Zwei Jahre ist es her, seit der US-Bann Huawei von Google-Software abgeschnitten hat. Nun bringt der Konzern sein eigenes Betriebssystem HarmonyOS in Stellung. An einer Keynote am 2. Juni hat Huawei die Katze aus dem Sack gelassen und sein neues OS ausführlich vorgestellt. Nebst dem Software-Launch hat der Konzern auch diverse neue Geräte angekündigt, die ab Werk mit HarmonyOS ausgestattet sind. Diese starten auch in der Schweiz.
Huawei kritisiert bei bestehenden Betriebssystemen, dass diese jeweils für bestimmte Plattformen entwickelt werden. So gebe es beispielsweise ein OS für Smartphones, eines für Tablets und eines für Smartwatches. Mit HarmonyOS gebe es nun erstmals ein einziges Betriebssystem, das auf sämtlichen Smart-Devices laufe.
Ein Alleinstellungsmerkmal ist dabei die Möglichkeit, dass man mit HarmonyOS verschiedene Geräte ohne Pairing miteinander verbinden und kombinieren könne. Das ganze kann man sich wie eine Art Baukasten aus HarmonyOS-Geräten vorstellen: Man verbindet beispielsweise das Smartphone gleichzeitig mit der Drohne und einer Handkamera und kann so eine Art Super-Device erhalten, wie Huawei es nennt. Nun kann man über das Smartphone den Blickwinkel der Drohnenkamera einnehmen und verändern, ohne, dass dazu eine App notwendig wäre.
In einem weiteren Szenario kann man beispielweise das Tablet als externen, kabellosen Monitor für den Laptop benutzen. Das Tablet kann dabei ganz normal als erweiterter Monitor oder im «Mirror Mode» genutzt werden. Dabei nutzt man auf dem Tablet die Maus und die Tastatur des Hauptgerätes, wie man das von einem normalen zusätzlichen Bildschirm via Kabel kennt.
Um die ganzen Geräte einfach zu verbinden, gibt es auf dem Smartphone einen Controll-Hub. Hier tauchen automatisch alle HarmonyOS-Geräte in der Nähe auf, die im gleichen Netzwerk sind. Um sich mit einem Gerät zu verbinden, muss man dieses einfach per Drag-and-Drop auswählen. Pairing via Bluetooth oder über eine App entfällt.
Auch die Kollaboration zwischen verschiedenen Arbeitsgeräten soll wesentlich einfacher sein. Durch den Smart Hub soll man Dateien einfach via Drag-and-drop hin- und herziehen können. Ebenfalls muss man beispielsweise nicht eine eigene Controll-App für einen smarten Kühlschrank installieren. Stattdessen poppt auf dem Handy einfach ein neues Widget auf, sobald man das Smartphone erstmals an den Kühlschrank hält. In diesem ist dann die ganze Steuerung des Kühlschranks hinterlegt. Voraussetzung ist natürlich, dass der Kühlschrank mit HarmonyOS läuft.
Unter dem Strich soll HarmonyOS sogenannte «Connecting Apps», die bisher häufig gebraucht wurden, um Geräte verschiedener Marken zu verbinden, selbst wenn diese das gleiche OS nutzten, überflüssig machen.
Eine weitere Möglichkeit des Super Devices ist es, dass man nicht mehr zwingend eine App herunterladen muss, solange sie auf einem der verbundenen Geräte installiert ist. Huawei erklärt das so: Hat man beispielsweise eine Anwendung auf dem Smartphone installiert, kann man sie auf dem verbundenen Tablet verwenden, ohne, dass man sie dort installieren muss. Die beiden Geräte teilen sich, sobald sie verbunden sind, sogar den Task Manager.
Huawei hat bisher mit weltweit mit über 600 Marken Partnerschaften etablieren können. Darunter sind unter anderem auch Volvo und die Schweizer Uhrenmarke Tissot.
In China startet der Rollout von HarmonyOS per sofort. Interessierte Nutzer*innen können sich ab sofort für ein Upgrade auf HarmonyOS anmelden. In den nächsten Wochen wird Huawei über 100 seiner Modelle auf HarmonyOS umstellen. Das inkludiert sogar Modelle, die teilweise fünf Jahre alt sind wie das P9. Ausserdem bietet der Konzern Nutzer*innen von alten Huawei-Modellen einen Display- und Akkuaustausch zum Spottpreis an. Wer möchte, kann seinen alten Akku für umgerechnet knapp 12 Franken austauschen lassen.
Kein Wort verloren hat Huawei über ein Upgrade von Smartphone-Modellen ausserhalb Chinas, die kein GMS haben. Es dürfte aber klar sein, dass Huawei hier vorsichtig vorgehen wird, da die AppGallery im Moment noch immer keine Konkurrenz in Sachen App-Angebot ist.
Nebst der Android-Alternative hat Huawei auch diverse Produkte vorgestellt, darunter auch eine neue Smartwatch und zwei Tablets, die alle ab Werk mit HarmonyOS ausgeliefert werden. Huawei hat bereits bestätigt, dass die folgenden neuen Produkte auch in der Schweiz erscheinen:
Bereits im Frühling hat Huawei einen Smart-TV vorgestellt, den Vision S, der ebenfalls mit HarmonyOS in der Schweiz starten wird. Für alle neu angekündigten Produkte gibt es aktuell noch kein offizielles Startdatum.
