert haben.
Obwohl später der Mob das Kapitol stürmte und mit Sprechchören drohte, Pence hängen zu wollen, hat sich Trump kein einziges Mal nach dessen Befinden erkundigt. Die Freundschaft der beiden ist unwiderruflich zerbrochen.
Trotzdem hat Pence sich geweigert, einer Aufforderung des Repräsentantenhauses nachzukommen. Mit 223 gegen 205 hatte die grosse Kammer vom Vizepräsidenten verlangt, den 25. Verfassungszusatz anzurufen und Trump wegen Unfähigkeit, die Amtsgeschäfte weiterzuführen, aus dem Weissen Haus zu vertreiben.
Diese Weigerung ist kein Beweis für Loyalität gegenüber Trump. Mike Pence will selbst einmal Präsident werden und fürchtet, die republikanische Basis zu verlieren, wenn er sich offen gegen den (Noch-)Amtsinhaber stellt.
Dabei könnten die präsidialen Träume von Mike Pence innert Kürze Tatsache werden. Und das sind die Gründe:
Die Situation von Donald Trump hat sich in den letzten Tagen dramatisch verschlechtert. Liz Cheney, die Tochter des ehemaligen Vizes Dick Cheney und Nummer 3 in der GOP, fordert nun ebenfalls, dass Trump impeached und verurteilt wird.
«Der Präsident […] hat einen Mob versammelt und die Lunte für einen Angriff gezündet», so Cheney. «Noch niemals hat es einen grösseren Verrat eines US-Präsidenten im Amt gegeben.»
Cheney hat damit zumindest einen kleinen Dammbruch innerhalb der GOP ausgelöst. Während des Ukraine-Impeachments hat kein einziger republikanischer Abgeordneter gegen Trump gestimmt. Jetzt haben sich bereits mehrere offen dafür ausgesprochen. Ein Impeachment – die Klage gewissermassen – ist daher so gut wie sicher.
Auch eine Verurteilung ist in den Bereich des Möglichen gerückt. Im Senat hat die Stimmung ebenfalls umgeschlagen. Noch-Mehrheitsführer Mitch McConnell hat gegenüber der «New York Times» durchblicken lassen, dass ihm ein Schuldspruch durchaus gelegen käme.
McConnell hat offensichtlich die Nase voll. Zuerst hat ihm Trump die Wahlen in Georgia vermasselt und ihn damit seines Postens als Mehrheitsführer des Senats beraubt. Nun hat er für die GOP einen eigentlichen GAU verursacht. Zudem hat McConnell nichts mehr zu verlieren. Er ist soeben für seine wohl letzte Amtszeit wiedergewählt worden.
Wenn McConnell will, kann auch der Senat rasch handeln. Er muss sich einzig mit seinem Nachfolger, dem Demokraten Chuck Schumer, absprechen und die Senatoren nach Washington rufen, auch wenn derzeit keine Session ist. Da täglich offensichtlicher wird, wie übel der Trump-Mob gewütet hat, ist selbst eine Zweidrittels-Mehrheit im Senat – und damit eine Verurteilung Trumps – denkbar geworden.
Eine solche Verurteilung wäre für Trump mehr als eine persönliche Schmach. Sie hätte für ihn weitreichende Folgen. Er könnte sich nicht nur nie mehr in ein öffentliches Amt wählen lassen, er würde auch sämtliche Privilegien verlieren, die einem Ex-US-Präsidenten zustehen.
Das ist mehr als lebenslangen Schutz und die Möglichkeit, auf Kosten des Steuerzahlers zu fliegen. Es würde auch den Verlust der Pension bedeuten – und die kann Trump vielleicht bald gut gebrauchen.
Nicht nur seine politische, auch seine wirtschaftliche Situation hat sich in den letzten Tagen dramatisch verändert. Seine Hausbanken wollen nichts mehr von Trump wissen, auch die Deutsche Bank nicht. Seine Hotels und Golfresorts leiden unter der Coronakrise, und was Trump besonders schmerzt: Die PGA, der amerikanische Golfverband, wird seine Meisterschaft nicht auf Trumps Prestige-Golfclub Bedminster durchführen. Ebenso wird das British Open nicht in Turnberry, Trumps Golfclub in Schottland, stattfinden.
Auch wenn eine Begnadigung kaum wahrscheinlich ist, ist es denkbar geworden, dass Trump zurücktritt. So könnte er wenigstens den Schaden teilweise begrenzen. Dieser Schaden ist gewaltig. Sollte Trump wegen Aufruhr angeklagt werden – und das ist eine realistische Option – drohen ihm im schlimmsten Fall 20 Jahre Zuchthaus.
Der Schaden, den er innerhalb der Republikaner angerichtet hat, ist irreversibel. Eine Spaltung der GOP ist mehr als ein akademisches Gedankenspiel geworden. Zu gross ist die Differenz zwischen den noblen Country-Club-Republikanern und dem Maga-Mob geworden. So stellt der konservative «New York Times»-Kolumnist Ross Douthat fest:
Pence ist es wichtiger, 47. Präsident zu werden und nicht 46... Es eilt ihm also sicher nicht mit dem Impeachment. Viel lieber lässt er die Demokraten erst mal die Macht übernehmen und das Impeachment austragen.
Auf das Impeachment hoffen ist feige. Aber der Heuchler will sich natürlich nicht selber die Finger verbrennen sondern falls er doch noch Präsi werden soll, die Schuld anderen zuschreiben.