Nokia steht für günstige, solide Smartphones mit purem Android. Mit dem Nokia 8.3 5G versuchen die Finnen auch in der (oberen) Mittelklasse einen Fuss in die Tür zu bekommen. Die Zielgruppe sind User, die ein flinkes Gerät mit starkem Akku und grossem Display möchten. Gross ist allerdings die Untertreibung des Jahres: Das neue Nokia-Phone ist gigantisch.
Auf der Vorderseite grüsst das imposante, fast rahmenlose 6,8-Zoll-Display mit dem typischen Nokia-Schriftzug am unteren Rand. Dass Nokia eisern am Logo festhält, wäre allerdings nicht nötig gewesen. Der Schriftzug macht das Gerät noch grösser, als es eh schon ist.
Auf der Rückseite haben die Finnen in die Trickkiste gegriffen: Die Glasoberfläche schimmert blau-grünlich und erzeugt Lichtreflexionen, die an das Polarlicht erinnern sollen. Eine nette Spielerei, die zwar nichts bringt, aber hübsch anzusehen ist.
Ums deutlich zu machen: Das Nokia 8.3 ist das grösste Smartphone, das ich in den letzten zehn Jahren getestet habe.
Als ich das neue Nokia-Smartphone vor gut zwei Monaten zum ersten Mal in der Hand hielt, schoss mir nur ein Gedanke durch den Kopf: «Jetzt haben sie es definitiv übertrieben.» Ich habe per se nichts gegen grosse Smartphones, aber das neue Modell ist mir eine Spur zu gross, zu klobig und mit 220 Gramm auch zu schwer. Zugegeben, das ist sehr subjektiv. Andere argumentieren, ein etwas dickeres Handy mit mehr Gewicht liege besser in der Hand, beziehungsweise es fühle sich wertiger an.
Apropos Qualität: Die Verarbeitung ist gewohnt gut. Nach gut zwei Monaten intensivem Alltagsgebrauch ohne Schutzhülle zeigen sich keinerlei Abnutzungserscheinungen.
Das Nokia 8.3 5G mit 8 GB RAM und 128 GB Speicher (erweiterbar) ist fast gleich breit und schwer wie das iPhone 12 Pro Max, aber noch etwas länger. Technisch kann es den Top-Modellen von Apple und Samsung nicht ganz das Wasser reichen, was meiner Meinung auch nicht nötig ist. Es ist auch so ein solides Gerät, das nun, einige Monate nach dem Verkaufsstart im Herbst, bei einigen Händlern für unter 500 Franken zu haben ist. Für das Gebotene ein angemessener Preis. Nokias unverbindliche Preisempfehlung lag zunächst bei 649 Franken, was viel zu teuer ist.
Die technischen Daten verraten es: Das Nokia 8.3 ist kein aufregendes Smartphone, das mit einem noch nie gesehenen Feature begeistern könnte. Dafür stimmen die Basics:
Statt Premium-Funktionen wie kabelloses Laden bekommt man hier nützliche Grundfunktionen, die andere Hersteller teils gestrichen haben: Etwa den klassischen Anschluss für Kopfhörer, einen in die Ein-/Aus-Taste integrierten, gut erreichbaren Fingerabdruck-Sensor, Unterstützung für zwei SIM-Karten sowie die Möglichkeit den internen Speicher per microSD-Karte zu erweitern.
Im Alltag läuft alles flüssig, Apps starten zügig und der Akku hat mit 4500 mAh eine vernünftige Kapazität. Ich komme so auch mit intensiver Nutzung gut durch den Tag, sparsame Nutzer erreichen wohl problemlos zwei Tage oder mehr.
Zu beachten ist, dass die Akkulaufzeit im 5G-Netz spürbar sinken könnte (was ich ohne 5G-Abo nicht testen konnte).
Das Nokia 8.3 kommt ab Werk mit Android 10. Anfang Februar wurde das Update auf Android 11 in über 20 Ländern bereitgestellt, leider noch nicht in der Schweiz.
Generell verteilen die Finnen neue System-Versionen meist ziemlich zügig. Auch regelmässige Sicherheits-Updates sind bei Nokia eine Selbstverständlichkeit (dies selbst bei Budget-Handys). Nicht mehr zeitgemäss ist aber die nur 2-jährige Update-Garantie. Nokia garantiert seit mehreren Jahren zwei grosse Android-Updates und Sicherheits-Updates für drei Jahre. Das war früher durchaus ein Kaufargument, aber inzwischen haben andere Hersteller wie Samsung die Finnen überholt und garantieren Updates für drei weitere Android-Versionen.
Positiv zu erwähnen ist, dass Nokia-Smartphones nur mit einem Minimum an vorinstallierten Apps kommen. Und wie gewohnt liefert der Hersteller das Gerät fast ohne Modifikationen an Googles Android aus. Nur die Kamera-App und die My-Phone-App werden von den Finnen selbst entwickelt. Letztere ermöglicht beispielsweise die Kontaktaufnahme mit dem Kundendienst.
Die Kamera ist zwar weit weg von der Spitzenklasse, aber schöne Handy-Fotos gelingen damit allemal (siehe Diashow).
Die Kamera liefert ungefähr das, was ich von einem neuen Mittelklasse-Handy erwarten würde: Bei guten Lichtbedingungen hat der Automatik-Modus keine Probleme meist sehr ansehnliche Fotos zu knipsen. Das gilt für Haupt- und Selfie-Kamera. Erfreulicherweise nimmt die Bildqualität im Ultraweitwinkel-Modus nicht oder kaum ab. Schwach hingegen fällt der Zoom aus, da Nokia auf eine optische Bildstabilisierung verzichtet.
