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Interview

«Frau Kent, sind Gamer Sexisten?»

Frauen haben einen schweren Stand in Spielen wie Ubisofts «Assassin' Creed»-Reihe.
Frauen haben einen schweren Stand in Spielen wie Ubisofts «Assassin' Creed»-Reihe.Bild: Ubisoft
Interview mit Game-Entwicklerin

«Frau Kent, sind Gamer Sexisten?»

In der überwiegenden Mehrheit aller Games ist ein Mann die Hauptperson. Das mag Besitzer des Y-Chromosoms nicht gross stören, Frauen fühlen sich dagegen oft vernachlässigt. Game-Entwicklerin Jasmine Kent erklärt, was in der Industrie falsch läuft.
16.06.2014, 23:0615.07.2014, 15:08
Philipp Rüegg
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Im neuen «Assassin's Creed Unity» wird man als Mann spielen. Was die eine Hälfte der Bevölkerung gar nicht erst wahrnimmt, stösst der anderen Hälfte sauer auf. «Zu viel zusätzliche Arbeit», begründete Entwickler Ubisoft das Fehlen einer weiblichen Hauptfigur. Das Studio ist bei Weitem nicht alleine. Wo man hinsieht, spielt man einen männlichen Weissen. Erwägt ein Studio wie etwa Naughty Dog bei «The Last of Us» die zweite Hauptfigur Ellie auf dem Cover in den Vorgrund zu rücken, macht sich gleich Widerstand breit, weil man Verkaufseinbussen fürchtet. Ist die Game-Industrie sexistisch? 

watson hat mit Jasmin Kent gesprochen. Die britische Entwicklerin stand schon bei Sega und Google unter Vertrag und arbeitet derzeit beim Indie-Studio Code Artemis in Zürich am Game «Trigger Rally»

Warum gibt es in Games so wenig Frauen? 
Jasmine Kent: Ich nehme an, Sie reden von weiblichen Spielfiguren? Obwohl es auch wenig Frauen gibt, die in der Game-Industrie arbeiten. Ich denke, es liegt hauptsächlich am vermuteten Risiko. Ein Game zu veröffentlichen ist eine finanziell riskante Angelegenheit. Darum halten sich die Leute an das, was sie kennen und wissen, dass es funktioniert – meistens sind das männliche Haupt- und Nebencharaktere. Aus dem selben Grund sehen wir so viele uninspirierte Fortsetzungen und Klone.

Jasmine Kent arbeitet derzeit in Zürich bei Code Artemis.
Jasmine Kent arbeitet derzeit in Zürich bei Code Artemis.Bild: ZVG
«Ein Game zu veröffentlichen ist eine finanziell riskante Angelegenheit. Darum halten sich die Leute an das, was sie kennen und wissen, dass es funktioniert»

Selten sieht man in Games Frauen mit einem ausgeprägten Charakter. Wie kommt das? Die Filmindustrie scheint den Dreh raus zu haben.
Da bin ich anderer Meinung. Die Filmindustrie leidet immer noch unter einem riesigen geschlechtlichen Ungleichgewicht. Hier hat es eine sehr eindrückliche Infografik zu dem Thema.

Jedes Jahr gibt es mehr Frauen, die Games spielen. Hat das keinen Einfluss auf die Industrie?
Es hat die Industrie mit Sicherheit beeinflusst, aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Wenn Entwickler mit Daten zur Geschlechterverteilung konfrontiert werden, scheinen sie zu versuchen, ihr Produktangebot in Games für Männer und Games für Frauen zu unterteilen – was nicht hilfreich ist.

Wie ändert man die Art, wie Frauen in Spielen portraitiert werden? 
Druck auf die Entwickler auszuüben, scheint die beste Lösung zu sein. Wenn man in einem Game auf Sexismus trifft, muss man den Publishern und Entwicklern deutlich machen, dass sowas innakzeptabel ist. Besonders wichtig ist das für Game-Kritiker und Journalisten, wenn sie ein Review schreiben.

Im neusten «Assassin's Creed»-Teil wird man keine Frau spielen können, weil es zu aufwendig sei.
Im neusten «Assassin's Creed»-Teil wird man keine Frau spielen können, weil es zu aufwendig sei.Bild: Ubisoft
«Viele Leute in der Branche nehmen Ubisofts Begründung, ‹es wäre zu viel Arbeit gewesen›, nicht hin»

Ubisoft gab bekannt, dass man in «Assassin’s Creed Unity» keine Frau spielen könne, weil es zu viel zusätzliche Arbeit bedeutet hätte. Wieso lohnt sich dieser Aufwand nicht? 
Viele Leute in der Branche nehmen Ubisofts Begründung, «es wäre zu viel Arbeit gewesen» nicht hin. Schliesslich haben sie auch die Zeit gefunden, eine riesige und detaillierte Rekonstruktion von Paris zu erschaffen. Ein Spiel zu entwickeln ist immer mit viel Arbeit verbunden. Die entscheidende Frage ist, wo die Prioritäten liegen. Ich denke, Ubisoft hat seine in diesem Fall eindeutig gezeigt.

