TV-Sender sollen nicht verhindern können, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer beim zeitversetzten Fernsehen die Werbung überspringen. Der Nationalrat hat es am Freitag abgelehnt, eine Regelung zum Replay-TV im Urheberrecht zu verankern.
Die überwiegende Mehrheit des Nationalrats will, dass die TV-Sender auch künftig nicht direkt mit TV-Verbreitern über die Bedingungen des Replay-TV verhandeln können – und somit das zeitversetzte Fernsehen weder einschränken noch blockieren können. Vorerst vom Tisch ist somit das angedachte Spulverbot für Werbung beim zeitversetzten Fernsehen. Dies hätte schlussendlich wohl auch den Sendern selbst geschadet.
Und versenkt! 182:6 #replaytv
— Chris (@digichr) 14. Dezember 2018
Nach dem Trauerspiel beim #Klimaschutz etwas versöhnliches zum Sessionsende: Der #Nationalrat versucht für einmal nicht die #Digitalisierung mit Gesetzen zu stoppen und lehnt des #Spulverbot ab. #ReplayTV bleibt in der Schweiz zulässig. pic.twitter.com/HOvm0cNaiF
— Jürg Grossen (@Juerg_Grossen) 14. Dezember 2018
Die Regelung wurde mit 182 zu sechs Stimmen bei neun Enthaltungen abgelehnt. Die Mehrheit befürchtete, dass die Fernsehsender das Überspulen der Werbung nicht mehr erlauben oder dafür Gebühren erheben würden, die auf die Konsumentinnen und Konsumenten abgewälzt würden.
Davon betroffen gewesen wären die grossen TV-Verbreiter wie UPC, Swisscom, Sunrise und Quickline sowie TV-Streaming-Dienste wie Zattoo, Teleboy oder Wilmaa. Sie hätten damit rechnen müssen, künftig die Zustimmung jedes einzelnen Senders für Replay-TV einholen und die Bedingungen individuell verhandeln zu müssen.
Alle Parteien. Der Vorschlag der Kommission war im Rat chancenlos: Die Regelung wurde mit 182 zu sechs Stimmen bei neun Enthaltungen abgelehnt.
Beat Flach (GLP) stellte fest, für Junge sei lineares Fernsehen etwas von vorgestern. Sie wüssten gar nicht, mit welchen Schmerzen das früher verbunden gewesen sei, wenn man eine Folge von «Bonanza» verpasst habe. Replay-TV dürfe nicht verhindert oder eingeschränkt werden.
Andrea Gmür-Schönenberger (CVP/LU) befand, es gehe nicht an, einen Werbekonsumzwang im Gesetz zu verankern. Ausserdem sei nicht klar, um wie hohe Einbussen es gehe. Christa Markwalder (FDP/BE) stellte fest, Replay-TV entspreche einem Kundenbedürfnis.
Justizministerin Simonetta Sommaruga stellte sich ebenfalls gegen die Regelung. Das zeitversetzte Fernsehen sei beliebt, und die Öffentlichkeit würde es nicht verstehen, wenn Replay-TV nicht mehr angeboten oder teurer würde, sagte sie.
Anfang November wollte die Rechtskommission des Nationalrates im Gesetz verankern, dass die Kabelnetzunternehmen das Überspulen der Werbung nur dann ermöglichen dürfen, wenn der TV-Sender dem zugestimmt hat.
Kommissionssprecher Matthias Aebischer (SP/BE) betonte heute jedoch, niemand wolle Replay-TV verbieten, auch nicht das Überspulen der Werbung. Die Kommission wolle vor allem Verhandlungen herbeiführen zwischen TV-Sendern und Kabelnetzunternehmen. Er wies darauf hin, dass letztere – insbesondere Swisscom und UPC – mit Replay-TV viel Geld verdienten. Dies auf Kosten der Sender, die bei den Bedingungen über die Replay-Nutzung kein Mitspracherecht hätten.
Das angedrohte Spulverbot war ein Druckmittel der Sender gegenüber Swisscom, UPC und Co.
