Wenn in der fernen Zukunft eine Polizeieinheit einen riesigen Plüschhund als Maskottchen besitzt und in diesem Kostüm eine Polizeibeamtin durchs Revier stampft, um den Neuankömmlingen alles zu zeigen, schüttelt man den Kopf – und ist gleichzeitig amüsiert.
Die verrückten Gamedesigner aus Japan mit ihrem eigenwilligen Humor, man muss sie einfach lieben. Und davon gibt es in «Astral Chain» reichlich. Auch wenn die Story oft dramatisch daherkommt, schmunzeln muss man immer wieder.
Das passiert halt, wenn man Takahisa Taura, der bekannte Game-Designer von «Nier: Automata» und Hideki Kamiya, der bei der «Bayonetta»-Reihe seine Finger ganz tief im Spiel hatte, zusammenarbeiten lässt. Wird dieses dynamische Duo dann auch noch von der Manga-Legende Masakazu Katsura ergänzt, haben wir hier ein Trio Infernal, das wohl bei jeder neuen abgefahrenen Design-Idee in den Büroräumlichkeiten von Platinum Games regelmässig laute Highfives ausgetauscht hat. So jedenfalls die Vorstellung vor dem geistigen Auge.
«Astral Chain» kommt zu einem guten Zeitpunkt auf den Markt. Bevor der starke Spieleherbst richtig beginnt und ein Kracher nach dem anderen aufgesogen werden will, bekommen wir hier ein sehr feines, cyberpunkartiges Spiel im Spätsommer serviert, das uns wiedermal vergegenwärtigt, wie unterschiedlich Produktionen aus dem Osten und Westen sein können. Denn wenn jemand eine wahrlich abgefahrene Konzept-Idee hat, die uns Videospiel-Freunde verzücken und auch etwas verstören mag, dann sind es die Japaner.
Alleine wenn man sich der Anfangsgeschichte widmet und diese über sich ergehen lässt, möchte man mehrmals pausieren, um genauer darüber nachzudenken, was zur Hölle denn hier genau für eine Story kredenzt wird. Wer Erfahrungen mit japanischen Cyberpunk-Versionen besitzt, die für westliche Gemüter oft einfach zu viele Schippen auf den Ideenhaufen legen, wird schneller den Zugang finden. Andere legen die Stirn in Falten, können aber eine sich steigende Faszination nicht verneinen. Das ist die grosse Kunst von «Astral Chain».
Die Ausgangslage kommt natürlich ebenfalls äusserst krude daher: In der fernen Zukunft werden Menschen von Invasoren aus einer anderen Dimension regelmässig entführt. Immer mehr Portale öffnen sich, so dass die Menschheit kurz vor dem Aussterben steht. Doch die Sondereinheit Neuron will sich das nicht gefallen lassen und geht mit Hightech gegen die komischen Dinger vor.
Achtung, jetzt wird es ziemlich abgefahren: Als Primärwaffen dienen umgepolte Wesen aus eben jener feindlichen Dimension, die als aggressive Polizei-Sidekicks quasi gegen die eigene Rasse vorgehen müssen. Diese gezüchteten Meta-Energie-Wesen haben sowohl menschliche als auch tierähnliche Hüllen.
Im Fokus der Geschichte stehen zudem Zwillinge, von denen man einen als Spielfigur auswählt – sowie die etwas schwierige Beziehung zum Vater. Dieser griesgrämige Superbulle ist gar nicht begeistert, dass seine Sprösslinge jetzt laut dem Direktor die Auserwählten sein sollen, um die Invasoren für immer zurückzuschlagen. Nebst der üblichen Bedrohung von aussen gibt es also noch ein Familiendrama zu bestreiten, in das immer mehr Charaktere eingesogen werden. Langweilig wird es in «Astral Chain» definitiv nie.
Langweilig werden auch die Kämpfe nie. Da man nicht nur den ausgewählten Charakter, sondern auch gleichzeitig das umgepolte Wesen steuert, ergeben sich unzählige Möglichkeiten den Dimensionswesen mittels Ballerwerkzeug oder Hieb- und Stichwaffe den Garaus zu machen. Das Spiel geht dabei behutsam vor und nimmt sich Zeit. Schritt für Schritt wird man im Trainingslager aufgeklärt, was man denn alles anstellen darf. Und das ist jede Menge. Hat man schon ein paar Spielstunden auf dem Buckel, gibt es immer noch neue Moves zu lernen und neue Spezialfähigkeiten zu entdecken. Selbstverständlich kann man auch seinen Sidekick individualisieren und ihn so modifizieren, bis man den für sich perfekten Kampfstil gefunden hat.
Wer jetzt denkt, es warten nur zahlreiche Schnitzel-Action-Abschnitte, der irrt. Denn zwischendurch macht man einen auf Sherlock Holmes und geht in den Gassen der Metropole auf Spurensuche, um die versteckten Eindringlinge auszumachen und in ihre Welt zurückzuschicken. Bei der Suche nach Indizien helfen die Kreaturen an den Ketten stets mit und sorgen mit ihren Fähigkeiten dafür, dass einem nichts entgeht. Viel zu tun gibt es übrigens auch im Polizeirevier, wo viele kleine Geschichten warten und das Trainingslager regelmässig konsultiert werden sollte, um gegen grössere Gegner eine faire Chance zu erhalten.
Fazit: «Astral Chain» ist ein Genuss, wenn man sich für Videospiele mit einem dicken Japan-Stempel begeistern kann. Denn die Geschichte ist abstrus, der eingestreute Humor oft sehr eigenwillig und es braucht Geduld, bis man ganz tief in das Spiel eintauchen kann. Platinum Games hat ein Actionspiel kreiert, das mit seinen Bildexplosionen die Augen strapazieren kann, diese aber in den gemächlichen Detektiv-Passagen ruhen lässt. Und dann sieht diese japanische Kreation auch noch unverschämt gut aus und hat einen Soundtrack, den man sofort herunterladen möchte. Man kann sich diesem Spiel einfach nicht entziehen.
«Astral Chain» ist am 30. August exklusiv erhältlich für Nintendo Switch und freigegeben ab 16 Jahren.