Als Samsung am 26. Februar seine neue Flagschiff-Serie, Galaxy S20, vorgestellt hatte, fiel vor allem eines auf: der Preis des Top-Modells. Hatten Android-Anhänger sich bisher gerne über iPhone-Preise lustig gemacht, stösst nun auch Samsung in preislich galaktische Sphären vor: 1549 Franken will der Konzern für die beste Ausführung des S20 Ultra. Da schluckt man erst einmal leer.
Allerdings liefert Samsung mit dem Samsung Galaxy S20 Ultra 5G, so der etwas umständliche Name, auch ein Smartphone, das fast schon übertrieben gut ausgestattet ist. Vom Arbeitsspeicher (16 GB RAM) über das Display bis hin zur Kamera – wer sich das S20 Ultra kauft, kriegt gemäss Datenblatt nur das Beste vom Besten.
Trotzdem: Wenn man fast 1600 Franken für ein Smartphone ausgeben soll, muss einem dieses Gerät zu 100 Prozent überzeugen. Oder «flashen», wie man wohl heutzutage sagen würde. Ob Samsung das geschafft hat, haben wir mit unserem Testgerät rund vier Wochen lang herausfinden können.
Und im Falle des Galaxy S20 Ultra ist das vor allem eines: ganz schön gross, das Ding. Man ist fast versucht zu sagen klobig, aber das trifft es nicht ganz. Denn bei einer Display-Grösse von 6,9 Zoll hat es Samsung geschafft, ein relativ kompaktes Gerät zu bauen. Das zeigt der Vergleich mit dem iPhone 11 Pro Max: Obwohl dieses 0,4 Zoll kleiner ist, wiegt es sechs Gramm mehr.
Insgesamt ist das eine beachtliche Leistung der Samsung-Ingenieure, allerdings sind 220 Gramm dann doch nicht wenig. Das S20 Ultra ist gross und liegt schwer in der Hand. Dieser Eindruck rückt zwar mit der Zeit etwas in den Hintergrund, verschwindet aber nie ganz. Hier muss man sich ganz klar bewusst sein, dass man einen Kompromiss eingeht: beste Technik, dafür ordentlich Gewicht.
Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch eine Hülle. In unserem Fall war dies das offizielle Samsung-LED-Cover, welches das Gewicht dann auf stolze 254 Gramm erhöht hat. Das macht sich dann doch in der Hosentasche bemerkbar.
Auch optisch ist das S20 Ultra kein Telefon für die Massen: Ein riesiges Kameramodul setzt sich von einer Rückseite in Schwarz oder Grau ab. Wer es etwas farbiger mag, so wie bei den kleineren S20-Modellen, geht leer aus. Hier hatte man wohl die Nerds und Tech-Fans im Blick, die wohl nach der Meinung von Samsung nicht auf farbige Rückseiten stehen. Schade.
Unter dem Strich lässt sich sagen: Wer mit dem Gedanken spielt, sich ein S20 Ultra zu kaufen, sollte es unbedingt vorher in einem Laden in die Hand nehmen. Ansonsten könnte einem die Grösse und das Gewicht doch etwas überraschen.
Beim Display ist Samsung wie gewohnt auf höchstem Niveau. Nebst dem kristallklaren AMOLED-Panel gibt es dieses Jahr erstmals auch eine Bildwiederholungsrate von 120 Hertz. Technikenthusiasten dürften damit auf ihre Kosten kommen. Wer auf sowas keinen Wert legt, ist aber auch mit den 60 Hertz gut bedient, die standardmässig aktiviert sind.
Grundsätzlich ist 120 Hertz auch eine tolle Sache: Alles wirkt flüssiger und ruckelfreier. Wer das erste Mal 120 Hertz erlebt, wird es vermutlich als etwas seltsam empfinden. Man hat sich aber nach wenigen Stunden daran gewöhnt und danach möchte man nur schwer zurück auf 60 Hertz wechseln. Hier liegt aber auch ein kleiner Hund begraben: Wer sich für 120 Hertz entscheidet, hat bei zwei Dingen das Nachsehen:
Weshalb Samsung 120 Hertz mit WQHD+ noch nicht ermöglicht? Wer weiss. Bei Computer-Monitoren ist das kein Problem. Vielleicht ist die Technik einfach noch zu teuer für so kleine Displays. Ein anderer Grund könnte sein, dass Samsung verhindern will, dass man zwei Stromfresser wie 120 Hertz und WQHD+ gleichzeitig verwendet. Dies wäre durchaus verständlich, denn kombiniert würden sie den Akku wohl ruckzuck leersaugen.
