Huawei hat am Donnerstagnachmittag sein zweites Flaggschiff präsentiert, das ohne Google-Dienste auskommen muss. Doch während der Konzern im Herbst bei der Präsentation des Mate 30 Pro noch eher ratlos wirkte, sieht das nun anders aus.
Software-seitig hat der Konzern zwar noch nicht alle Probleme gelöst, aber dennoch grosse Schritte Richtung Unabhängigkeit vom Googles Play Store gemacht. Bei den neu präsentierten Smartphone-Modellen der P40-Serie zeigen die Chinesen, dass man vor allem im Bereich der Kamera noch immer zur absoluten Spitze gehört.
Insgesamt umfasst die P40-Serie, wie schon die P30-Serie im letzten Jahr, drei Modelle mit unterschiedlicher Ausstattung. Folgende Geräte schickt Huawei ins Rennen:
Erfreulich ist, dass Huawei bei der Grösse der drei Modelle nicht beim Trend mitzieht, Smartphones rauszubringen, die beinahe sieben Zoll-Displays haben. Neu ist dafür, dass Huawei die Ränder bei den beiden Pro-Modellen auf allen vier Seiten leicht abrundet – wobei die Krümmung am oberen Rand nicht so stark ist wie bei den restlichen Rändern.
Dies verstärkt die Illusion des randlosen Displays noch ein bisschen mehr. Gleichzeitig sind die Pro-Modelle trotz ihrer sechseinhalb Zoll angenehm schmal. Glücklicherweise hat Huawei darauf verzichtet, das Display um fast 90 Grad um die Kanten zu biegen, wie das noch beim Mate 30 Pro der Fall war.
Letztes Jahr hat Huawei mit der P30-Serie zweifarbige Rückseiten eingeführt, die je nach Lichteinfall leicht anders aussehen. Da mittlerweile fast alle Hersteller Smartphones mit dem «Twilight-Effekt» im Programm haben, versucht man bei Huawei neue, farbliche Wege zu gehen.
Die Rückseite besteht laut dem Handy-Hersteller aus «Frosted Glass». Der Vorteil dieses Materials sei, dass Fingerabdrücke der Vergangenheit angehören.
Im Bereich der Smartphone-Kameras hat Huawei in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, was technisch möglich ist. Auch mit dem neusten Flaggschiff reizt der chinesische Handy-Hersteller die Grenzen aus und zeigt, wohin dir Reise in den nächsten Jahren gehen könnte.
Aktuell tobt bei den Herstellern ein regelrechter Zoom-Krieg, wobei es Huawei selbst war, der diesen vor ein paar Jahren losgetreten hat. Mittlerweile wirbt unter anderem Oppo mit 60fachem Zoom oder Samsung gar mit einem 100fachen Space Zoom. Der Nachteil: Diese unglaublichen Zoomfähigkeiten werden nur digital erreicht und bringen in der Praxis wenig.
Besser ist hier natürlich ein optischer Zoom, bei dem nicht digital vergrössert wird, sondern physisch mit dem Einsatz von Linsen. Während die Konkurrenz sich oft mit zweifach oder dreifach optischem Zoom begnügt, hat Huawei bereits letztes Jahr mit der P30-Serie einen fünffachen, optischen Zoom vorgestellt.
Mit dem Nachfolger verdoppelt Huawei diese Zahl nun. Tatsächlich haben es die Chinesen irgendwie geschafft, einen zehnfachen, optischen Zoom in das Gehäuse zu verbauen, ohne dass dieses klobiger wirkt als andere Smartphones. Wer sich dieses Feature gönnen möchte, muss allerdings zum teuersten Modell, dem P40 Pro Plus, greifen.
Bei der Auflösung der Hauptkamera macht Huawei nicht beim Megapixel-Wahn anderer Hersteller mit. Das Pro-Modell löst mit maximal 50 MP aus und bietet die gewohnten Modi, die man bei heutigen Smartphones erwartet. Eine wesentliche Änderung gegenüber der P30-Serie gab es dann aber doch: Wer Fan von Makrofotografie ist, geht nun leer aus, denn Huawei hat die Makrolinse weggelassen.