Selbst im neuen «Tomb Raider» ist die Wahrnehmung von Frauen fragwürdig. Die Game-Bloggerin Leigh Alexander meinte dazu zynisch: «Eine Frau, die durch ein Trauma stark wird, der einzige Weg für Frauen stark zu werden». Wie sehen Sie das? 
Es scheint in Games tatsächlich ein Muster zu geben, dass man der Hintergrundgeschichte weiblicher Charaktere mehr Tiefe verleiht, indem man sie irgendein Trauma durchleiden lässt. Vielleicht gehen die Entwickler davon aus, dass das Leiden des Charakters bei männlichen Spielern den Beschützerinstinkt weckt – statt wirklich mit der Heldin mitzufühlen oder zu glauben, dass ihre Stärken ihr eigen sind und nicht einer Erfahrung entsprungen sind. Die Botschaft ist keine positive, egal wie man es dreht.

Lara Croft wird nach traumatischen Erlebnissen zur Heldin.
Lara Croft wird nach traumatischen Erlebnissen zur Heldin.Screenshot: YouTube/Rabidretrospective
«Die entscheidende Frage ist, wo die Prioritäten liegen. Ich denke, Ubisoft hat seine in diesem Fall eindeutig gezeigt»

Wie lange wird es dauern, bis Frauen in Games gleichberechtigt dargestellt werden? 
Ich denke es wird ein langer Kampf sein – genau wie in der Film-Industrie.

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Liegt das Problem an der Branche oder gibt sie den Menschen einfach, was sie wollen? 
Es ist ein riesiges Problem. Die Industrie ist auf eine kleine Minderheit fokussiert und lässt sich dadurch einen riesigen potentiellen Profit entgehen, weil sie Angst hat, zu experimentieren. Das zeigt sich, wenn man den Erfolg alternativer Publikationswege anschaut. Der «Veronica Mars»-Film beispielsweise finanzierte sich über Kickstarter mit 5,7 Millionen US-Dollar direkt durch seine Fans.

Wie ist es, ständig als Mann spielen zu müssen? 
Ich finde es schwieriger, mich emotional in ein Spiel zu versetzen, das nur eine männliche Spielfigur anbietet. Bei gewissen Spielen lohnt es sich dennoch, wie in der «Zelda»- oder «Deus Ex»-Reihe. Aber ich ziehe ein «Perfekt Dark» immer noch einem «Golden Eye» vor oder ein «Mirror’s Edge» einem «Assassin’s Creed».

«Die meisten Menschen sind auf einem bestimmten Level Sexisten»

Sind Gamer Chauvinisten? 
Ich glaube die meisten Menschen, Männer und Frauen, mich eingeschlossen, haben eine Tendenz, die Meinungen von anderen zu glauben. Wir ziehen vorschnelle Schlüsse aufgrund einfach sichtbarer Attribute wie dem Geschlecht. Das heisst, dass die meisten Menschen und viele Gamer auf einem gewissen Level Sexisten sind. Wir müssten uns diesem Umstand bewusst werden, damit wir diese Tendenz verlieren und aufhören so zu reagieren.

Stört Sie das? 
Ja, es stört mich, aber ich habe nicht die Energie, mehr zu tun, als mein kleiner Beitrag, um die Leute aufzuwecken. Ich habe grossen Respekt vor Aktivisten, die Sexismus und andere Formen der Diskriminierung bekämpfen.

In «The Last of Us» und in «Bioshock Infinite» sorgten die DVD-Hüllen für Aufregung, als es darum ging, eine Frau statt einen Mann aufs Cover zu packen. «The Last of Us» druckte schliesslich eine Special-Edition mit beiden Varianten. Wie kann das so einen grossen Unterschied machen? 
Ich denke, der einzige Ort, an dem es einen Unterschied macht, ist im Kopf des Publishers, denn sowohl «Bioshock Infinite» als auch «The Last of Us» verkauften sich hervorragend.

Welche weiblichen Spielfiguren gefallen Ihnen besonders und welche können Sie nicht ausstehen? 
Ein paar meiner Lieblinge sind Lara Croft («Tomb Raider»), Joanna Dark («Perfect Dark») und Cate Archer («No One Lives Forever»). Mir fällt niemand ein, den ich nicht ausstehen konnte, aber mein liebster Videogame-Bösewicht ist definitiv Glados aus der «Portal»-Reihe.

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