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Wikipedia: Das Online-Lexikon hat ein Frauen-Problem

Wenige Artikel, viele Stereotypen: Wikipedia hat ein Frauen-Problem

Auf dem Online-Lexikon finden sich mehr Artikel über Männer als über Frauen. Schreibevents sollen nun ausgewogene Verhältnisse schaffen.
04.11.2019, 05:3504.11.2019, 11:51
Alexandra Pavlović / ch media
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Greta Thunberg und Angela Merkel besitzen einen, neu gewählte Schweizer Nationalrätinnen wie SVP-Frau Esther Friedli oder SP-Frau Céline Widmer hatten bis vor kurzem keinen Eintrag auf Wikipedia.

Vor einigen Monaten hätte man auf dem Online-Lexikon auch nichts über Donna Strickland lesen können. Anfang Oktober 2018 erhielt die Kanadierin als dritte Frau überhaupt den Physik-Nobelpreis, ihren Artikel suchte man vergebens. Ein Editor der Enzyklopädie hatte einen Eintrag über Strickland im Mai 2018 abgelehnt, Begründung: zu unwichtig.

Ideen für einen Wiki-Eintrag an den «Edit-a-thons». 120 Frauen wurden an diesen Anlässen neu auf Wikipedia gebracht. Bild: PD
Ideen für einen Wiki-Eintrag an den «Edit-a-thons». 120 Frauen wurden an diesen Anlässen neu auf Wikipedia gebracht.Bild: PD

Donna Strickland ist kein Einzelfall. So wie ihr ergeht es den meisten Frauen – oder besser gesagte ihren Biografien. Kaum erstellt, wird der Eintrag auf Wikipedia von den Editoren zerpflückt. «Zu unwichtig», «nicht relevant» – kaum eine Begründung, die nicht zum Löschungsantrag führt.

Nur 20.3 Prozent der Artikel handeln von Frauen

Nicht nur sind Frauenbiografien auf Wikipedia unterrepräsentiert, es gibt auch Hinweise, dass das Online-Lexikon ein Problem mit bestimmten Stereotypen hat.

Forscherinnen und Forscher der ETH Zürich, der Universität Koblenz-Landau sowie des Leibniz Instituts konnten in einer Studie aufzeigen, dass Wikipedia Frauen im Vergleich zu anderen Lexika in der Auswahl der Artikel zwar nicht benachteiligt, in ihren Artikeln aber öfter Wörter wie Familie und Kinder fallen und häufiger Verlinkungen zu Artikeln von Männern enthalten sind.

Allgemein lässt sich feststellen, dass von den mehr als 330'000 Artikeln über Personen der vergangenen 100 Geburtsjahre nur 20.3 Prozent von Frauen handeln.

Patrizia Laeri
Moderatorin ECO
2017

Copyright: SRF/Oscar Alessio
NO SALES
NO ARCHIVES

Die Veröffentlichung im Zusammenhang mit Hinweisen auf die Programme von Schweizer Radio und Fernsehen ist honor ...
Patrizia Laeri, SRF-Moderatorin und Mitinitiantin «Edit-a-thon». bild: SRF/Oscar Alessio

Was also sind die Gründe, dass es noch so wenig Einträge über Frauen auf Wikipedia gibt? «Die Gründe sind vielfältig», sagt Muriel Staub, Vorstandsmitglied von Wikimedia Schweiz. Die 32-Jährige nennt zwei Erklärungsversuche: Wichtige Posten sind immer noch häufiger von Männern besetzt. Und Analysen zeigen, dass auch in den Medien mehr über Männer berichtet wird.

«In dem Sinne ist die Wikipedia eine Art Abbild davon.» SRF-Moderatorin Patrizia Laeri pflichtet ihr bei. «Wikipedia hat ein Frauenproblem. Es finden sich viel mehr Artikel über Männer als Frauen. 82 Prozent der Biografien sind männlich und nur 18 Prozent weiblich».

Das nenne sich Gendercontentgap. Wenn sich nicht mehr Autoren und Autorinnen um ausgewogene Verhältnisse bemühen, lebten die alten Stereotypen auf den neuen Plattformen weiter, sagt Laeri. Damit das nicht so bleibt, hat die SRF-Moderatorin im vergangenen November mit Muriel Staub und Blick-Chefredaktorin Katia Murmann das Projekt «Frauen für Wikipedia» ins Leben gerufen.

Am sogenannten «Edit-a-thon», einem Schreibmarathon, werden innert kurzer Zeit Beiträge über Frauen auf Wikipedia erfasst. Damit der Artikel schliesslich aber auch akzeptiert und in der Enzyklopädie bleibt, muss dieser neutral und sachlich geschrieben sein, mit Quellen belegt sowie gewisse Relevanzkriterien (siehe Kasten) erfüllen.