Persönlich kann ich zwar mit der gebotenen Fotoqualität gut leben, aber etwas enttäuscht bin ich trotzdem. Die von Nokia und dem deutschen Optik-Spezialisten Zeiss entwickelten Handy-Kameras waren jahrelang führend, heute hinkt man der Konkurrenz spürbar hinterher.
Ziemlich innovativ ist Nokia bei den Video-Funktionen: Erwähnenswert ist der Kinomodus, mit dem 2K- oder 4K-Videos im 21:9-Format aufgenommen werden. Im Kino-Editor lassen sich Szenen nachträglich mit Filtern bearbeiten, um Filme im Kino-Look zu erstellen. Das Handy kann zudem mit der Haupt- und Frontkamera gleichzeitig filmen und Aufnahmen live auf YouTube streamen.
Ich habe das Nokia 8.3 rund zwei Monate im Alltag benutzt und dabei offenbaren sich auch die Schwächen:
Das Nokia 8.3 ist fast so ausdauernd wie der Duracell-Hase, aber leider lädt der Akku eher gemächlich. Von null auf 100 Prozent geht es mit dem mitgelieferten 18-Watt-Netzteil in über zwei Stunden; das ist zumindest in der Android-Welt in dieser Preisklasse nicht mehr zeitgemäss. Allen voran die Konkurrenz aus China (Xiaomi, Oppo) lädt gleich grosse Akkus bis vier Mal schneller.
Apropos Laden: Auf kabelloses Laden muss man verzichten, obwohl Nokia schon 2012 als einer der ersten Hersteller induktives Laden unterstützte.
Eine Kleinigkeit, die ziemlich nerven kann, ist die (völlig unnötige) Google-Assistant-Taste auf der linken Geräteseite. Wenn ich das Handy aus der Hosentasche ziehe, komme ich regelmässig an diese Taste und aktiviere ungewollt den Sprachassistenten. Glücklicherweise lässt sich die Taste in den System-Einstellungen deaktivieren.
Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Das Nokia 8.3 ist ein gutes Mittelklasse-Handy, mit Blick auf den schnellen Prozessor inklusive 5G-Modem teils gehobene Mittelklasse, aber eben nicht das Top-Segment. Das zeigt sich nicht zuletzt bei der Qualität des Displays. Auch hier wird nicht mehr als gute Durchschnittskost geboten.
Das 6,8 Zoll grosse Display wirkt imposant und ist dank Gorilla Glass 6 relativ gut geschützt.
An der Farbwiedergabe und der Full-HD-Auflösung (1080x2400 Pixel) gibt's soweit nichts auszusetzen. Das Display ist zudem ordentlich hell, im Freien merkt man aber bei voller Sonneneinstrahlung, dass es nicht die Helligkeit absoluter Top-Geräte erreicht.
Gespart hat Nokia ganz allgemein bei der Display-Technologie. Ein gutes LCD- statt ein teureres OLED-Display tut es auch, haben sich die Finnen offenbar gesagt. Damit liegen sie nicht komplett falsch, da viele Nutzer den Unterschied kaum bemerken dürften. Profis hingegen dürfte sofort ins Auge stechen, dass das Nokia-Display im Vergleich zu absoluten Spitzenmodellen eher fahl und kontrastarm ist.
Das Nokia 8.3 5G kann sich nicht von der Masse der anderen Mittelklasse-Smartphones abheben, hat aber auch keine gravierende Schwäche. Hervorzuheben sind das sehr grosse Display, die allgemein gute Performance und die erfreulich lange Akkulaufzeit. Die vielseitige Kamera ist qualitativ nur durchschnittlich und auf Extras wie kabelloses Laden oder ein Display mit sehr hoher Bildwiederholfrequenz muss man verzichten.
Wer ein sehr grosses, technisch grundsolides Smartphone sucht, das mit Googles purem Android läuft, regelmässig Sicherheits-Updates erhält und nicht die Welt kostet, dürfte mit dem Nokia 8.3 glücklich werden. Das Gesamtpaket stimmt, sofern man einfach ein gutes Mittelklasse-Gerät zum Mittelklasse-Preis möchte. Mehr als 500 Franken sollte man aber nicht ausgeben.
Nokia hat das 8.3 bereits im März 2020 als erstes bezahlbares 5G-Smartphone angekündigt, aber erst letzten September in den Verkauf gebracht. Tatsächlich gab es Anfang 2020 keine günstigen Smartphones mit 5G. Inzwischen sieht dies ganz anders aus. Die Konkurrenz verkauft 5G-Handys ab 250 Franken.
Vor einem Jahr wäre mein Urteil über das neue Nokia-Phone daher sicher euphorischer ausgefallen. Nun ist es einfach eines von vielen guten Mittelklasse-Geräten, das, von der Grösse abgesehen, nicht aus der Masse heraussticht.
Auch wenn der Preis von ursprünglich 649 Franken bei einigen Händlern auf unter 500 Franken gesunken ist, gibt es reichlich Alternativen mit einem mindestens so guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Wer normalgrosse Handys bevorzugt, sollte sich eh anderweitig umschauen. Gute Kandidaten mit vergleichbarer Leistung sind beispielsweise Oppos Reno 4 Pro, Googles Pixel 5 oder das OnePlus Nord.
Wenn es ein Nokia-Handy sein soll, würde ich einen Blick auf die günstigeren Modelle Nokia 7.2 oder 5.3 bzw. 5.4 werfen. Diese kann ich vorbehaltlos empfehlen. Beim teureren Nokia 8.3 fällt das doch etwas schwerer.