Dieser Tage entscheidet sich das «Schicksal» der Schweizer Corona-Warn-App. Das eidgenössische Parlament berät an seiner Sommersession in Bern die gesetzlichen Rahmenbedingungen, damit SwissCovid lanciert werden kann.
Es braucht eine Änderung des Epidemiengesetzes (EpG). Nur wenn die vom Bundesrat erarbeitete dringliche Vorlage angenommen wird, kann das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Smartphone-App noch im Juni offiziell lancieren.
Seit dem 25. Mai läuft die offizielle Pilotphase, um das Tracing-System zu testen. Das Entwicklerteam von DP-3T prüft in separaten Experimenten die Genauigkeit der Bluetooth-Distanzschätzungen, die über die Apple-Google-Software (Exposure Notification API) auf iPhones und Android-Handys ablaufen. Wobei anzumerken ist, dass die Ingenieure von Apple und Google auch noch an der Kalibrierung der Proximity-Technologie arbeiten und die API fortlaufend verbessern.
Der Ständerat befasst sich am Mittwoch, 3. Juni, mit dem Tracing-System, der Nationalrat am Montag, 8. Juni.
Wenn man die Vorberatungen in den parlamentarischen Kommissionen betrachtet, dürfte die Schweizer Corona-Warn-App problemlos genehmigt und lanciert werden.
Die folgenden Punkte werden bei den eidgenössischen Politikerinnen und Politikern zu diskutieren geben. Und ihre Klärung ist mitentscheidend über Erfolg oder Misserfolg: Aus epidemiologischer Sicht gilt es, möglichst viele Smartphone-Besitzer zu überzeugen, die App freiwillig zu nutzen.
Wann ist der frühestmögliche Termin für die offizielle Lancierung der SwissCovid-App? Dazu teilt das Bundesamt für Gesundheit auf Anfrage mit:
Die nationalrätliche Kommission verlangt, dass für die App-User kostenlose Covid-19-Tests verfügbar sind. Dies aber nur für diejenigen Smartphone-Besitzer «die eine Benachrichtigung der SwissCovid-App erhalten, weil sie sich zu lange nahe einer infizierten Person aufgehalten haben».
Die ständerätliche Kommission hat dem Bundesrat empfohlen, die Kostenübernahme für diese Covid-19-Tests von App-Nutzern möglichst «rasch zu klären».
Die ständerätliche und die nationalrätliche Kommission empfehlen dem Bundesrat übereinstimmend, eine Lösung zu finden für den Erwerbsausfall bei Personen, die sich nach einem Warnhinweis in Quarantäne begeben. So sollen Anreize für eine breite Nutzung der App geschaffen werden.
Eine Minderheit der nationalrätlichen Kommission beantragt, dass Personen, die sich nach einer Benachrichtigung durch die App testen lassen und in Quarantäne begeben, dafür gegebenenfalls Erwerbsersatz erhalten sollen.
Der Bundesrat sieht in seiner Vorlage zum Tracing-System vor, dass die technischen Details und der Quellcode der SwissCovid-App öffentlich gemacht werden müssen.
Die ständerätliche Kommission möchte dies um einen Passus ergänzen, «wonach die App nachweislich aus dem veröffentlichten Quellcode erstellt worden sein muss».
Damit käme man einer Forderung nach, die schon die unabhängigen IT-Sicherheitsexperten vom Chaos Computer Club (CCC) formuliert hatten. Nämlich dass die App-Funktionen durch Quelloffenheit (Open Source) und Reproduzierbarkeit («Reproducible Builds») gewährleistet sein müssen.
Bekanntlich können Dritte den vom DP-3T-Entwicklerteam veröffentlichten App-Programmcode von der Github-Plattform beziehen und eigenhändig kompilieren, also daraus eine App erstellen. Und diese App muss in wichtigen Punkten identisch sein mit der offiziellen App-Version, die im App Store von Apple, bzw. Google Play Store, erhältlich ist.
Die Westschweizer Informatik-Professorin Solange Ghernaouti, eine international bekannte Expertin für Cybersicherheit, formuliert in einem aktuellen Blogbeitrag Fragen, die sich in Zusammenhang mit der SwissCovid-App stellen.
Dabei legt sie den Finger auf den wunden Punkt, den auch andere unabhängige Experten als möglichen Schwachpunkt ausgemacht haben: die Abhängigkeit der Schweizer App von der Apple-Google-Software, die nicht quelloffen (Open Source) ist.
Bekanntlich ist die SwissCovid-App von Schweizer Software-Spezialisten entwickelt worden (massgeblich von Entwicklern der Zürcher Firma Ubique, die sich früh dem DP-3T-Team angeschlossen hatte). Und auch die Server-Infrastruktur ist eine «Schweizer Lösung», sie stammt vom Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) und weiteren Amtsstellen.
Ghernaouti ruft in Erinnerung, dass die Apple-Google-Software (siehe unten) aber nicht überprüfbar sei.
Bekanntlich baut die Bluetooth-basierte Proximity-Tracing-App auf der «Exposure Notification»-Schnittstelle (API) auf, die in die mobilen Betriebssysteme iOS und Android integriert ist. Die Apple-Google-Software ist ein unverzichtbares Kernstück des Schweizer Tracing-Systems, das die automatischen Distanzschätzungen über Bluetooth Low Energy (LE) durchführt und relevante Werte an die Tracing-App weitergibt. Ausgehend von diesen Werten berechnet die App das Infektionsrisiko, das heisst die Wahrscheinlichkeit einer Covid-19-Ansteckung, wenn zwei Smartphones über eine gewisse Zeit (15 Minuten pro Tag) relativ nah (2 Meter) beieinander waren. Dabei müssen verschiedene Einflüsse berücksichtigt werden, wie etwa die Dämpfung, Signalstärke etc.
Die grosse, bislang unbeantwortete Frage ist, wie zuverlässig und genau die Distanzschätzung über Bluetooth-LE-Signale funktioniert. Apple und Google sind immer noch am Kalibrieren der Technik, weil die App ja auf sehr vielen verschiedenen Smartphone-Modellen läuft, die sich bezüglich Bluetooth-Funksignalen teils massiv unterscheiden. Das Entwicklerteam von DP-3T führt seinerseits Experimente durch, um die Zuverlässigkeit der Apple-Google-Schnittstelle zu prüfen und um die eigenen Risikoberechnungen zu verbessern.
Bleibt abzuwarten, welche Messwerte und wissenschaftlich überprüfbaren Informationen DP-3T in den kommenden Tagen und Wochen zur Bluetooth-basierten Proximity-Technologie von Apple und Google zur Verfügung stellt.
Das Problem der vollständigen Überprüfbarkeit dürfte bestehen bleiben. Informatik-Professorin Ghernaouti:
Parlament und Bundesrat sind sich schon in weiten Teilen einig, was das geplante Tracing-System betrifft.