Die grössere Produktpalette spiegelt die Bemühungen des Konzerns wider, sich im Elektronikbereich breiter aufzustellen. So möchte man die sinkenden Verkaufszahlen bei Smartphones kompensieren.
Die Watch 3 kann dank eSIM und einem direkten Zugriff auf die AppGallery unabhängig vom Smartphone betrieben werden. So kann beispielsweise via der Spotify-Alternative Huawei Music auch Musik über die Smartwatch gehört werden, wenn man diese mit kabellosen Kopfhörern koppelt. Ansonsten bietet die Watch 3 alles, was man sich von Smartwatches gewöhnt ist. Unter anderem gibt es animierte Ziffernblätter, Schlaf-Tracking und über 100 Workout-Modi.
Ein Alleinstellungsmerkmal ist der verbaute Temperatursensor, mit dem man seine Körpertemperatur überwachen kann. Im Standard-4G-Modus hält die Watch 3 Pro laut Huawei drei Tage, die Pro-Variante fünf Tage durch. Im Ultra-Stromsparmodus soll der Akku sogar für 14 Tage reichen und die wichtigsten Tracking- und Sport-Modi trotzdem verfügbar sein.
Ein Nachteil, der sich durch HarmonyOS bereits abzeichnet, ist das mobile Bezahlen. Obwohl die Watch 3 alle technischen Voraussetzungen mitbringt, konnte Huawei in der Schweiz bisher noch keinen eigenen Bezahldienst etablieren. Anders sieht das in Deutschland und Österreich aus, wo Huawei mit dem Start-up Bluecode zusammenarbeitet.
Einen neuen Weg möchte Huawei laut eigener Aussage bei den Tablets gehen. Hier setze man in Zukunft mehr auf Produktivität statt auf Unterhaltung. Im Zuge dessen hat der Konzern das MatePad Pro vorgestellt. Mit seinem M-Pencil positioniert Huawei das Tablet klar als Konkurrenzprodukt zum iPad Pro. Mit einer Grösse von 12,6 Zoll und einer Leistung, die sogar 3D-Renderings möglich machen soll, möchte man klar die kreative Community abholen.
Auffällig ist die neue Benutzeroberfläche von HarmonyOS, die nun viel aufgeräumter wirkt. Dabei ist es nur schwer zu übersehen, dass sich Huawei sehr von Apples iPadOS hat inspirieren lassen. Ein spannendes Feature ist dafür, dass beide Tablets als externe Monitore für Windows-Computer verwendet werden können. Ein Kabel ist dafür nicht nötig, unterstützt werden drei Modi:
Das klingt natürlich alles gut, allerdings hängt auch vieles davon ab, ob geeignete Programme zur Verfügung stehen werden. Dazu hat Huawei keinerlei Angaben gemacht. Damit ist es zum momentanen Zeitpunkt fragwürdig, ob beispielsweise ein potentes Pendant zu Procreate für HarmonyOS verfügbar ist.
Nebst dem MatePad Pro hat Huawei mit dem MatePad 11 noch ein zweites Tablet vorgestellt, sowie dem kleineren MatePad Pro (10.8 Zoll) ein Update verpasst. Erstmals setzt Huawei dabei auf Chips von Qualcomm, da die eigenen Kirin-Chipsätze wohl langsam zur Neige gehen. Qualcomm hat bereits im November 2020 eine Ausnahmelizenz erhalten. Der US-Chiphersteller darf Snapdragon-Prozessoren an Huawei verkaufen, solange diese nicht 5G-fähig sind.
Erstmals hat Huawei Bilder seiner kommenden P50-Serie gezeigt. In den vergangenen Jahren hatten die Chinesen ihr Flaggschiff immer im März vorgestellt. Beim P50 zeigen sich nun erstmals offen die Probleme mit denen Huawei durch den US-Bann konfrontiert ist. So sagte Richard Yu, CEO der Huawei-Consumersparte, dass er momentan kein Startdatum für die P50-Serie nennen könne. Dann ergänzte er noch:
Ebenfalls vorgestellt hat Huawei zwei PC-Monitore, womit der Konzern sein Portfolio weiter ausbaut. Während der MateView sich an kreative Personen wendet, ist der MateView GT für Gamer*innen gedacht. Huawei hebt bei beiden die hohe Farbtreue des Displays heraus.
Ebenfalls vorgestellt hat Huawei die Nachfolger der FreeBuds 3. Diese hören wenig überraschend auf den Namen FreeBuds 4 und sollen nun noch besseres Noise Cancelling bieten. Trotz Semi-Ear-Bauform habe man es geschafft, die Geräuschunterdrückung auf 25 Dezibel zu steigern. Laut Huawei ist das in diesem Bereich aktuell keinem anderen Hersteller gelungen.
Dazu habe ich gewisse Vorbehalte gegenüber der Kommunistischen Partei - und zwar grössere, als ich vor dem Amerikanischen Staat habe.
https://www.nytimes.com/2021/03/10/business/china-us-tech-rivalry.html