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E-Voting ist wie Atommüll, nur schlimmer

Blick auf eine Tastatur und ein Abstimmungsbuechlein, am Freitag, 22. September 2017, in St. Gallen. An der eidgenoessischen Volksabstimmung vom 24. September 2017 wird E-Voting fuer die St.Galler Aus ...
Höchst unterschiedlich, können E-Voting und Atommüll eine Gesellschaft vergiften ...Bild: KEYSTONE
Kommentar

E-Voting ist wie Atommüll, nur schlimmer

In der Schweiz soll die elektronische Stimmabgabe auf breiter Basis eingeführt werden, obwohl es immer mehr Alarmzeichen gibt. Das verheisst nichts Gutes.
14.03.2019, 11:2215.03.2019, 05:25
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Mit dem E-Voting ist es wie mit dem «Vergraben» von Atommüll: Weltweit wird seit Jahrzehnten daran geforscht, doch eine sichere Methode ist nicht in Sicht.

Doch genau dies wollen uns gewisse Akteure weismachen:

  • Angeblich lassen sich hochradioaktive Abfälle problemlos für zehntausende Jahre im Boden versenken.
  • Und die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz sollen sicher übers Internet abstimmen können.

In beiden Fällen handelt es sich um vollmundige Versprechen, die sich erst in der Praxis als wahr oder falsch erweisen werden. Dabei sind Zweifel und Skepsis angebracht:

Nur weil ein gewisses Vorgehen oder ein Versuchs-System die gesetzlichen Anforderungen erfüllt, bedeutet dies nicht, dass es sicher ist.

Im Widerspruch zu den offiziellen Verlautbarungen warnen unabhängige Experten seit Jahren erfolglos vor den Gefahren und Risiken. Doch werden die Kritiker belächelt, angefeindet und als Fortschritts-Verweigerer hingestellt.

Wie etwa der Mann, der half, das nukleare Entsorgungskonzept des Bundes zu entwickeln und es heute ablehnt und die Unabhängigkeit zwischen den Abfallverursachern, der Wissenschaft und dem Gesetzgeber infrage stellt ...

Bild
screenshot: tages-anzeiger.ch
«Wir brauchen viel mehr Zeit für die Forschung.»
Marcos Buser, Geologe

Fakt ist: Beim Atommüll wie beim E-Voting steht unglaublich viel auf dem Spiel, nämlich das Wohlergehen heutiger und zukünftiger Generationen – und das Vertrauen der Bürger in den Staat. Während die hochradioaktiven Abfälle nur ein bestimmtes Gebiet (direkt) betreffen, tangiert die elektronische Stimmabgabe alle Schweizer und das ganze Land.

Bei beiden Problemstellungen gilt: Eine überhastete Umsetzung einer «Lösung» kann im Desaster enden.

Zwar werden die «Leitplanken», nach denen das E-Voting organisiert und der Atommüll vergraben werden soll, vom Bund vorgegeben. Aber: Nur weil ein gewisses Vorgehen oder ein Versuchs-System die gesetzlichen Anforderungen erfüllt, bedeutet dies nicht, dass es sicher ist. Und auch die Zertifizierung durch renommierte Dritte muss nichts heissen.

Dies zeigen die alarmierenden Befunde der kanadischen IT-Sicherheitsforscherin Sarah Jamie Lewis und ihrer Kollegen. Sie haben diese Woche auf eine Sicherheitslücke hingewiesen, die das E-Voting-System grundsätzlich infrage stellt. Das Gravierende sei, dass die Organisatoren selbst hätten Wahlfälschung betreiben können – völlig unbemerkt.

Auch wenn die Beteiligten umgehend beschwichtigten: Es ist ein Super-GAU, und nur eine weitere Hiobsbotschaft, der noch viele weitere folgen dürften, falls der Bund an seinem Vorhaben festhält. Zur Erinnerung: Anfang März hatte der «Tages-Anzeiger» berichtet, dass E-Voting-Abstimmungen gekauft werden könnten, ohne dass die Behörden in der Lage seien, den Tätern auf die Schliche zu kommen.

