Bundesrat Alain Berset, das Bundesamt für Gesundheit und DP-3T sollen bei der geplanten App Unterstützung erhalten von einem Heer von Freiwilligen.Bild: KEYSTONE
Aus der Zivilgesellschaft erhält der Gesundheitsminister konkrete Vorschläge, wie die geplante Proximity-Tracing-App trotz Verzögerung ein Erfolg werden kann.
12.05.2020, 09:0212.05.2020, 13:00
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Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft haben Gesundheitsminister Alain Berset einen offenen Brief geschrieben zur geplanten Schweizer Corona-Warn-App. Diese App heisst nun übrigens offiziell «Swiss PT-App» (wobei die Abkürzung für Proximity Tracing steht.
Die Unterzeichnenden (siehe unten) geben ihrer Sorge Ausdruck, dass die nun anlaufende Testphase, die der Bundesrat als «Pilotphase» bezeichnet, nicht ausreicht. Statt Tests im stillen Kämmerlein brauche es eine grosse Beteiligung.
«Wir sind besorgt und haben einen Brief an Bundesrat Alain Berset geschrieben, mit der Bitte um breit angelegtes, sorgfältiges Testen und rasches Einführen der Corona-Warn-App.»
Es gehe ihnen darum, «das vorhandene Vertrauen und die Aufmerksamkeit für das Thema in der Gesellschaft trotz der nun entstandenen Verzögerungen zu bewahren».
Die Initianten schreiben:
«Die App ist ein wichtiger Beitrag, um eine zweite Infektionswelle zu vermeiden. Für die Wirksamkeit der App ist es entscheidend, dass eine Mehrheit der Smartphone-Nutzenden die App auch tatsächlich installieren. Dies setzt voraus, dass wir das heute vorhandene Vertrauen und die Aufmerksamkeit für das Thema in der Gesellschaft bewahren können.»
Was soll der Bundesrat verbessern?
Bekanntlich will der Bundesrat in einer befristeten Verordnung festlegen, wie die App getestet werden soll. Eine öffentliche Testphase mit möglichst vielen Teilnehmern ist gemäss den bislang vorliegenden Informationen nicht geplant, und genau daran stören sich die Unterzeichnenden. Sie unterbreiten Gesundheitsminister Alain Berset mehrere Verbesserungsvorschläge, damit «trotz der Verzögerungen eine erfolgreiche Einführung der App» erreicht werden könne. Konkret schlagen sie eine zweistufige Testphase vor:
- In der 1. Testphase ginge es ausschliesslich um die Verständlichkeit und Usability (Benutzerfreundlichkeit) der App, es würden also noch keine Gesundheitsinformationen verarbeitet. Getestet würde unter Beizug der IT-Fachwelt und zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Pro Senectute oder des Roten Kreuzes. Dabei soll mit einer Testcommunity von vielen Freiwilligen gearbeitet werden.
- Ziel der 2. Testphase sollte sein, dass bereits positive Auswirkungen auf die Verbreitung des Virus erreicht werden und die Corona-Warn-App in verschiedenen Landesteilen getestet wird. Deshalb sollten möglichst viele Teilnehmer beteiligt oder das Teilnehmerfeld vollständig geöffnet werden. Zudem sollten die SBB einbezogen werden.
Die Verfasser des offenen Briefes haben auch schon ganz konkrete Vorschläge, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) an die freiwilligen Testpersonen kommt:
«Dafür würde neben der IT-Fachwelt eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen einbezogen, die freiwillige Testpersonen vermitteln: z. B. SRK, Hilf-Jetzt.ch, Pro Senectute, Pro Mente Sana, LCH, curaviva, Blindenbund/procap, ProJuventute, alliance F usw. (die Koordination könnte über die Verbindungsstelle Zivilgesellschaft des Krisenstabs erfolgen).»
Um die Corona-Warn-App unter realistischen Verhältnissen zu testen, schlagen die Verfasser des offenen Briefes für die 2. Testphase eine massive Ausweitung vor:
«Mindestens 100'000 Freiwillige, evtl. an bestimmten Arbeits- und Wohnschwerpunkten wie Lausanne, Lugano, Genf, Bern, Zürich oder Basel, sollen beteiligt werden. Idealerweise lassen sich ganze Firmen und Familien zum Mitmachen gewinnen, sowie Pendler*innen-Cluster – beispielsweise indem die SBB zwischen den Städten zu Hauptverkehrszeiten für drei Wochen Corona-Warn-App-Testabteile einrichtet.»
Für die zweite Phase brauche es zudem eine breitangelegte wissenschaftliche Begleitforschung:
«Befragungen zum Sicherheitsempfinden, Vertrauen in die App, Verhalten bezüglich Einhaltung der anderen Schutzmassnahmen etc., um Erkenntnisse über die Wirkung der App auf das weitere Verhalten zu gewinnen. Parallel dazu Befragungen von einer repräsentativen Vergleichsgruppe ohne App, um die generelle Wirkung der Lockerungsmassnahmen auf das Verhalten messen und rausrechnen zu können.»
Weiter betonen die Unterzeichnenden, dass der Parlamentsbeschluss, der die Schaffung von Rahmenbedingungen verlangt, keine Verzögerungen mit sich bringen müsse:
«Nachdem das Parlament sehr deutlich den Willen geäussert hat, einer raschen Einführung mit seiner Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage nicht im Weg stehen zu wollen, ist aus unserer Sicht davon auszugehen, dass auch sehr breit angelegte Tests und insbesondere während der zweiten Testphase ein Roll-out auf die ganze Bevölkerung weiterhin möglich sind.»
Wer hat den offenen Brief unterzeichnet?
Es handelt sich gemäss eigenen Angaben um Mitwirkende einer interdisziplinären Ad-hoc-Arbeitsgruppe «Contact Tracing und Quarantäne», die von Prof. Marcel Salathé (von DP-3T) und dem Politiker Nicola Forster initiiert wurde.
- Esther-Mirjam de Boer, GetDiversity
- Prof. Dr. Jacques Fellay, EPFL
- Andy Fischer, MedGate
- Nicola Forster, Science et Cité
- Hannes Gassert, OpenData
- Christine Kopp, Schweizerisches Rotes Kreuz
- Prof. Dr. Nicola Low, Universität Bern
- Niniane Paeffgen, Swiss Digital Initiative
- Prof. Dr. Simon Schlauri, Rechtsanwalt
- Che Wagner, Public Beta / Hilf-Jetzt.ch
Wie reagiert der Bundesrat?
Das wissen wir nicht.
Gesundheitsminister Alain Berset liess sich an der Medienkonferenz am vergangenen Freitag nicht in die Karten blicken und machte keine konkreten Angaben zur Testphase, die diese Woche mit einer begrenzten Teilnehmerzahl starten soll.
Quellen
- Faktenblatt des Bundes: «Die Swiss PT-App hilft, das Coronavirus in Schach zu halten» (PDF-Dokument)
Alles über die Schweizer Corona-Warn-App
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