120 neue Frauenbiografien auf Wikipedia

Zwei Events des «Edit-a-thon» haben in Zürich bereits stattgefunden, seither finden sich 120 neue Frauenbiografien im Online-Lexikon. Ein dritter findet am 7. November statt – geht es nach Mitinitiantin Laeri sollen noch viele weitere folgen.

«Ich will das bis an mein Lebensende machen. Die Arbeit wird uns nie ausgehen. Es erreichen immer mehr Frauen wichtige Positionen, man beachte die bemerkenswerte Frauenwahl in der Schweiz. Und wir müssen auch die Vergangenheit digital aufarbeiten», sagt sie.

Ob der Frauenanteil auf Wikipedia irgendwann einmal gleich hoch oder höher sein wird als derjenige der Männer? Dafür brauche es gemäss Laeri noch viel Geduld. «In der Wirtschaft rechnen uns McKinsey, EY und Co. jeweils vor, dass es noch 250 Jahre dauern wird, bis wir Gleichstellung erreichen. Aber steter Tropfen höhlt den Stein.»

Was aber unternimmt Wikipedia selbst? «Weltweit gibt es seit einigen Jahren zahlreiche Projekte, die das Ziel verfolgen, mehr Autorinnen zu gewinnen und mehr Frauen in die Wikipedia zu schreiben», sagt Muriel Staub.

Besonders im Kontext einer Enzyklopädie, wo es um die Darstellung von Wissen gehe, findet sie das äusserst zentral. «Die Zeit wird zeigen, wie erfolgreich diese Initiativen sind.»

Einige Relevanzkriterien für Wikipedia
Wikipedia ist kein allgemeines Personenverzeichnis. Die Entscheidung für oder gegen die Aufnahme richtet sich danach, ob Personen mit aktuell breiter Öffentlichkeitswirkung nach sinnvollem Ermessen auch zeitüberdauernd von Bedeutung sein werden.

Ein Anhaltspunkt für die Beurteilung öffentlicher Bekanntheit kann etwa eine statistische Erfassung von Suchmaschinentreffern sein. Auch anhaltende öffentliche Wahrnehmung sowie Einträge in einem anerkannten Lexikon sprechen für die Relevanz einer Person.

Weitere Anhaltspunkte sind: Die Person ist wegen ihrer Beteiligung an historischen, politischen oder nachrichtenwürdigen Ereignissen bekannt, eine bekannte Person aus der Unterhaltungsbranche, Autor, Musiker, Künstler, Architekt oder eine Person, deren Werk als herausragend gilt und Teil der Geschichte des Fachgebiets geworden ist, oder auch nachgewiesene Träger eines hohen Ordens.
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42 Kommentare
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Markus97
04.11.2019 05:48registriert August 2018
Bis in die 60er Jahre hatten Frauen kaum was zu melden. Natürlich gibts weniger relevante Frauen als Männer über die Menschheitsgeschichte gesehen. Soll man jetzt einfach Artikel über irgendwelche Jungle-Camp-Kandidatinnen schreiben? Oder noch besser die Menschheitsgeschichte so umschreiben das sie besser ins Gender-Gerechte System passt?
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FoxSinBan
04.11.2019 07:29registriert Oktober 2019
Artikel, die auf Studien verweisen, ohne diese anzugeben....

Kann sein, oder kann nicht sein

War es ein case Study oder war es eine Metastudie?

Ohne die Studie zu kennen ist es es schwer möglich, sich ein unfassendes Bild zu machen.

Fügt doch zuküftig, wenn ihr Studien zitiert, immer den Link dazu ein. Ebenfalls wäre ein kleiner Kasten, welcher kurz erklärt, was für eine Studie und wie sie angelegt wurde (Random Cross-over, Anzahl Teilnehmer, Geldgeber usw), wünschenswert.
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Frankygoes
04.11.2019 08:27registriert März 2019
Auf Seite "WikiProjekt Frauen" sind Statistiken aufgeschaltet. Dort ist z.B. nachzulesen, dass 90% der freiwilligen Autoren Männer sind. Ebenfalls dort nachzulesen ist, dass Biografien ab ca. Geburtsdatum 1970 besser verteilt sind und ab 2000 mehr Frauen- als Männerbiografien entstanden sind (nur ist die Gesamtzahl nicht sehr hoch)...
Der Gap ist einfach zu verringern: liebe Frauen, werdet Autorinnen und schreibt Artikel. Auflösen wird allerdings schwierig, ich vermute, es ist nicht leicht, Informationen zu bedeutenden Frauen mit Geburtsjahr <1600 zu finden.
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