Die Westernsaga «Red Dead Redemption 2» ist das achtbeste Game der Welt.
Mit 97 von 100 Punkten ist das nicht meine subjektive Einschätzung, sondern das Resultat der Zusammenfassung von derzeit 91 Testberichten auf Metascore.
Der Grund dieses Erfolges liegt auf der Hand. Spielsequenzen von RDR2 sind atemberaubend: Die Bäume, die sich im Wind wiegen, wie die Strassen bei Regen langsam schlammig werden, wie Hunde ihr Bedürfnis auf dem Gehweg verrichten. Nie verhielt sich eine künstliche Lebenswelt echter. Auch unser Gameexperte kommt aus dem Schwärmen nicht mehr heraus:
Doch das Game hat ein riesiges fundamentales Problem: die Gratwanderung zwischen Simulation und Action. RDR2 schiesst sich dabei ein paarmal selbst ins Knie.
Ich weiss nicht, ob sich das achtbeste Spiel aller Zeiten eine Prügelmechanik erlauben kann, die rudimentärer ist als Bob Sapp. Blocken, Schlagen und etwas Würgen – die Schlägerei bei RDR2 erinnert an «Double Dragon» von 1987. Aber ich bin unfair. Bei «Double Dragon» können Objekte wie Fässer und Baseballschläger eingesetzt werden. Ausserdem reagiert die Steuerung präzis. Beides gilt nicht für RDR2.
Ich erwarte kein «Tekken» und auch kein «Sleeping Dogs» (2012), aber eine etwas zeitgemässere Herausforderung als einfach nur zwei Knöpfe drücken. Hier hat Rockstar den Spielspass zugunsten von flüssigen Animationen geopfert. Ein schlechter Entscheid. Es sollte nicht der letzte sein.
Apropos zeitgemäss. Das Game lässt es zu, dass ich eine gefesselte Feministin einem Alligator verfüttere oder einen blinden Bettler niederstrecke. Wenn ich mein Pferd aber «Fucker» nennen will, zieht RDR2 die Scheuklappen an. Achtung Kraftausdruck. Die sind verboten in RDR2. Was für ein Hohn.
Dafür werde ich gezwungen, mein virtuelles Pferd zu striegeln. Ich gebe zu: Ich bin kein Pferdetyp. Doch sollte ich wirklich jemals Lust dazu verspüren, ein unechtes Pferd zu striegeln, dann spiele ich mit meiner Tochter «My Little Pony».
Ich wäre nur zu gerne dabei gewesen, als entschieden wurde, dass das virtuelle Striegeln eines Pferdes dem Spielspass eines Western-Games zuträglicher ist als ein zusätzlicher Kampfmove. Oder ein ansatzweise faires Justizsystem.
Ja, das Justizsystem. Auf den viel zu zahlreichen Wegen und Strassen haben alle Vortritt – ausser Spielfigur Arthur Morgan. Bei der kleinsten Berührung eines fremden Pferdes pfeifen mir Kugeln um die Ohren. Zurückschiessen ist verboten. Arthur Morgan hat kein Recht auf Selbstverteidigung.
Dafür aber darf er Fucker Gagg striegeln. Ja. Ich sah mich gezwungen, meinen Rappen Gagg zu taufen.
Und steht Gagg wieder einmal im Schilf oder liegt er aufgrund seiner suizidalen Veranlagung kalt in einer Schlucht, dann komme ich in den Genuss von Arthur Morgans Schlendergang. Paul Pogba am Elfmeterpunkt ist ein Sprinter dagegen. Und wieder: Realismus auf Kosten von Spielspass.
Egal.
Dann lade ich halt einen alten Spielstand.
Doch was ist das? Hier habe ich doch gar nicht abgespeichert? Wo sind all die Gesetzeshüter hin, die mich soeben noch in die ewigen Jagdgründe schickten? Weg! Wo bleibt meine zweite Chance?
Anstelle der bärbeissigen Gesetzeshüter sehe ich vier Rehe, einen Fuchs, drei Hasen, einen Fischer, der Selbstgespräche führt, eine fahrende und eine ausgebrannte Kutsche, ca. 15 Wege, und unter einem Pferd liegt eine um Hilfe schreiende Dame. Dichtestress mitten in der Pampa.
Wenn sich Fuchs, Hase, Reh und Eichhörnchen gute Nacht sagen wie in einem Disney-Kitsch, nützt das schönste digitale Abendrot nichts. Es will einfach kein Wildwestgefühl aufkommen. Genau das versucht Rockstar aber mit Hyperrealismus an falscher Stelle zu erzwingen.
Ich könnte weitere Negativpunkte auflisten: die bescheidenen Ausbaumöglichkeiten, die knubbeligen Lebensstatusanzeigen, das irre Aufwand/Ertrag-Verhältnis, die unpräzise Steuerung, die viel zu hohe Anzahl Zufallsbegegnungen ...
Mir kommt es vor, als hätten sich bei Rockstar zwei Fraktionen gebildet: die Westernsimulationsfreunde und die Actionpartei.
Statt ein Konzept stringent durchzuziehen, schlossen die beiden Parteien Kompromisse. Oft an falscher Stelle. Spielspass wurde für Simulationselemente geopfert, Stimmung für möglichst viel Action.
«Red Dead Redemption 2» ist ein gutes Spiel – mit Sicherheit aber nicht das achtbeste Game aller Zeiten. Der Hype ist völlig ausgeartet.
Zum Glück erfasst Metascore nicht nur Expertenmeinungen, sondern auch die Verdikte der Spieler. Und da sind die Stimmen kritischer. Wenn es nach den Spielern (über 4000 Stimmabgaben) geht, kriegt RDR2 auf der PS4 7,7 von 10 Punkten. Das kommt etwa hin.
Am liebsten lieber Togg(i) würde ich dir gerne mal 2 Stunden beim spielen von RDR 2 zuschauen und dir erklären wie du dein Gaul am leben erhältst und Säuberst ohne ihn striegeln zu müssen.
Und wann hast du verlernt selbst Speicherstände anzulegen?
Wildweststimmung kommt übrigens im tatsächlichen Westen der Map gegen Ende der Story auf, wenn du es auf die Umwelt abgesehen hast.
Rockstar hat doch von Anfang an klar gemacht dass die Geschichte in der Zeit der Veränderung von 'Wild West' zu Zivilisation spielt im OSTEN des Landes, oder?