Der von der Grand Old Party (GOP) dominierte Senat beginnt nun mit dem Hearing mit Amy Coney Barrett, der von Donald Trump vorgeschlagenen Kandidatin für den Supreme Court. Die Republikaner sind wild entschlossen, die erzkonservative Nachfolgerin der liberalen Ruth Bader Ginsburg noch vor den Wahlen über die Bühne zu bringen.
Auch der Präsident setzt alle Hebel in Bewegung, um dies zu ermöglichen. Gleichzeitig nutzt er jede sich bietende Gelegenheit, um gegen die briefliche Abstimmung zu polemisieren und vor «dem grössten Wahlbetrug in der Geschichte der Vereinigten Staaten» zu warnen. Warum stellt ausgerechnet der Präsident die Legitimation der ältesten Demokratie der Welt in Frage?
Das angesehene Magazin «The Atlantic» hat dazu kürzlich eine beängstigende These veröffentlicht. Kurz zusammengefasst besagt sie Folgendes:
Trump und die GOP haben erkannt, dass sie die Wahlen am 3. November verlieren werden. Deshalb wollen sie zu einem perfiden Trick greifen. Sie stellen wegen angeblichem Wahlbetrug die Ergebnisse in den umkämpften Swingstates wie Pennsylvania in Frage.
Danach schicken sie nicht – wie bisher üblich – die durch das Stimmvolk bestimmten Wahlmänner zur Wahl des Präsidenten nach Washington. Stattdessen ernennen sie eigene Wahlmänner, die vermeintlich den unverfälschten Willen des Stimmvolkes repräsentieren. Diese werden dann die Wiederwahl Trumps sichern.
Damit dieser Trick auch eine Schein-Legalität erhält, muss er vom Supreme Court abgesegnet werden. Dank der neuen konservativen 6 : 3 Mehrheit ist dies mehr oder weniger gesichert.
Robert Kagan ist ein bekannter konservativer Historiker und Politberater. Er ist jedoch kein Freund von Trump. In seiner Kolumne in der «Washington Post» schilderte er kürzlich, was passieren würde, sollte Trump sein Ziel erreichen:
Dass Trump das Weisse Haus niemals kampflos verlassen werde, ist eine These, die von so verschiedenen Leuten wie dem Comedian Bill Maher und dem ehemaligen Trump-Anwalt Michael Cohen vertreten wird. Nicht nur Kagan, auch andere prominente Historiker wie Timothy Snyder oder Ann Applebaum warnen zudem vor einem «Staatsstreich in Zeitlupe», den Trump durchführen will.
Seine Chancen, mit legalen Mitteln an der Macht zu bleiben, haben sich in der vergangenen Woche erneut verschlechtert. Die Krawall-Debatte mit Joe Biden und seine Erkrankung mit Covid-19 haben Spuren in den Meinungsumfragen hinterlassen. So sieht die jüngste Umfrage von «Washington Post»/«ABC News» Joe Biden mit zwölf Prozentpunkten vorne – ein Vorsprung, der normalerweise als nicht mehr aufzuholen gilt.
Trumps Auftritt auf dem Balkon des Weissen Hauses erinnerte stark an den italienischen Diktator Benito Mussolini. Das hat die Gemüter ebenfalls nicht wirklich beruhigt, auch die Tatsache nicht, dass der Präsident sich sehr schwer damit tut, sich von rechtsradikalen Milizen zu distanzieren. Seit das FBI den Plan einer solchen Miliz vereitelt hat, die Gouverneurin des Bundesstaates Michigan zu entführen und zu ermorden, geht gar die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg um.
Allerdings gibt es auch die Gegenthese zu Staatsstreich und Bürgerkrieg. Einer, der nicht daran glaubt, ist Ross Douthat, Kolumnist in der «New York Times». Auch er traut zwar Trump alles Schlechte zu, doch er zweifelt an dessen Möglichkeiten, seine Pläne auch umzusetzen. Douthat stellt fest:
Douthat stellt mehr oder weniger unverblümt fest, dass Trump zu blöd für einen Staatsstreich sei und dass die Rahmenbedingungen in den USA auch keinen solchen Staatsstreich zulassen werden – auch keinen in Zeitlupe. Deshalb glaubt Douthat auch, dass Trumps Amtszeit letztlich paradoxerweise dem linksliberalen Amerika genützt hat. Er schreibt:
Seit vielen Jahren bescheissen die wo es nur geht und versuchen diejenigen am Wählen zu hindern, die eher Demokraten wählen würden. Wahllokale in ärmeren Gegenden schliessen, exzessives Gerrymandering, Briefwahl erschweren, Menschen aus Wählerlisten streichen und es möglichst schwer machen sich für die Wahlen zu registrieren usw. Die Republikaner denken nicht nur in Trumps nächsten 4 Jahren, dass soll noch sehr viel länger so weitergehen. Trump ist der nützliche Idiot.