Im Grunde geht es bei der Debatte weniger um ein Replay-Verbot, sondern darum, wie der Kuchen zwischen TV-Sendern und TV-Verbreitern aufgeteilt wird. Fernsehsender, Telekomfirmen, Kabelnetzbetreiber und TV-Streamingdienste streiten um die Verteilung der wachsenden Erlöse aus dem boomenden Replay-TV-Geschäft. Es geht darum, wie der Gewinn aus den teuren Replay-TV-Abos zwischen Sendern und Verbreitern künftig verteilt werden soll. Für Sender und Netzbetreiber stehen Millionen auf dem Spiel.
TV-Verbreiter wollen mit Replay-TV attraktive und teure TV-Abos verkaufen. Die Sender hingegen möchten die Nutzer auf ihre eigenen Internetseiten oder Apps locken, um mit ihren Mediatheken Geld zu verdienen.
Schlussendlich hat die Politik entschieden, ob Replay-Nutzer künftig mehr in die Taschen der TV-Sender oder TV-Verbreiter zahlen. Swisscom und Co. können jubeln, die Sender haben aber immerhin einen Teilerfolg erzielt. Sie können darauf hoffen, dass die TV-Verbreiter Hand zu neuen Werbeformen bieten (siehe Punkt 7).
Beim Replay-TV schalten viele Zuschauerinnen und Zuschauer bei Werbung auf Schnellvorlauf. Dadurch entfielen ihnen Werbeeinnahmen, die durch pauschale Urheberrechts-Entschädigungen bei Weitem nicht kompensiert würden, klagen die TV-Sender. Die Sendeunternehmen behaupteten, jährlich entgingen ihnen wegen Replay-TV Werbeeinnahmen von über 100 Millionen Franken. Sie wollen daher direkt mit Swisscom, UPC und Co. über die Bedingungen des zeitversetzten Fernsehens verhandeln dürfen: Etwa über die Höhe der Lizenzgebühren für ihre Replay-TV-Programme und neue Werbeformen. Bislang blieb ihnen dieses Recht verwehrt. Die Telekom- und Kabelnetzanbieter konnten die Forderungen der Sender daher jahrelang ignorieren.
Die Fernsehsender haben zudem alles Interesse daran, die Zuschauerinnen und Zuschauer auf ihre eigenen Internetseiten zu locken. Dort ist Replay-TV unbeschränkt nutzbar – allerdings mit saftigen Kostenfolgen.
Erstens: Die Höhe der Ausfälle für die Sender sei unklar, warnte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Die Sendeunternehmen behaupteten, jährlich entgingen ihnen wegen Replay-TV Werbeeinnahmen von über 100 Millionen Franken. Die Kabelnetzbetreiber bestritten diese Summe. Niemand wisse, um wie viel Geld es tatsächlich gehe. Und niemand wisse, wie sich der Werbemarkt angesichts der veränderten Konsumgewohnheiten entwickle.
Weiter wies Sommaruga darauf hin, dass die Kabelvertreiber den Rechteinhabern schon heute 35 Millionen Franken bezahlten für das zeitversetzte Fernsehen. Darin eingeschlossen sei ein Beitrag für Werbeausfälle.
Zweitens: Das zeitversetzte Fernsehen ist beliebt und die Öffentlichkeit würde es nicht verstehen, wenn Replay-TV nicht mehr angeboten oder teurer würde. Der Konsumentenschutz drohte gar Politiker an den Pranger zu stellen, die Replay-TV einschränken.
Einen Teilerfolg konnten die Sender schon vor der heutigen Abstimmung verbuchen: Ihr Lobbying führte dazu, dass der Dachverband der TV-Verbreiter erstmals Bereitschaft zeigte, über neue Werbeformen zu verhandeln. Beispielsweise kurze Werbeclips vor der Replay-Nutzung, die nicht übersprungen werden können. Die Sender versprechen sich so Zusatzeinnahmen, um die Verluste bei der klassischen TV-Werbung zu kompensieren.
Sollten die TV-Verbreiter den Sendern nicht entgegenkommen, ist es nur eine (kurze) Frage der Zeit, bis die Sender den nächsten Angriff starten.
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA.
- Claudio Zanetti
- Pirmin Schwander
- Gregor Rutz
- Natalie Rickli
- Thomas Matter
- Manfred Bühler
-> Darf gerne bei den Wahlen nächstes Jahr berücksichtigt werden ;-)