Digital
Schweiz

Junger Schweizer vermittelt alte Laptops an bedürftige Familien

Über eine gut strukturierte Website erhalten Interessierte alle Informationen. Das Lager an Laptops wächst und wächst.
Über eine gut strukturierte Website erhalten Interessierte alle Informationen. Das Lager an Laptops wächst und wächst.screenshot: wir-lernen-weiter.ch

Wie ein junger Schweizer mitten in der Corona-Krise ein Laptop-Hilfsprojekt startete

Der Verein «Wir lernen weiter» des Aargauers Tobias Schär setzt alte Laptops neu auf und schenkt sie Bedürftigen. Das Projekt hat sich innert acht Monaten gewaltig entwickelt. Aber es gibt auch Widerstände seitens der Gemeinden.
25.11.2020, 07:3525.11.2020, 09:16
Toni Widmer / ch media
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Die Idee im Lockdown

Der 26-jährige Tobias Schär hat eine Mission: «Vielen Menschen in unserem Land bleibt der Zugang zur digitalen Welt verwehrt, weil ihnen die finanziellen Mittel zur Beschaffung der entsprechenden Infrastruktur fehlen. Das darf nicht sein. Mit unserem Projekt ‹Wir lernen weiter› wollen wir dazu beitragen, das zu ändern.»

Der Gedankenblitz kam dem jungen Merenschwander Ende März im Lockdown: «Als wegen der Pandemie die Schulen geschlossen wurden, fragte ich mich: Was machen jetzt minderbemittelte Eltern, die sich die nötigen Geräte fürs Homeschooling ihrer Kinder nicht leisten können?»

Als Unternehmensberater im Softwarebereich und Student der Wirtschaftsinformatik wusste Schär, dass in vielen Schweizer Haushalten, Unternehmen und Schulen unbenutzte ältere Laptops stehen. Dieses Potenzial versuchte er über seine persönlichen Beziehungen und auch über die umgehend geschaffene Plattform wir-lernen-weiter.ch zu nutzen.

«Die Corona-Krise hat aufgezeigt, wie wichtig die digitale Vernetzung heute ist und wo der Trend hingeht. Wir setzen uns dafür ein, dass möglichst alle an der Digitalisierung teilnehmen können, in dem wir alte Laptops aufbereiten und diese an Familien und Einzelpersonen weitergeben.

Es soll niemand aus unserer digitalen Gesellschaft ausgeschlossen werden, nur weil monetäre Mittel fehlen.»
quelle: wir-lernen-weiter.ch

Der Start

Innerhalb kurzer Zeit hat der initiative Mann im Frühling auf diese Weise 100 Geräte eingesammelt, aufbereitet und an bedürftige Familien vermittelt. Inzwischen hat sich das uneigennützige Hilfsprojekt stark ausgeweitet: Vor wenigen Tagen ist der 1000. aufbereitete Laptop ausgeliefert worden, weitere 230 funktionstüchtige Geräte liegen im Dachgeschoss des alten Merenschwander Pfarrhauses bereit.

Tobias Schär vermittelt Laptops an bedürftige Familien.
Tobias Schär vermittelt Laptops an bedürftige Familien.bild: zvg

Das Projekt hat sich in den vergangenen acht Monaten gewaltig entwickelt und Tobias Schär gefordert.

«Angefangen habe ich im Elternhaus, wo ich im Frühling noch wohnte. Mittlerweile habe ich den Verein ‹Wir lernen weiter› gegründet, in dem sich neben mir weitere acht Personen in verschiedenen Bereichen für die Sache engagieren. Im ehemaligen Pfarrhaus konnte ich nicht nur eine Wohnung für mich mieten, sondern auch das Dachgeschoss für unsere Zwecke einrichten.»

Die Umsetzung ohne Microsoft

Für seine Mission überlässt der engagierte junge Mann nichts dem Zufall. Die aufgebaute technische Infrastruktur erlaubt es dem Verein, 33 Laptops gleichzeitig neu aufzusetzen. Dabei werden die auf den Geräten vorhandenen Daten unwiederbringlich gelöscht und ein neues Betriebssystem sowie die für den Einsatz notwendige Software installiert.

Schär erklärt:

«Weil Microsoft unser Projekt leider nicht mit kostenlosen Lizenzen unterstützen kann, arbeiten unsere aufbereiteten Laptops mit dem Betriebssystem Zorin OS.

Softwareseitig rüsten wir die Geräte so aus, dass die Benutzer damit im Internet surfen sowie Texte, Tabellen und Präsentationen erfassen können, die mit Microsoft Office kompatibel sind. Installiert sind weiter auch die gängigen Kommunikationstools Skype und Zoom.»

Jedem Gerät wird zudem eine spezifische Betriebsanleitung beigelegt. «Damit kann der Benutzer den Laptop in Betrieb nehmen und er sieht daraus auch, wo und wie er allenfalls weitere für seine Arbeit nötige Gratis-Tools herunterladen kann. Einen weiteren Support können wir nach der Auslieferung aber aus zeitlichen Gründen nicht leisten», erklärt Schär.