Wer sich entscheiden muss, sollte 120 Hertz den Vorzug geben. Der Grund ist ganz einfach: Viele Apps sind noch nicht für eine Auflösung in WQHD+ optimiert und werden damit unschön dargestellt. Entweder sind ganze Elemente verschoben oder der Text schier unleserlich klein.
Ein durchzogenes Ergebnis erreicht der Fingerabdrucksensor. Positiv sticht er mit der Zuverlässigkeit hervor. Es kommt höchst selten vor, dass man den Finger ein zweites Mal auflegen muss. Selbst, wenn man seine Finger frisch eingecremt hat, reagiert der Scanner noch zuverlässig und fast immer beim ersten Versuch.
Was allerdings verwundert, ist die Geschwindigkeit. Ja, der Scanner ist zuverlässig, aber auch fast ein bisschen träge. So ist beispielsweise der Fingerabdruckscanner des Oppo Reno 2, das dreimal weniger kostet, merklich schneller.
Fairerweise muss man sagen, dass sich die beiden Sensoren nur bedingt vergleichen lassen, da sie auf verschiedene Technologien setzen. Während Oppo einen optischen Fingerscanner verwendet, verwendet Samsung einen Ultraschall. Dies soll viel sicherer sein als ein optischer Scanner – behauptet Samsung.
In den letzten Jahren musste Samsung sich bei der Kamera immer häufiger von der chinesischen Konkurrenz geschlagen geben. Nicht falsch verstehen: Samsung hat weiterhin gute Kamera-Handys gebaut, aber oft fehlte ihnen dieses gewisse Etwas.
Mit dem Galaxy S20 Ultra wollte Samsung nun wieder an die Spitze vorstossen. 108 Megapixel und ein 100-facher, digitaler Zoom sollten als Verkaufsargumente dienen. Beides Dinge, von denen erfahrene Fotografen wissen, dass sie kein Indiz für eine gute Kamera sind. Dennoch lässt sich der unerfahrene Kameranutzer von solchen Argumenten beeindrucken.
Die Marketing-Abteilung von Samsung hatte dann auch gleich den perfekten Namen für den 100-fachen Digital-Zoom: «Space Zoom». Der Name ist gar nicht mal so dumm, denn tatsächlich ist ein sehr weit entferntes Motiv nach dem Heranzoomen oft so verschwommen, dass es durchaus etwas von Weltraum hat.
Viel besser löst das S20 Ultra seine Zoom-Aufgaben, wenn man Motive aussucht, die nicht ganz so weit entfernt sind. In diesem Fall leistet der Hybrid-Zoom auch noch bei 10-facher Vergrösserung hervorragende Arbeit.
Schlimm ist das jetzt nicht unbedingt, denn sind wir mal ehrlich: von einem 100-fachen Digitalzoom in einem Smartphone kann man jetzt keine Wunder erwarten. Damit bleibt der 100-fache Zoom ein Gimmick.
Schade, hat sich Samsung hier nicht darauf konzentriert, den optischen Zoom zu verbessern, denn mit einem vierfachen, optischen Zoom hinkt Samsung der chinesischen Konkurrenz bereits wieder hinterher. Zum Vergleich: Das neue Huawei P40 Pro Plus vergrössert ebenfalls 100-fach digital, daneben aber auch 10-fach optisch.
Bei der Software hat Samsung vor allem eine neue Funktion namens Single Take hervorgehoben. Die Idee dahinter: Man hält die Kamera auf das Geschehen, kann auch schwenken, ohne sich darum kümmern zu müssen, ob man jetzt filmt, fotografiert und in welchem Modus.
