Ok, die «Die Schlacht um Mittelerde» und «Herr der Ringe Online» vielleicht mal ausgenommen: Gegen das restliche digitale Erbe von J.R.R. Tolkien setzt sich das Action-Rollenspiel «Middle Earth: Shadow of Mordor» aber so deutlich ab, wie ein zartes Stück Angus-Steak von einem zähen Schweinsschnitzel. Warum das Spiel für mich das beste «Herr der Ringe»-Spiel aller Zeiten ist, zeigen die folgenden Punkte.
Besser gut kopiert als schlecht erfunden, lautete die Devise bei Entwickler Monolith. Denn sowohl Kampfsystem als auch das Openworld-Szenario sind schamlos von der «Batman Arkham»-Serie, beziehungsweise bei «Assassin's Creed» abgeschaut. Ersteres verwundert kaum, da mit Warner Bros. der gleiche Publisher dahinter steckt. Und das hat sich ausgezahlt. Batmans Kampfsystem gehört zum absolut Besten, was Games zu bieten haben. «Shadow of Mordor» packt aber noch eine Schippe drauf und profitiert nicht zuletzt, weil Protagonist Talion im Vergleich zum Flattermann nicht beim K.O.-Schlag aufhört. Besonders wenn man sich im Verlauf des Spiels die eine oder andere Fähigkeit angeeignet hat, wirbelt man nur so um die Gegner rum. Dabei nimmt man es selbst mit 20 und mehr Orcs und Uruks (kurz für Uruk-hai) auf – ein teuflisches Vergnügen. Und alles mit einer tödlichen Grazie.
«Shadow of Mordor» sieht traumhaft aus. Das erste Gebiet vor dem Schwarzen Tor ist düster und wild, später durchstreift man grüne Wiesen und Wälder. Überall warten martialische Orc-Festungen darauf, erobert zu werden. Besonders die fantastisch aussehenden Orcs und Uruks stechen heraus. Statt auf immer den gleichaussehenden Gegnertyp zu treffen, wie es in vielen Spielen üblich ist, unterscheiden sich Offiziere deutlich voneinander. Noch schöner werden die vernarbten Gesichter, wenn der Besitzer einen blutigen Kampf überlebt hat und das nächste Mal mit einem Metall-Kiefer aufkreuzt.
Die Geschichte um Talion fällt zeitlich zwischen «Der Hobbit» und «Der Herr der Ringe». Fans erhalten mit verschiedenen bekannten Figuren oder gefundenen Objekten interessante Anspielungen und Tolkien-Fremde können das Spiel geniessen, ohne sich jemals einen der Schmöker reingezogen zu haben. Die Story um eine ermordete Familie und einen mysteriösen Rachegeist, der mit Talion verbunden ist, bleibt bis zum Schluss spannend. Dabei gibt sich «Shadow of Mordor» die Freiheit, die bestehende «Herr der Ringe»-Kunde um eigene Interpretationen zu erweitern.
Das vielleicht herausragendste Merkmal von «Shadow of Mordor» ist das Nemesis-System. Die Armee Saurons ist hierarchisch aufgebaut. Sie besteht aus verschieden starken Hauptmännern und an der Spitze die Häuptlinge. Alle haben ihre individuellen Stärken und Schwächen, die es herauszufinden gilt. Alternativ kann man sich die Vasallen auch direkt vorknöpfen. Aber wer weiss, dass ein Hauptmann Angst vor Morgai-Fliegen hat, kann sich das zu Nutze machen.
Zuoberst stehen die Häuptlinge, die oft von Bodyguards beschützt werden. Dabei macht es sich bezahlt, diese separat aufzuspüren und auszuschalten – oder im späteren Spielverlauf gefügig zu machen, um sie im entscheidenden Moment als Verräter einzusetzen.
Die Kämpfe gegen die Anführer machen extrem viel Spass. Die Uruks haben verschiedenste Sprüche auf Lager und verlangen unterschiedliche Angriffstaktiken. Es kann auch vorkommen, dass sich ein Gegner einfach aus dem Staub macht. Ein gezielter Pfeil in den Fuss unterbindet solche Vorhaben.