Huawei hat in seiner neuen P40-Serie die grössten Sensoren verbaut, die bei Smartphones aktuell zum Einsatz kommen. Damit soll 40 Prozent mehr Licht aufgenommen werden, was natürlich vor allem bei wenig Licht ein immenser Vorteil sein dürfte.
Der Autofokus habe man dabei so sehr verbessert, dass er selbst im Dunkeln, wenn das blosse Auge nichts mehr genau erkennen kann, in unter zwei Sekunden fokussieren soll.
Verbessert hat Huawei auch die Videofunktion. So kann man im 4k-Ultraweitwinkelmodus zoomen. Ebenfalls hat man die Slow-Motion aus dem Mate 30 Pro übernommen - wer möchte, kann Zeitlupen mit 7680 Bildern pro Sekunde aufnehmen.
Bei der Selfie-Kamera setzt Huawei neu auf eine Dual-Linse mit 32 Megapixeln, die damit auch Tiefenunschärfe ermöglicht. Ebenfalls wird die Kamera für Gestensteuerung und Gesichtserkennung eingesetzt. Letztere soll selbst bei wenig Licht problemlos funktionieren.
Grosse Fortschritte will Huawei auch bei der Kamerasoftware gemacht haben. So gibt es diverse neue Features, die das Fotografieren für Laien einfacher machen soll. Die interessanteste Neuerung ist dabei ein Feature namens Best Moment. Huawei möchte damit Personen, die sich nicht mit Dingen wie Goldener Schnitt, Belichtungszeit und anderen Foto-relevanten Themen auseinandersetzen wollen, unter die Arme greifen.
So habe man die «künstliche Intelligenz» der Kamerasoftware mit tausenden Bildern gefüttert, damit diese lerne, wie eine gute Komposition aussehen soll. Unterstützt werden aktuell sieben Sportarten und zehn Körperhaltungen und Gesichtsausdrücke. Drückt man dann auf den Auslöser, macht die Kamera mehrere Fotos. Anschliessend kriegt man alle Bilder zur Auswahl angezeigt und die Software schlägt einem auch gleich das beste Bild vor - eben den Best Moment.
Best Shot beinhaltet aber zwei weitere Funktionen, die fast noch interessanter sind:
Die Software soll imstande sein, Reflexionen, die beispielsweise auf Glas auftreten, deutlich zu reduzieren. Im Beispiel, das Huawei bei der Präsentation gezeigt hat, wurde eine Vitrine in einem Museum fotografiert - und tatsächlich waren die Reflexionen beinahe vollständig verschwunden.
Die Software kann störende Passanten, die im Hintergrund eines Fotos vorbeigehen, automatisch retuschieren. Je nach Foto soll die Software fähig sein eine bis drei vorbeigehende Personen wegzuretuschieren. Möglich wird dies, indem die Kamera mehrere Bilder nacheinander schiesst und dann zu einem kombiniert, in dem die Passanten im Hintergrund nicht mehr zu sehen sind.
Was diese beiden Features wirklich taugen, wird allerdings erst unser Praxistest zeigen.
Ein weiterer Bereich, bei dem nun alle Hersteller aufrüsten, ist die Bildwiederholungsrate beim Display. Standard waren bisher 60 Hertz, Hersteller wie Samsung oder Oppo haben diesen Wert mit ihren neusten Flaggschiffen nun auf 120 Hertz angehoben. Damit wirkt zwar alles viel flüssiger, allerdings ist das auch nicht gerade akkuschonend. Daher kann man beim Galaxy S20 Ultra und dem Find X2 Pro auch auf die Batterie-schonendere 60 Hertz wechseln.
Huawei geht bei der P40-Serie einen eigenen Weg: Das Display kommt standardmässig in 90 Hertz daher. Dies soll laut Huawei die ideale Balance zwischen flüssigem Display und möglichst langer Akkulaufzeit sein, «die Kunden von uns erwarten». Allerdings kann man auch bei Huawei auf 60 Hertz wechseln.
Wer sich das teuerste Modell mit Keramikrückseite und Top-Kamera kaufen möchte, bezahlt 1399 Franken. Das P40 Pro kostet 999 Franken und das P40 799 Franken. Die Schweizer Preise stehen im Moment noch aus. Wir tragen diese nach, sobald sie bekannt sind.
