Bei einem ungewöhnlich heftigen Angriff der Taliban auf eine Militärbasis in der afghanischen Nordprovinz Balch sind mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden. Das sagte der Vorsitzende des Provinzrates, Mohammed Ibrahim Chair Andesch, am Samstag.
Es handle sich um den bislang folgenschwersten Angriff auf einen Militärstützpunkt in dem Land, sagten mehrere Regierungsvertreter. Die Zahl der Toten könne noch steigen. Die Taliban sprachen sogar von mehr als 500 Toten und Verwundeten. Balch gehörte lange zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans.
Der Angriff am Freitag galt einem Armeestützpunkt nahe der Provinzhauptstadt Masar-i-Scharif. Am dortigen Flughafen betreibt die deutsche Bundeswehr ein grosses Feldlager am Fusse des Hindukusch, das aber nicht betroffen war. Im November war das deutsche Konsulat in Masar-i-Scharif angegriffen worden.
Einem afghanischen Militärvertreter zufolge trugen die Taliban-Kämpfer Uniformen der afghanischen Streitkräfte und fuhren mit Militärfahrzeugen sowie gefälschten Papieren vor. Zu Beginn ihres Angriffs hätten sie zunächst am Eingangstor eine Rakete gezündet. Zwei der Angreifer sprengten sich bei dem Angriff in die Luft.
Zehn Taliban-Kämpfer erschossen dann Soldaten und Offiziere während des Freitagsgebets in einer Moschee auf dem Stützpunkt. Anschliessend griffen sie die Kantine an. Erst nach stundenlangen Feuergefechten eroberte die Armee die Kontrolle über ihren Stützpunkt zurück. Dem afghanischen Verteidigungsministerium zufolge wurden alle Angreifer getötet.
Die Taliban erklärten, vier ihrer Kämpfer hätten früher als Soldaten auf dem Militärstützpunkt gedient und daher gute Ortskenntnisse gehabt. Dazu veröffentlichten sie angebliche Bilder der Angreifer in Kampfmontur und mit verwischten Gesichtern. Die Angaben liessen sich nicht umgehend überprüfen.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bekundete der afghanischen Regierung ihr Mitgefühl. «Mit grossem Entsetzen habe ich die Nachricht über den hinterlistigen, brutalen Angriff der Taliban auf eine Kaserne Ihrer Streitkräfte im Norden Afghanistans aufgenommen», schrieb Merkel an den afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani. «Mein Mitgefühl gilt den vielen Verletzten und den Angehörigen der zahlreichen Opfer.»
Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich rapide verschlechtert, seit die NATO ihren Kampfeinsatz Ende 2014 offiziell beendet und die meisten Truppen abgezogen hat. Der Kampfeinsatz wurde von einem Ausbildungseinsatz abgelöst. Die einheimischen Sicherheitskräfte erleiden im Kampf gegen die Taliban seit Monaten schwere Verluste. US-Generäle warben jüngst um mehr Truppen.
Es war der zweite Angriff von Islamisten auf Sicherheitszonen binnen weniger Wochen. Anfang März hatten Kämpfer der auch in Afghanistan aktiven Terrormiliz «Islamischer Staat» bei einem Angriff auf ein Militärhospital in Kabul 49 Menschen getötet und 76 verwundet. Weil sich in Afghanistan der Konflikt zwischen Regierung und Taliban verschärft, sind auch Abschiebungen in das Land politisch umstritten. (wst/sda/dpa/reu/afp)