Microsoft ist zurück im Smartphone-Business. Wobei: Eigentlich ist das Surface Duo eben weder Smartphone noch Tablet, sondern etwas ziemlich Einzigartiges. Damit ist auch schon gesagt: Es ist kein «normales» Falt-Handy, sprich, es hat kein fragiles, biegbares Display. Vielmehr haben die Microsoft-Ingenieure ein ultradünnes, ultrateures mobiles Gerät mit zwei Displays entwickelt, das sich an Menschen richtet, die unterwegs auf ihrem Smartphone arbeiten möchten.
Das Surface Duo lässt sich wie ein kleines Notizbuch öffnen und beide Hälften lassen sich um 360 Grad rotieren bzw. vollständig herumklappen. Hierzu sind die Displays durch zwei kleine Scharniere verbunden.
Für das Duo optimierte Apps wie Outlook zeigen beispielsweise auf einer Hälfte die neuen E-Mails und auf der anderen die aktuell geöffnete Nachricht an.
Microsoft-Chef Satya Nadella hat schon vor Jahren betont, man werde kein klassisches Smartphone bauen, ein Comeback gebe es nur, wenn man etwas Neues habe.
Neuartig ist das Surface Duo in der Tat, aber ist es auch gut?
Einige US-Medien konnten das ungewöhnliche Dual-Screen-Smartphone bereits vor dem Verkaufsstart rund zwei Wochen testen. Der allgemeine Tenor: Das Surface Duo sei sehr vielversprechend, aber die Software brauche dringend einen Feinschliff. Zudem sei das Gerät nichts für Menschen, die ihr Handy für WhatsApp und Instagram nutzen. Es richte sich an Multi-Tasker, die auf dem Smartphone produktiver arbeiten möchten. Wir zeigen im Folgenden im Detail, was die Kritiker von Microsofts Comeback-Phone halten.
Nur noch eine Bemerkung vorweg: Wir haben unser Testgerät noch nicht erhalten, da das Surface Duo in Europa noch keinen Termin für den Marktstart hat bzw. Microsoft nicht einmal bestätigt, ob es die erste Generation zu uns schafft. Sobald es bei uns verfügbar ist, werden wir es testen.
Der populäre US-Techblog The Verge hat das Surface Duo bereits ausführlich getestet und, anders als es die Schlagzeile «Double Troubles» erwarten lässt, sehr differenziert bewertet. Das Duo sei genau das, was der Name verspreche: «Zwei Bildschirme in Telefongrösse, die in erster Linie dafür gedacht sind, Apps nebeneinander laufen zu lassen», schreibt Tech-Journalist Dieter Bohn.
Er preist zunächst Microsofts Hardware-Künste. Das Surface Duo sei extrem dünn und wunderschön. Ihm gefällt, dass man zwei Apps auf zwei separaten Screens nutzen kann. Gelobt wird auch die Akkulaufzeit.
Ähnlich wie mit zwei PC-Monitoren hat man mit dem Duo zwei kleine Screens nebeneinander, um zwei Apps parallel nutzen zu können. Beispielsweise schreibt man auf dem ersten Display eine E-Mail, während auf dem zweiten Display ein Dokument mit den dafür notwendigen Infos in Sichtweite ist. Text, Fotos etc. können auch von einer in die andere App gezogen werden.
Bohn ärgert sich allerdings über die unfertige Software, die schlicht noch zu fehlerhaft sei. Die Kamera sei schrecklich und der extrem hohe Preis von 1399 Dollar insgesamt nicht gerechtfertigt. Ergo gibt es auch keine Kaufempfehlung.
Bohn führt seine Kritik in diesem sehenswerten Video im Detail aus.
Das renommierte Tech-Magazin Wired bewertet das Surface Duo ähnlich wie The Verge, gewichtet die Software-Fehler aber stärker.
Microsoft habe die gröbsten Schnitzer, etwa unvermittelt einfrierende Apps, zwar bereits mit einem Update behoben, aber Tech-Journalist Julian Chokkattu von Wired nervt sich trotzdem.
Die Benutzeroberfläche laufe noch nicht rund, die Kamera sei schlecht und man könne nicht mal die Zeit ablesen, ohne die Displays zu öffnen. Zudem seien noch nicht viele Apps für zwei Displays optimiert. Chokkattu ärgert sich über fehlende Features wie 5G, drahtloses Aufladen, MicroSD-Kartensteckplatz und ohne NFC sei auch kontaktloses Zahlen nicht möglich.