Braucht man sowas? Nein, nicht unbedingt. Versierte Fotografen werden wohl nur ein müdes Lächeln dafür übrig haben. Allerdings ergibt der Modus für unerfahrene User durchaus Sinn – und selbst, wer etwas mehr Erfahrung hat, kann mit dem Modus durchaus seinen Spass haben.
Zum Einen macht das Galaxy S20 Ultra im Single-Take-Modus teilweise wirklich ansehnliche Vorschläge. Andererseits macht es auch Spass zu sehen, was dabei herauskommt, wenn man den Singe Take benutzt. Allerdings lohnt sich dieser Modus nur bei sich bewegenden Motiven. Wer beispielsweise einfach ein hübsches Haus mit Single Take in Szene setzen möchte, wird keine speziellen Ergebnisse erhalten.
Ganz zu Ende gedacht hat Samsung den Single-Take-Modus aber nicht. Zum einen wäre es sinnvoll gewesen, wenn es für Single Takes ein Extraalbum in der Fotogalerie geben würde. So muss man seine gebündelten Singel Takes (jeder Singel Take ist eine Art Minialbum) im normalen Fotoalbum zwischen all den anderen Fotos suchen. Immerhin sind Single Takes mit einem kleinen Punkt markiert.
Beim zweiten Punkt geht es um den Speicherplatz. Wer einen Single Take macht, erhält teilweise ein Dutzend Videos und Fotos. Davon wird man vielleicht eines, vielleicht auch zwei behalten wollen. Der Rest? Belegt unnötigen Speicherplatz. Ein Single Take kann – bei einer Aufnahmezeit von 15 Sekunden – schnell einmal 100 MB Speicher belegen. Hier wäre ein Hinweis nett gewesen, der einen fragt, ob man die restlichen Vorschläge behalten oder löschen möchte, wenn man seine Wahl getroffen hat.
Samsung hat im S20 Ultra einen ordentlichen Sensor verbaut, der zu den grössten im Smartphone-Bereich gehört. Die 108 Megapixel dienen dabei aber nicht nur dem Marketing. Die Idee: Bei schlechtem Licht werden mehrere Pixel – in diesem Fall neun Pixel – zu einem einzigen, grösseren Pixel zusammengefasst. Diesen Vorgang nennt man Pixel Binning.
Hier legt Samsung vor, denn während andere Smartphone-Hersteller beim Pixel Binning 4 Pixel zu einem zusammenfassen, sind es bei Samsung eben neun. 108 Megapixel werden damit zu 12 Megapixel, was bei schlechtem Licht ein Vorteil ist. Die Fotos werden damit nicht nur heller, sondern vor allem Detailreicher.
Während des Tages wechselt die Kamera dann automatisch auf 108 Megapixel. Die Frage ist natürlich, was einem so ein grosses Foto nützt? Klar, man kann hineinzoomen und einen Teil herausschneiden. Samsung hat sogar extra eine Funktion dafür eingebaut. Das ist nett. Aber braucht man das wirklich so oft? Vermutlich eher nicht.
Glücklicherweise kann man aber auch manuell auf 12 Megapixel umschalten. Wer nämlich mit 108 MP fotografiert und daraus keinen Nutzen zieht, belastet nur unnötig seinen Speicherplatz. Ein weiterer Grund, der gegen ein 108-MP-Foto spricht, ist die Verzögerung beim Auslösen. Diese dauert auch bei Tag rund eine Sekunde, was vor allem bei beweglichen Motiven kontraproduktiv ist.
Bei Tageslicht werden Bilder scharf, die Farben wirken satt, aber nicht übersättigt. Hier bietet Samsung auch viele Spielereien, die teilweise durchaus Fotos mit Wow-Effekt ermöglichen. Diese Features findet man aber auch in den günstigeren Modellen, was natürlich wiederum die Frage offen lässt, wofür man sich das teuerste Modell kaufen soll?
Richtig Mist gebaut hat Samsung beim Videomodus. Anders kann man es schlicht nicht ausdrücken. Der Grund: Der Autofokus weigert sich stellenweise schlicht, zu fokussieren. Da tippt man mehrere Male aufs Display, ohne, dass das Motiv scharf gestellt wird.
