Charles M Blow, schwarzer Kolumnist bei der «New York Times», verfolgt den Prozess um den Tod von George Floyd (45), der heute beginnt. Zuvor jedoch besuchte er den Platz in Minneapolis, an dem Floyd gestorben ist. Nicht von ungefähr nähert er sich diesem Platz mit einer ängstlichen Erregung und bezeichnet ihn als «einen heiligen Ort».
Der Tod von George Floyd (46) am 25. Mai 2020 ist zu einem mächtigen Symbol in der amerikanischen Gesellschaft geworden. Was könnte den systemischen Rassismus in den USA klarer auf den Punkt bringen als ein weisser Polizist, der mehr als neun qualvolle Minuten lang auf dem Nacken eines gefesselten, am Boden liegenden schwarzen Mannes kniet, welcher «ich kann nicht atmen» röchelt, bevor er qualvoll stirbt?
Obwohl es kaum auszuhalten ist, ist das Video dieser schrecklichen Tat millionenfach angeklickt worden. Der Fall scheint so glasklar zu sein, dass sich jede Diskussion darüber erübrigt. Trotzdem plädiert Eric Nelson, der Verteidiger des angeklagten Polizisten Derek Chauvin (45) auf Freispruch und bezeichnet seinen Mandaten als unschuldig. Wie ist das möglich?
Chauvin sei ein mehrfach ausgezeichneter, gewissenhafter Polizist, der seit 19 Jahren seinen Dienst geleistet habe und sich bei der Verhaftung von Floyd strikt an das vorgeschriebene Prozedere gehalten habe, so die Begründung des Freispruchs durch den Verteidiger. Vor allem jedoch verweist Nelson auf die Tatsache, dass bei der Autopsie des Körpers von Flyod Spuren des Rauschgifts Fentanyl und des Aufputschmittels Amphetamin gefunden wurden. Floyd sei gar nicht erstickt, sondern an diesen Stoffen gestorben, so der Verteidiger.
Diese Aussage steht jedoch auf wackligen Füssen. Der Gerichtsmediziner hat in seinem Gutachten Floyds Tod ausdrücklich als «Mord» bezeichnet, will heissen, als Folge der Handlungen eines anderen.
Der Verteidiger pocht darauf, dass Rasse beim Handeln von Chauvin keine Rolle gespielt habe. Bei der Auswahl der Mitglieder der Jury hat er stets betont, dass es sich nicht um «ein soziales Problem» handle. Der angeklagte Polizist selbst schweigt seit seiner Verhaftung. Ihm droht im Falle eines Schuldspruchs eine Gefängnisstrafe in der Höhe von bis zu 40 Jahren.
Die Anklage gegen Chauvin wird von Neal Katyal angeführt, einem erfahrenen, landesweit bekannten ehemaligen Bundesstaatsanwalt. Den Polizisten des Mordes zu überführen, wird jedoch knifflig werden, denn der Angeklagte muss nicht beweisen, dass er Floyd nicht getötet hat. Er muss bei der Jury nur ein vernünftiges Mass an Zweifel streuen, und dazu könnten die Rauschgiftspuren in Floyds Körper reichen.
Allerdings ist auch ein Freispruch Chauvins schwer vorstellbar. Die Bilder des Videos sind so mächtig, dass sich die Juroren ihnen nicht werden entziehen können. Ein Freispruch hätte nicht absehbare politische Folgen.
Floyds gewaltsamer Tod hat bereits im letzten Sommer Krawalle in vielen Städten der USA ausgelöst und der Black-Lives-Matter-Bewegung mächtig Schub verliehen.
Er ist zudem kein Einzelfall. In jüngster Zeit sind mehrere Schwarze durch Polizeigewalt getötet worden. Der bekannteste Fall betrifft Breonna Taylor, eine junge Frau, die in Louisville (Kentucky) in ihrer eigenen Wohnung ohne Vorwarnung erschossen wurde. Der Freispruch der daran beteiligten Polizisten hat zu schweren Krawallen geführt.
Die amerikanische Gesellschaft befindet sich an einer historischen Weggabelung. Einerseits kämpft eine vorwiegend weisse, konservative Klasse um ihre Vormachtstellung. Sie schart sich um die Republikaner und Donald Trump und ist notfalls bereit, die Demokratie für ihre Macht zu opfern.
Wie der Sturm auf das Kapitol gezeigt hat, sind diese Menschen auch bereit, Gewalt einzusetzen. Und wie die jüngsten Gesetze im Bundesstaat Georgia zeigen, sind sie zudem bereit, die Schwarzen mit allen Mitteln am Ausüben ihrer demokratischen Rechte zu behindern.
Andererseits sind die Demokraten entschlossen, die Tradition des New Deals der 30er-Jahre und der Great Society der 60er-Jahre wieder aufzunehmen und die USA in einen multikulturellen Sozialstaat zu verwandeln. Niemand hätte noch vor Jahresfrist Joe Biden zugetraut, dass er ein Gesetz wie das Corona-Hilfspaket und das geplante Infrastrukturprogramm vorschlägt, geschweige denn durch den Kongress peitscht.
Der George-Floyd-Prozess platzt mitten in diese historische Auseinandersetzung. Er könnte auch den Ausgang mitbestimmen. Das ahnt auch Charles Blow. Er schreibt: «Auch lange nachdem dieser Prozess vorüber sein wird und keine Menschen mehr nach Minneapolis pilgern werden, wird dieser Platz die Erinnerung wachhalten und den Namen flüstern: George Floyd.»
Lieber Herr Löpfe, das ist die Aufgabe des Verteidigers. Deshalb ist er Anwalt und übernimmt die Verteidigung. So einfach ist das.
Ich hoffe sehr, dass der Polizist verurteilt werden kann. Es wäre sehr bitter, wenn dies nicht möglich wäre, weil Zweifel gestreut werden könnten. Trotzdem muss ein Rechtsstaat ein Rechtsstaat bleiben. Es wäre gut, wenn Journalisten von Ihrem Ruf dies auch so sehen würden.
spuren?
Dr. Andrew Baker (Hennepin County Medical Examiner): "Floyd had 11 ng/mL of fentanyl in his system. ...If he were found dead at home alone and no other apparent causes, this could be acceptable to call an OD. ...Deaths have been certified with levels of 3, ...That is a fatal level of fentanyl under normal circumstances."
Ich verstehe nicht, wie man den Prozess so früh ansetzen konnte...