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Maske, Hausarrest oder doch Medikamente: Was hilft wirklich gegen Heuschnupfen?

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Bild: Gallo Images

Maske, Hausarrest oder doch Medikamente: Was hilft wirklich gegen Heuschnupfen?

Sollten Allergiker versuchen, Pollen ganz zu meiden? Welche Medikamente helfen gegen Niesen und Augenjucken? Allergologe Jörg Kleine-Tebbe erklärt, welche Antihistaminika nicht müde machen und warum viel öfter Kortison eingesetzt werden sollte.
06.04.2015, 08:3506.04.2015, 09:19
frederik jötten
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Sollte man als Pollenallergiker nur noch mit Schutzmaske nach draussen gehen?
Jörg Kleine-Tebbe:
 Leider können wir den Pollen in der warmen Jahreszeit kaum entgehen – selbst Schutzmasken können nicht verhindern, dass die Allergene unsere Schleimhäute erreichen.

Am besten wäre es dann, man verliesse als Allergiker gar nicht mehr das Haus …
Manche Allergiker tun das aus purer Verzweiflung! Ich halte das für keine gute Lösung. Schliesslich lassen sich Allergien gut behandeln.

Zur Person

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Jörg Kleine-Tebbe
hat zum Thema Allergien habilitiert, ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Allergologie sowie Mitbegründer des Allergie- und Asthma-Zentrums Westend in Berlin-Charlottenburg. Ausserdem ist er Autor des Fachbuchs «Allergologie in Klinik und Praxis» (Thieme). 

In der Apotheke gibt es viele Mittel gegen Heuschnupfen – was hilft schnell?
Es kommt darauf an, ob es sich um leichte oder schwerere Beschwerden handelt. Bei leichten Symptomen wie gelegentlichem Niesen, Nasenlaufen und Augenjucken helfen Antihistaminika als Augentropfen und Nasenspray. Zum Beispiel mit den Wirkstoffen Azelastin, Ketotifen oder Levocabastin. Sie wirken bei leichteren Beschwerden rasch, können mehrfach am Tag anwendet werden und haben kaum Nebenwirkungen.

«Alte Antihistamin-Präparate haben in der Behandlung von Allergikern eigentlich nichts mehr zu suchen. Sie können so müde machen, dass es unter ihrem Einfluss immer wieder zu Verkehrsunfällen gekommen ist.»
Jörg Kleine-Tebbe, Allergologe

Wie sind die gängigen, rezeptfrei erhältlichen Antihistamin-Tabletten mit den Wirkstoffen Cetirizin und Loratadin zu bewerten?
Bei leichteren bis mittleren Beschwerden sind beides zuverlässige Medikamente. Sie unterliegen keinem Patentschutz mehr und werden von vielen Generika-Herstellern günstig angeboten.

Antihistaminika stehen aber in dem Ruf, müde zu machen … 
Der Ruf täuscht. Diese nicht-sedierenden Antihistaminika zählen zur zweiten Generation, die deutlich weniger Nebenwirkungen hat und kaum müde macht. Die Präparate sind nicht vergleichbar mit Vorgängern wie Dimetinden (Fenistil) oder Clemastin (Tavegil). Diese alten Präparate haben in der Behandlung von Allergikern eigentlich nichts mehr zu suchen, werden aber immer noch frei verkäuflich in der Apotheke angeboten. Sie können so müde machen, dass es unter ihrem Einfluss immer wieder zu Verkehrsunfällen gekommen ist.

Welcher Wirkstoff ist besser: Ceterizin oder Loratadin?
Beide wirken rasch nach spätestens 2 Stunden und werden meist einmal am Tag angewandt. Ceterizin wirkt etwas stärker, macht aber eher müde.

Was ist von verschreibungspflichtigen Medikamenten mit dem Wirkstoff Desloratadin zu halten? 
Es gehört ebenfalls zu den nicht-sedierenden Antihistaminika. Loratadin ist die Vorstufe und wird im Körper zu Desloratadin umgebaut. Der Wirkstoff macht kaum müde, reicht aber vielen Betroffenen nicht aus. In dem Fall würde ich morgens und abends eine Tablette empfehlen. Oder umsteigen auf ein anderes nicht-sedierendes rezeptpflichtiges Antihistaminikum.