Auslieferdaten:
Um den Kauf etwas anzukurbeln, schenkt Huawei allen, die ein P40 Pro kaufen, ein MediaPad M5 Lite.
Der grosse, grimmige Elefant im Raum ist und bleibt aber noch immer die fehlende Google-Zertifizierung für Huawei-Geräte. Die US-Regierung erteilt zwar seit ein paar Monaten Ausnahmelizenzen für die Zusammenarbeit mit Huawei - so unter anderem an Microsoft - doch bei Google scheint Trumps Administration streng zu bleiben. Damit kommt auch die P40-Serie ohne Google-Unterstützung.
Huawei hat aber inzwischen sehr viel auf die Beine gestellt und die eigene App Gallery massiv ausgebaut. Dabei geht der Konzern teilweise sehr kreative Wege, damit User trotzdem an Apps wie WhatsApp, Instagram oder auch den SBB-Fahrplan kommen.
Damit hat Huawei zwar noch immer diverse Lücken bei der App-Abdeckung, aber das Angebot insgesamt doch schon ziemlich ausgebaut. So finden sich in der App Gallery beispielsweise die gesamte Angebotspalette von Microsoft Office, aber auch bekannte Namen wie Deezer, Booking.com oder Telegram. Auch aus der Schweiz sind immer mehr Apps offiziell in der App Gallery zu finden (so auch watson).
Wer ohne Google-Apps zurechtkommt, erhält damit ein solides Angebot, bei dem sich bereits zu einigen Google-Apps Alternativen oder zumindest Workarounds finden lassen. Wie gut diese dann effektiv als Ersatz taugen, muss sich aber erst noch zeigen.
Auch bei der neuen Benutzerobefläche EMUI 10 hat Huawei diverse Verbesserungen vorgenommen. Unter anderem unterstützt es nun die sogenannte« Multi-Window»-Funktion. Mit dieser kann man nicht nur Programme übereinander darstellen, sondern auch Bilder und Text per Drag-and-Drop hin- und herverschieben.
Ebenfalls soll es möglich sein sogenannte «Floating Windows» einzublenden. Diese werden über einem aktuell offenen Programm eingeblendet, sodass man nicht mehr zwischen Programm-Tabs hin- und herwechseln muss. So könne man beispielsweise, wenn man ein Video schaue und eine Nachricht erhalte, einfach kurz antworten, ohne das Videofenster verlassen zu müssen.
Fast schon beiläufig hat Huawei seine neue Sprach-Assistentin namens Celia vorgestellt. Diese soll in Zukunft Google Assistant ersetzen - auch wenn Huawei dies natürlich nicht gesagt hat.
Wann genau Celia nach Europa oder in die Schweiz kommt, ist aktuell noch unklar. Celia soll laut CEO Richard Yu aber nach und nach weltweit ausgerollt werden.
Wer eine Sprachassistentin hat, braucht natürlich auch entsprechende Hardware dazu. Diese kommt im Form des smarten Lautsprechers Huawei Sound X daher und soll der aktuell leistungsstärkste Lautsprecher mit Sprachassistentin sein.
Weiterhin hat Huawei nun auch seinen eigenen Fotodienst, der schwer an Google Fotos erinnert. Genau wie der Dienst des Suchmaschinenriesen werden bei Huaweis Fotodienst Bilder auf allen Endgeräten synchronisiert. Wer Bilder teilen möchte, kann einfach einzelne Fotos oder ganze Alben freigeben.
Dennoch lässt sich natürlich nicht wegdiskutieren, dass Huawei noch immer grosse Namen wie beispielsweise Spotify oder Netflix in ihrer App Gallery fehlen. Hier startet der Smartphone-Hersteller nun eine Grossoffensive: Mit Huawei Music und Huawei Video werden gleich zwei Streaming-Dienste lanciert.
Während Huawei Music schlicht ein Konkurrent zu Spotify, Apple Music und Co. ist, ist Huawei Video keine Konkurrenz zu Netflix und Co. Vielmehr könnte man den Dienst wohl als iTunes-Movies-Konkurrent betrachten: Auf der Plattform kann man Filme und Serien mieten, aber auch ausgesuchte TV-Programme empfangen. Ergänzend sollen ausgesuchte Inhalte, wie Kurzfilme, auch gratis erhältlich sein.