Was ist Zorin OS?
Auf den alten Laptops wird Zorin OS installiert, eine Ubuntu-basierende Linux-Distribution, die sich vor allem an Windows-Umsteiger richtet. Viele Windows-Programme wie Microsoft Office können leicht mit PlayOnLinux und Wine installiert werden. Die Oberfläche ähnelt optisch Windows. Technisch baut Zorin OS auf Ubuntu mit Gnome auf und nutzt dessen Installer Ubiquity. Der Name Ubuntu bedeutet auf Zulu etwa «Menschlichkeit» und bezeichnet eine afrikanische Philosophie, wie Wikipedia weiss.

Das grosse Ziel

Für den Initianten von «Wir lernen weiter» ist das, was er tut, mittlerweile mehr als bloss ein soziales Engagement: «Mit unserer Tätigkeit wird mir immer deutlicher bewusst, wie auch in unserem Land benachteiligte Menschen im Stich gelassen werden. Meiner Meinung nach ist der Zugang zur digitalen Welt heute für die berufliche Wiedereingliederung und Weiterbildung, sowie auch im Migrationsbereich, unabdingbar», findet Schär. Deshalb müsste allen Leuten ermöglicht werden, an der digitalen Transformation mitzumachen.

«Wenn beispielsweise Stellensuchende sich kaum oder nur schwer bewerben können, weil die EDV-Infrastruktur fehlt und sie so länger arbeitslos bleiben, steigen die Ausgaben im Sozialbereich. Ergo müssten doch der Staat und die Sozialämter eingreifen.» Doch diese, bilanziert Schär aufgrund seiner Erfahrungen, seien diesbezüglich mit Investitionen sehr zurückhaltend. So gesehen übernehme sein Verein mit der Vermittlung von EDV-Infrastruktur ein Stück weit eine Gemeindeaufgabe.

Der Verein habe den Kontakt mit Gemeinden in der ganzen Schweiz gesucht. «Die Gemeinden, beziehungsweise deren Sozialämter, sollten die Leute kennen, die von unserem Engagement profitieren könnten.» Mittlerweile hat der Verein bereits mit über 100 Gemeinden in der ganzen Schweiz entsprechende Vereinbarungen abschliessen können.

«Jede Gemeinde weiss, dass für 150 Franken auf anderem Weg kein Gerät beschafft werden kann.»

Die Widerstände der Sozialämter

«Wir lernen weiter» bietet den Sozialämtern aufbereitete Geräte an, welche diese dann selbst an Bedürftige verteilen können. «In diesem Fall», erklärt er, «verrechnen wir pro versendetes Gerät 150 Franken, um unseren Aufwand zu decken. Portokosten sind inbegriffen. Das sehen allerdings nicht alle Gemeinden gerne.»

So hätten ihm schon Sozialvorsteher aus Gemeinden in der Region zu verstehen gegeben: «Warum soll unsere Gemeinde solche Geräte vermitteln und dafür noch bezahlen? Wir schicken die Bedürftigen lieber direkt bei Ihnen vorbei. Dann erhalten sie die Geräte gratis und unsere Gemeinde kann sich die Ausgaben sparen.»

«Für solche Reaktionen», sagt Tobias Schär, «fehlt mir schlichtweg das Verständnis.». Schär: «Jede Gemeinde weiss, dass für 150 Franken auf anderem Weg kein Gerät beschafft werden kann.»

Das sagt der Initiator über das im April 2020 gegründete Projekt:

«Falls Du keine Laptops beisteuern kannst, dennoch aber unser Projekt unterstützen möchtest, darfst Du uns gerne auch eine Geldspende zukommen lassen.»

Spenden sind über die Twint-App möglich. Die nötigen Informationen sind auf der Projekt-Website zu finden.

Quellen

(aargauerzeitung.ch)

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Cpt. Jeppesen
25.11.2020 08:51registriert Juni 2018
Digitaler Analphabetismus ist leider Realität in unserer Gesellschaft. Von der Generation "digital natives" keine Spur. Das wird sich auch nicht ändern, so lange Computer als Prestigeobjekt herhalten müssen, deshalb die Ablehnung in den Sozialämtern.

Die Idee gefällt mir sehr gut. Und 33 Rechner auf einmal neu aufzusetzen und nach immer gleichen Regeln automatisch zu konfigurieren bekommen heute noch viele Firmen nicht hin. Alleine dieses Know-How zu erarbeiten ist die Sache wert.
Weiter so! ;-)
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RandomNicknameGenerator
25.11.2020 09:01registriert Oktober 2018
Tolle Sache! Reduziert E-Waste und hilft denen, die es nötig haben. Und für Gemeinden, die sich um die 150 Franken drücken wollen, aber für jeden Stempel horrende Gebühren verlangen habe ich kein Verständnis.
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wlw_tobias-schaer
25.11.2020 09:39registriert November 2020
Vielen vielen Dank für diesen schönen Beitrag, liebes Watson-Team. Er ist sehr umfassend, zeigt aber sehr gut unsere aktuellen Probleme im Bereich der digitalen Chancengleichheit auf.

Jetzt muss ich mal schauen, dass die bestehenden Kommentare noch eine Antwort erhalten. Danke, dass Ihr mit diesen Zeilen auf unsere Zwecke aufmerksam macht <3
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