Und das passiert nicht etwa nur bei schwierigen Motiven wie Grashalmen. Selbst wenn man mitten am Tag sein obligatorisches Katzenfoto schiessen möchte, kann es vorkommen, dass der Autofokus einen Aussetzer hat. Richtig Mühe hat der Autofokus aber oft bei schummrigem Licht. Hier versucht die Kamera manchmal, mehrere Sekunden ein scharfes Bild hinzukriegen – und schafft es dann schlussendlich doch nicht.
Bei einem Smartphone, das fast 1600 Franken kostet, ist das ein absolutes No-Go. Alleine wegen dieses Mangels ist das Galaxy S20 Ultra für Video-Fans aktuell schlicht keine Kaufempfehlung wert.
Bleibt zu Hoffen, dass Samsung hier mit Software-Updates nachbessern kann. Bisher ist das aber trotz eines grösseren Updates während unseres Test-Zeitraums nicht geglückt.
Samsung hat dem Galaxy S20 Ultra 5G einen grosszügigen Akku von 5000 mAh spendiert. Das klingt nach zwei Tagen Akkulaufzeit. Leider ist das S20 Ultra ein sehr stromhungriges Handy. Nur schon 5G braucht etwas mehr Strom. Das weiss auch Samsung und deaktiviert im einfachen Stromsparmodus 5G standardmässig. Immerhin kann man auch ohne Stromsparmodus in den Einstellungen nur 2G/3G/4G als Zugangspunkte auswählen. Wer also kein 5G-Abo hat, sollte das unbedingt machen, den im einfachen Stromsparmodus reduziert Samsung die Geschwindigkeit auf 70 Prozent.
Ein weiterer Stromfresser ist das 120-Hertz-Display. Hat man dieses aktiviert, schafft man es sehr selten über den ganzen Tag. Im besten Fall reicht der Akku, bis man um sechs wieder zuhause ist. Dann sollte das S20 Ultra aber langsam wieder an die Steckdose.
Auch wer das Display auf die höchste Auflösung hochschraubt (zugunsten von 120 Hertz), muss mit einem erhöhten Stromverbrauch rechnen. Hier muss man sich ganz klar bewusst sein: Wer ein neues Galaxy-Gerät mit möglichst langer Akkulaufzeit möchte, sollte sich lieber das Galaxy S20 oder S20 Plus kaufen.
Hängt das Gerät dann an der Steckdose, ist es in etwa 64 Minuten wieder voll. Das ist für einen 5000 mAh-Akku ein guter Wert, über den man sich nicht beschweren kann.
Nein, ein schlechtes Smartphone ist das Samsung Galaxy S20 Ultra 5G nicht. Das Display ist top, die Ausstattung fast schon übertrieben gut und viele neue Features werden Tech-Enthusiasten begeistern.
Für einen Dämpfer sorgt aktuell die Kamera. Der Space Zoom ist ein nettes Gimmick, mehr nicht. Wirklich frustrierend ist aktuell aber der Videomodus. Wie kann es sein, dass ein Smartphone in dieser Preisklasse sich manchmal geradezu weigert, das Motiv scharfzustellen? Hier hat Samsung definitiv gepatzt und muss dringend mit einem Software-Update nachbessern.
Samsung hatte mit dem Ultra 5G einen neuen Smartphone-Primus abliefern wollen. Herausgekommen ist stattdessen ein Gerät, das zwar durchaus seinen Reiz hat, aber insgesamt nicht über ein «Gut» hinauskommt. Für 1600 Franken ist das aber zu wenig. Wer auf Technikspielereien wie 120 Hertz und Hardware-Wahnsinn wie 16 GB RAM Arbeitsspeicher verzichten kann, wird mit einem Smartphone unter 1000 Franken glücklicher werden.
Dazu garantiert Samsung nur 2 Jahre lang Support mit aktueller Software. Google garantiert bei den eigenen Handys immerhin 3 Jahre. Apple garantiert 5 Jahre aktuelle Software und Sicherheitsupdates.
Samsung verbaut überzüchtete Hardware, behandelt ihr 1500-Franken-Handy danach aber wie ein Wegwerf-Produkt...