Und trotzdem ist er überzeugt, dass Dual-Screen-Geräten die Zukunft gehört. Seine Begründung:
Wie andere Kritiker lobt auch Chokkattu das 360-Grad-Scharnier, das sehr stabil wirke. Das Gerät fühle sich wunderbar schlank an und die Displays seien sehr hell. Wie andere Medien lobt auch Wired die für ein derart dünnes Gerät erstaunlich gute Akkulaufzeit.
«Es besteht die Chance, dass viele der Probleme, mit denen ich beim Duo zu tun hatte, in einigen Wochen oder Monaten (nach Updates) verschwinden werden», glaubt Chokkattu. Aktuell sei das Gerät aber nur für «Early Adopters».
TechCrunch, eines der weltweit führenden Online-Nachrichtenportale für Technologie-Themen, konnte das Surface Duo ebenfalls vorab unter die Lupe nehmen. Brian Heater gefällt, dass es robuster als Falt-Handys sei, da Microsoft auf ein fragiles Falt-Display verzichtet hat. Der Nachteil an Microsofts Scharnier-Lösung sei der breite Rahmen und der gut sichtbare Spalt zwischen den Displays. Videos auf beiden Screens schauen mache daher wenig Spass. Allerdings sei der Spalt bei der von Microsoft intendierten Nutzung – zwei (Büro)-Apps nebeneinander ausführen, sogar ein Vorteil, meint Heater. Der Spalt schaffe eine klare Abgrenzung zwischen den beiden Screens bzw. den geöffneten Apps.
Einige Produktivitäts-Apps wie etwa Google Gmail würden die beiden Screens schon sehr gut ausnutzen, ideal sei der Formfaktor aber vor allem, um E-Books zu lesen.
Wie beinahe alle Tester kritisiert Heater die Kamera. Es sei umständlich, schnell ein Foto zu schiessen, da man immer zuerst das Gerät öffnen müsse und zu allem Überfluss seien die Aufnahmen «nicht grossartig». Fairerweise müsse man sagen, dass Microsoft das Duo wohl nicht primär für Fotos gebaut habe und die Kamera primär für Videoanrufe gedacht sei.
Wie die anderen Tester berichtet Heater von Software-Bugs, so brach etwa die Bluetooth-Verbindung zu seinen Kopfhörern wiederholt ab. Auch dies ein Problem, das sich mit einem Update beheben lässt, aber bei einem 1400-Franken-Gerät sind solche Fehler unverzeihlich.
Ziemlich solide sei hingegen die Akkulaufzeit, die bei ihm für rund 1,5 Tage reiche.
Heater empfiehlt den Lesern, mit dem Kauf zu warten. Die Hardware sei für ein Gerät der ersten Generation zwar schon ziemlich gut, aber die Software werde mit ziemlicher Sicherheit bis zur zweiten Generation verbessert, da Microsoft erst jetzt Erfahrungen sammle, wie die Kunden das neue Gerät nutzen.
Einen besonders ausführlichen Testbericht liefert der Microsoft-Blog Windows Central. Microsoft-Kenner Daniel Rubino lobt, wie alle Tester, das 360-Grad-Scharnier. Das Duo lasse sich einfach öffnen und schliessen und die Displays blieben in jedem beliebigen Winkel geöffnet. Das Gewicht des Duos sei gut ausbalanciert, so dass man es gut halten könne. Zusammengeklappt sei das Duo zwar breiter, aber auch kürzer als klassische Smartphones und passe so gut in normale Hosentaschen.
Kernfunktionen wie das Verschieben der Apps von einem Bildschirm zum anderen oder das Öffnen über beide Displays hinweg funktioniere sehr gut. Keine Luftsprünge macht Rubino aber bei der Performance, die bestenfalls «OK» sei. Das liege vermutlich an der noch nicht fertig optimierten Software, was mit künftigen Updates verbessert werden könne. Denkbar sei aber auch, dass 6 GB Arbeitsspeicher für das Dual-Screen-Gerät zu knapp bemessen sei.
Dass man das Duo zuerst öffnen muss, um neue Benachrichtigungen zu sehen, empfindet Rubino, anders als andere Tester, als Vorteil. Wenn man das Duo schliesse, könne man sich ganz auf andere Aufgaben konzentrieren und werde nicht ständig abgelenkt. Wer trotzdem Angst habe, etwas zu verpassen, könne Benachrichtigungen auf einer Smartwatch anzeigen lassen.
