Für die Amerikanerinnen und Amerikaner muss es ein völlig neues Lebensgefühl sein: Seit Tagen kein Trump mehr am TV-Bildschirm. Nicht einmal auf seinem Haussender Fox News meldet er sich zu Wort. Nichts, nada, nista. Stattdessen beglückt der Präsident die Nation mit einem Twitter-Gewitter. So tweetete er gestern absurderweise: «WE WILL WIN».
Was hat dies zu bedeuten? Ist Trump zum Grossvater geworden, der wirr vor sich hin labert, den aber keiner mehr ernst nimmt?
Mag sein. Die harmlose Tattergreis-Idylle hat jedoch einen bösartigen Zwilling. In diesem Szenario wird Trump in den letzten Tagen seiner Amtszeit zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit. So sieht es zumindest eine der angesehensten Zeitungen des Landes, die «Washington Post». Sie befürchtet, der scheidende Präsident könnte versucht sein, Staatsgeheimnisse zu verraten und schreibt:
Tatsächlich ist hinlänglich bekannt, dass Trump mehr als fahrlässig mit geheimen Informationen umgeht. So hat er schon kurz nach Amtsantritt dem russischen Aussenminister anlässlich eines Treffens im Oval Office streng geheime Informationen verraten und dabei einen wichtigen Informanten in Gefahr gebracht.
Im August 2019 tweete Trump streng geheime Fotos von iranischen Raketenstellungen. Ebenso prahlte er kürzlich zum Entsetzen der Geheimdienste damit, dass die USA über neue Superwaffen verfügten. Oder er verlangte vom CIA, geheime Dokumente zu veröffentlichen, um den angeblichen «Russland-Witz» zu entlarven.
Trump liest keine langen Berichte seiner Geheimdienste. Deshalb wird sein nachlässiger Umgang mit Staatsgeheimnissen damit begründet, dass er es ohne Absicht tut. Andere glauben, dass er sich damit aufspielen will. Es kursiert indes auch die These, wonach Trump sein geheimes Wissen versilbern könnte.
«Menschen mit hohen Schulden bereiten uns immer Kopfschmerzen», sagt etwa der CIA-Veteran Larry Pfeiffer. «Die menschliche Psyche ist schwach. Verschuldete Menschen treffen schlechte Entscheidungen. Viele Individuen, die spioniert haben, taten dies, weil sie finanziell angeschlagen waren.»
Ob Rache, Prahlsucht oder Geldgier: Trump hält die Geheimdienste auf Trab. Die Angst wird durch seine Personalpolitik zusätzlich geschürt. Er hat nicht nur Verteidigungsminister Mark Esper entlassen. Gerüchteweise will er auch FBI-Chef Christopher Wray und CIA-Chefin Gina Haspel in die Wüste schicken. Beide haben sich seinen Wünschen widersetzt.
Auch auf den unteren Chargen greift der Präsident durch. So hat er beim NSA einen gewissen Michael Ellis als General Counsel eingesetzt. Ellis war zuvor im Stab von Devine Nunes tätig, einem Trump sklavisch ergebenen Abgeordneten. Es wird befürchtet, dass Ellis zusammen mit John Ratcliff, dem von Trump ebenfalls kürzlich eingesetzten National-Intelligence-Direktor, dazu missbraucht werden könnte, geheimes Material zugunsten von Trump zu veröffentlichen.
Solange Trump im Amt ist, verfügt er über die gewaltige Macht eines Commander in Chief. Politisch hingegen schwimmen ihm die Felle davon. Seine Klagen wegen angeblichen Wahlbetrugs werden immer lächerlicher. So hat ein vermeintlicher Whistleblower bei der «Post» soeben gestanden, dass er seine Anschuldigungen frei erfunden habe.
Obwohl Trump drei Bundesrichter ernennen konnte, lässt ihn auch der Supreme Court im Stich. Die neun Richter haben die Klage gegen Obamacare abgeschmettert, sehr zum Ärger des Präsidenten. Offenbar stellen sich auch die konservativen Richter auf eine Biden-Regierung ein und wollen es sich nicht mit ihr verscherzen, bevor sie im Amt ist.
Hinter vorgehaltener Hand gestehen die Republikaner ein, dass die Wahl verloren ist. Um die Senats-Nachwahlen am 5. Januar in Georgia nicht zu gefährden, hat die Rennleitung der Grand Old Party offenbar beschlossen, Trump bis dahin in seiner Phantasiewelt zu lassen. Danach soll er dann schonend aus dem Weissen Haus bugsiert werden.
Dass es da kein Gremium gibt welches solche Entscheide absegnen oder prüfen muss, finde ich irgendwie suspekt.