«Antihistaminika gehören zu den sichersten Präparaten, die wir überhaupt kennen in der Medizin.»
Jörg Kleine-Tebbe, Allergologe

Ist es nicht ein bisschen unheimlich, das Immunsystem im gesamten Körper durch Antihistaminika zu drosseln?
Es wird ja nur die Histaminbindung am sogenannten Histamin-H1-Rezeptoren blockiert. Der entzündliche Botenstoff vermittelt dort Juckreiz in den Augen, in der Nase, verursacht Naselaufen, Niesanfälle und manchmal sogar Gaumen- und Ohrenjucken. Was viele nicht wissen: Antihistaminika gehören zu den sichersten Präparaten, die wir überhaupt kennen in der Medizin. Sie können zum Beispiel bei chronischer Nesselsucht in der vierfachen Tagesdosis angewendet werden! Dann machen sie aber eher müde als bei einer Tablette pro Tag. Andere Nebenwirkungen sind selten.

Könnte es nicht sein, dass man das noch gar nicht überblickt? Es gibt ja auch Forscher, die der Meinung sind, Allergien könnten auch positive Effekte haben.
Diese Medikamente blockieren ja nur einen kleinen Teil der allergischen Reaktion, nämlich den, der durch Histamin vermittelt wird. Wir kennen diese Histamin-H1-Blocker seit Jahrzehnten und sie werden weltweit millionenfach angewandt. Von daher haben wir einen guten Überblick über die potenziellen Nebenwirkungen.

Nimmt der Effekt der Tabletten ab, wenn man sie über einen langen Zeitraum nimmt?
Nein, ein Gewöhnungseffekt ist bislang nicht bekannt. Allerdings hat ein Umdenken in der Therapie stattgefunden: Wir behandeln heute sehr viel früher mit kortisonhaltigen Nasensprays. Wenn das ausreicht, um die Symptome zu lindern, kann man sich die Tabletten sparen.

Nun sind Kortisonverbindungen nicht eben eine Wirkstoffgruppe, die man sich gerne verabreicht …
Es kommt darauf an wie: Kortison-Depotspritzen ins Gesäss sind zur Allergiebehandlung nicht zu empfehlen, denn sie bügeln für ein paar Wochen die innere Hormonachse platt. Die Nasensprays haben dagegen auch bei dauerhafter Anwendung nicht die gefürchteten Kortison-Nebenwirkungen, weil die Dosis sehr klein ist, sie nur in die Nase gegeben wird und der Wirkstoff nur in minimalen Mengen im Blut auftaucht. Wenige Patienten bekommen davon eine trockene Nase, sonst treten kaum Nebenwirkungen auf. Übrigens führen diese Sprays nicht zu einer Schleimhautschädigung wie durch schleimhautabschwellende Nasensprays, die häufig gegen verstopfte Nase bei einem Erkältungsschnupfen angewandt werden.

«Kortison-Depotspritzen ins Gesäss sind zur Allergiebehandlung nicht zu empfehlen, denn sie bügeln für ein paar Wochen die innere Hormonachse platt.»
Jörg Kleine-Tebbe, Allergologe

Ab welchen allergischen Symptomen sollte man ein kortisonhaltiges Nasenspray in Betracht ziehen?
Bei stärkeren Beschwerden, insbesondere, wenn die Nase nicht nur läuft, sondern zusätzlich verstopft ist, und wenn zum Beispiel rezeptfreie Antihistaminika allein nicht ausreichend geholfen haben. Die Kortisonhaltigen Nasensprays gelten als unbedenklich und sind daher auch bei Kindern ab sechs Jahren zugelassen. Kortison-Nasensprays mit etwas geringerer Dosierung gibt es übrigens auch ohne Rezept – die Apotheker trauen sich nur häufig nicht, sie an Allergiker abzugeben.  

Wie schnell wirken die Kortisonsprays?
Sie haben nur eine mässige Sofortwirkung. Der volle Effekt stellt sich erst nach zwei bis drei Tagen ein.

Ist es besser, Heuschnupfen zu ertragen anstatt sofort Medikamente zu nehmen?
Manche Allergiker leiden lieber, statt Medikamente einzunehmen, andere wollen dagegen nur eins: Rasche Hilfe. Die Symptombekämpfung mit Antihistaminika kann übrigens einen «Etagenwechsel», den Beginn von Bronchialasthma infolge der Allergie, nicht verhindern. Dagegen hilft nur eine Hyposensibilisierung mit den verursachenden Allergenen.

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