Die Akkulaufzeit sei solid, er habe am Abend jeweils noch 25 bis 45 Prozent Kapazität gehabt.
Die Kamera sei «nicht grossartig, aber akzeptabel». Er habe heimlich mit dem Surface Duo geschossene Fotos auf Twitter gepostet und niemandem sei etwas aufgefallen. Die Kamera sei allerdings in der Nacht ein Totalausfall.
Mit Amazons Kindle-App könnten E-Books auf dem Duo fast wie ein normales Buch gelesen werden, was fantastisch sei.
Während einige ihr Handy nur für Textnachrichten, Instagram oder zum Telefonieren brauchen, sei das Surface Duo besser geeignet, um sich hinzusetzen und E-Mails zu lesen, Notizen zu machen (der Surface Pen wird unterstützt), Dokumente zu erstellen oder in Microsoft Teams (mit Arbeitskollegen) zusammenzuarbeiten. Das Duo sei daher im Moment nur etwas für Early Adopters, die auch unterwegs mit einem Smartphone arbeiten möchten und dabei primär Microsoft- und Google-Apps nutzen, da diese bereits für Dual-Screen-Geräte optimiert sind.
Die noch unausgereifte Software, wenige für Dual-Screen-Geräte optimierte Apps und der hohe Preis seien gute Gründe, vorerst bei dem Smartphone zu bleiben, das man bereits besitze. Insgesamt sei das Surface Duo «sehr vielversprechend, aber die Software braucht noch einen Feinschliff», bilanziert Rubino.
Das Tech-Magazin Input hat ebenfalls ein umfassendes Review publiziert. Tech-Journalist Raymond Wong hat sich in das Design verliebt und schreibt, er habe noch nie ein Gerät mit Scharnier gesehen, das sich so geschmeidig öffnen lasse. Das Surface Duo aus Glas fühle sich sehr gut an und obwohl es breiter als normale Smartphones sei, komme er damit gut zurecht.
Wong gefällt, dass Microsoft Googles Android-Benutzeroberfläche quasi unverändert belassen hat. Die von Microsoft zusätzlich eingeführte Möglichkeit, je eine App pro Display oder eine App auf beiden Displays darzustellen, sei aber noch nicht ganz ausgereift. Als er das Testgerät Ende August bekommen habe, war die Software träge, Wischgesten wurden teils nicht erkannt und Apps stürzten ständig ab. Microsoft habe die ärgsten Probleme vor dem offiziellen US-Marktstart per Update behoben, aber ganz rund laufe noch immer nicht alles.
Grundsätzlich sei es aber sehr simpel, Apps zwischen den beiden Displays zu verschieben oder zwei gruppierte Apps gleichzeitig zu öffnen. Microsoft habe Android sinnvoll für Dual-Screen-Geräte optimiert.
Das Duo könne zwar mehr als ein normales Smartphone und es sei vielseitiger, aber es brauche auch mehr als nur ein paar Tage, um zu lernen, wie man es für die eigenen Bedürfnisse nutzen könne. Ein Handy bedienen kann jeder, beim Duo muss man zuerst wieder Neues lernen, was wohl viele User frustrieren werde. Es sei daher eben längst nicht für jeden das richtige Gerät. Er selbst habe sich erst nach etwa zwei Wochen wirklich produktiv damit gefühlt, möchte das Gerät nun aber nicht mehr missen.
Wong macht in seinem Review auch auf ein grundlegendes Problem des Duos aufmerksam. Das für Smartphones ungewohnte Display-Format (4:3) führt dazu, dass in seltenen Fällen Apps fehlerhaft dargestellt werden. Käufer müssen also hoffen, dass Software-Entwickler ihre Apps und Games anpassen.
Apropos Games:
Microsoft's Surface Duo and retro games, a match made in heaven. https://t.co/1VSzZv9W3Y pic.twitter.com/txKhkY2RpK
— Input (@inputmag) September 11, 2020
Das Fazit: Microsoft zeigt, wie Dual-Screen-Geräte funktionieren können. Die innovative Hardware wird aber durch die noch unausgereifte Software ausgebremst. Die erste Generation ist daher nur etwas für experimentierfreudige Technik-Enthusiasten. Alle anderen warten besser auf die zweite oder dritte Generation.
Ich bin gespannt auf Apples Reaktion. Auch weil sie sich als Follower genügen müssen.
(Ich bin Apple-Umgebungs-User!)