Auch ohne fremdes Einwirken sind Saurons Truppen Wechseln unterworfen. Die Orcs bekämpfen sich gegenseitig, um in den Rängen aufzusteigen. Oft kann man dabei mitmischen.
Spannend wird es, wenn man einen Kampf verliert. Statt wie üblich einen alten Spielstand zu laden, geht es bei «Shadow of Mordor» einfach weiter. Der Rachegeist und ständige Begleiter Celebrimbor haucht Talion immer wieder neues Leben ein. Die Orcs, die einem ins temporäre Jenseits geschickt haben, werden in der Zwischenzeit befördert. Begegnet man ihnen ein zweites Mal, machen sie erstmal grosse Augen.
Umgekehrt tauchen auch Anführer wieder auf, die man zwar besiegt aber nicht getötet hat – mit sichtbaren Wunden oder Bandagen.
Wer wie ich «Destiny» auf englisch gespielt hat, wird sich an die zahlreichen bekannten Synchronsprecher erinnern. Der berühmteste unter ihnen ist Peter Dinklage, der Tyrion in «Game of Thrones» mimt. Im Vergleich was die englischen Sprecher in «Shadow of Mordor» abliefern, kann «Destiny» einpacken. Die Orcs und Uruks haben wie in den Filmen meist rohe britische Akzente. Troy Baker («The Last of Us», «Batman: Arkham Origins») ist ein alter Hase im Geschäft und überzeugt als Sprecher von Talion. Und auch Gastfigur Gollum ist sowohl optisch als auch sprachlich kaum von seinem Leinwand-Pendant zu unterscheiden.
So wenig ich Tutorials mag: Etwas mehr Händchenhalten seitens Monolith wäre angebracht gewesen. Wer nicht aufpasst, spielt «Shadow of Mordor» viele Stunden völlig falsch. Obwohl das Spiel den Eindruck erweckt, ein Mit-dem-Kopf-voran-in-die-Schlacht-Spiel zu sein, sollte man sich zu Beginn noch etwas zurückhalten, oder es folgen unnötige Frustmomente in denen man regelmässig das Zeitliche segnet. Daher empfehle ich jedem, zuerst ein paar Hauptmissionen zu machen, bevor man sich den zahlreichen Nebenaufgaben widmet. Erst so erhält man diverse wichtige Fähigkeiten und Tipps, wie man vorgehen soll. Selbst nach 11 Stunden hab ich so noch Tricks gelernt, die ich wesentlich früher hätte haben können – und oft schmerzlich vermisst habe.
Auch sonst werden gewisse elementare Dinge nicht erläutert. So bleiben Hauptmänner nur langfristig tot, wenn man ihnen den Kopf abschlägt. Etwas, das man höchstens zufällig bemerkt.
Etwas mehr Abwechslung hätte zudem das Leveldesign vertragen. Auch wenn die Spielwelt optisch absolut top ist und besonders auf dem PC zu glänzen weiss, hätte ich mir mehr unterschiedliche Gebiete gewünscht. Erinnerungsträchtige Bauten und Örtlichkeiten fehlen komplett.
Das Missions-Design hätte Monolith ebenfalls etwas stärker variieren können. Obwohl das Gameplay nicht langweilig wird, sehnt man sich mit der Zeit nach etwas Neuem. Dem Erfolg nach zu urteilen, darf man aber ohnehin mit einem zweiten Teil rechnen.
Trotz kleinerer Mängel und mangelnder Abwechslung macht «Shadow of Mordor» einen Mordsspass. Wer ein actiongepacktes Game mit Spitzengrafik und spannender Geschichte sucht, ist hier an der richtigen Adresse.
Ich habe «Shadow of Mordor» mit einer von Warner Bros. zur Verfügung gestellten PC-Version getestet. Das Spiel ist ausserdem für PS4 und Xbox One erhältlich. PS3- und Xbox-360-Versionen erscheinen am 20. November.