Nach heutigem Stand besteht ein Dilemma: Kein gewissenhafter Entwickler und Unternehmer kann eine Garantie abgeben. 100-prozentige Sicherheit wird es niemals nur annähernd geben. Höchstens eine Risikobegrenzung. Und trotzdem versprach der Bund in einem Video vollmundig, dass «unbemerkte Manipulationen» in Zukunft «im ganzen Ablauf garantiert ausgeschlossen werden» könnten.

Besonders bitter: Die Bundeskanzlei arbeitet seit 20 Jahren an der Einführung von elektronischen Abstimmungen. Nun stehen die Verantwortlichen vor einem Scherbenhaufen – und das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als in der Schweiz die Unterschriftensammlung für ein E-Voting-Moratorium anläuft.

Wie eine entsprechende Volksabstimmung derzeit ausfallen würde, ist schwer zu sagen. Hat der Wind gedreht, obwohl sich laut einer Erhebung des Bundes angeblich immer noch eine Mehrheit der Bevölkerung E-Voting wünscht?

Das wachsende Misstrauen vieler Bürger sollte jedenfalls niemanden verwundern: Statt effektiver Kontrollmechanismen dominieren weiterhin PR-Aktionen und mediale «Beruhigungspillen». Den staatlich-privaten Kooperationen mangelt es an Transparenz und kritischer Distanz. Wenn aber das Vertrauen in die Demokratie sinkt, wird es brenzlig.

Mein Fazit: Bei den Plänen des Bundes handelt es sich um unnötige Experimente mit möglicherweise fataler Wirkung. Statt neue Probleme zu schaffen, sollten wir endlich die bestehenden angehen, die keinen Aufschub dulden.

Der watson-Redaktor wohnt in einer Gemeinde, die gemäss dem laufenden Auswahlverfahren des Bundes als Standort für ein Atommüll-Tiefenlager infrage kommt. Er hat sich intensiv mit der Problematik der angeblich sicheren «Endlagerung» beschäftigt und darüber geschrieben.

So soll das E-Voting in der Schweiz funktionieren

Video: srf

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67 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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wydy
14.03.2019 11:35registriert Februar 2016
Es wird immer das ganze mit der unsicheren Briefwahl verglichen, die ebenfalls abgefangen werden kann. Ich würde darum hier gerne das Thema Risikomatrix einwerfen. Dabei wird neben dem Risiko auch die entsprechenden Auswirkungen berücksichtigt. Im Fall eVoting und Briefwahl ist das Risiko evtl. ungefähr gleich gross, jedoch sind die Auswirkungen unterschiedlich. Wo bei der Briefwahl nur einzelne Stimmen verfälscht werden können, sind es beim eVoting ganze Resultate.
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Ohniznachtisbett
14.03.2019 13:16registriert August 2016
Ich bin ganz klar der Meinung, dass wir dieses E-voting experiment sein lassen sollten. Es hat das Potential unser Glaube in die Demokratie, unser Vertrauen in den Staat, dass Abstimmungen und Wahlen fair und korrekt ausgezählt werden, auszuhöhlen. Wir haben ein einmalg gutfunktionierendes System. Warum etwas wagen, das dies zunichte macht. Selten zwar, aber manchmal ist analog besser
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Winschdi
14.03.2019 13:14registriert Februar 2014
es muss einfach nur agil entwickelt werden, auf Blockchain basieren, mittels machine learning stetig verbessert werden und in der Cloud sein, dann kommt Alles gut

Nö im Ernst, solange für die User ein inactivity lockout von 20 Minuten (für sensitive Systeme!) zu mühsam ist, glaube ich nicht an e-voting, egal wie sicher programmiert wurde.
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