FaceApp ist gerade überall. Bei WhatsApp, Twitter, Instagram – und auch bei deinem Lieblings-Newsportal. 😌
Mehr als 100 Millionen User haben die Android-App aus dem Google Play Store heruntergeladen. Und die iPhone-Version führt in über 120 Ländern die Download-Charts an.
Dieser Artikel dreht sich um die brennendsten Fragen rund um die «Killer-App» aus Russland. Die Entwicklerfirma nimmt ausführlich Stellung und die Verantwortlichen versuchen, die schlimmsten Befürchtungen zu entkräften.
Wir gehen auch der Frage nach, warum es ausgerechnet jetzt einen solch gewaltigen Hype gibt um die App, die ja alles andere als neu ist. Schon 2017 hatte watson damit experimentiert und auf gewisse Probleme hingewiesen.
Eine russische Firma. Mit geheimen Verbindungen zur russischen Regierung?
Im Google Play Store wird zur Android-App eine Entwickler-Adresse in den USA aufgeführt. Und zwar eine Briefkastenfirma in Wilmington im Bundesstaat Delaware.
In den Nutzungsbedingungen auf der FaceApp-Website stösst man auf folgende Anschrift:
St.Petersburg? Dort ist die berüchtigte Internet Research Agency zuhause (auch bekannt als IRA oder Glavset). Wobei Putins Troll-Armee von einem anderen Teil der Fünf-Millionen-Einwohner-Metropole aus operiert.
Begründete Bedenken gibt's trotzdem: FaceApp befinde sich im selben Gebäude wie Skolkovo Ventures – eine russische staatliche Investitionsfirma für IT und Technologie, berichten Investigativ-Journalisten von Forensic News. Der Umzug sei Ende 2018 erfolgt, heisst es in diesem Tweet.
Dieser Darstellung widersprach der FaceApp-Geschäftsführer laut der US-Journalistin Karissa Bell (Mashable).
Die geografische Nähe sei noch kein Beleg für eine missbräuchliche Verwendung der FaceApp-Daten, meinen Internet-User. Und die Verantwortlichen versichern, dass die Daten nicht nach Russland transferiert würden (siehe unten).
Noch nicht.
Der hochrangige US-Politiker Chuck Schumer, Fraktionschef der Demokraten im Senat, hat die Bundespolizei FBI unterdessen zu einer Untersuchung aufgefordert. FaceApp könne wegen des Umgangs mit persönlichen Daten ein nationales Sicherheitsrisiko sowie eine Gefahr für Millionen US-Bürger darstellen, twitterte Schumer am Mittwoch.
Die US-Handels- und Verbraucherschutzbehörde FTC solle nun prüfen, ob US-Bürger – inklusive Regierungspersonal und Militärs – ausreichend «gegen eine mögliche missbräuchliche Nutzung ihrer Daten» geschützt seien.
Hier ist anzumerken, dass der US-Geheimdienst NSA seit Jahren massenhaft Bilder aus dem Internet abgreift, um sie mit Gesichtserkennungs-Software zu bearbeiten. Das Ausmass der weltweiten elektronischen Überwachung hatte der Whistleblower Edward Snowden 2014 enthüllt.
Eigentlich alles.
Oder im Original-Wortlaut:
Wobei sich die Firma natürlich an die geltenden Gesetze halten muss: Zumindest in Europa drohen sonst gemäss Datenschutz-Gesetzgebung (DSGVO) hohe Geldbussen.
Ja. In gewisser Weise schon.
Im Gegensatz zum weltgrössten Social-Media-Konzern sind die FaceApp-Anbieter noch nicht beim Lügen ertappt worden. Mark Zuckerberg und Co. haben der Öffentlichkeit wiederholt wichtige Informationen vorenthalten, Datenschutz-Bestimmungen und das Recht auf Privatsphäre verletzt sowie Journalisten und Politiker in die Irre geführt.
Facebook ist wegen falscher Versprechungen in Verruf geraten und unter Druck. Die FaceApp-Verantwortlichen versprechen ebenfalls viel, wie wir gleich sehen ...
In der aktuellen Stellungnahme steht:
Das Support-Team erklärt, dass alle Bilder innerhalb der nächsten 48 Stunden nach der Bearbeitung in der App automatisch gelöscht würden.
Zudem versichern die Verantwortlichen, dass die User-Daten nicht nach Russland transferiert würden.
Angeblich nicht in Russland.
FaceApp-Gründer Yaroslav Goncharov versprach laut Tech Crunch, dass die User-Daten in Rechenzentren von grossen US-Unternehmen gespeichert werden. Konkret sollen die Daten bei Amazon (AWS) und Google Cloud lagern.
Das ist nicht ganz klar.
Die Entwicklerfirma teilt mit: «Die meisten Bilder werden innerhalb von 48 Stunden nach dem Upload-Datum von unseren Servern gelöscht.»
Dass Bilder so lange gespeichert werden, wird mit der besseren Performance begründet. Man wolle sicherstellen, dass die User ein Foto nicht bei jedem Bearbeitungsvorgang erneut hochladen – was nicht nur länger dauern würde, sondern auch viel mehr «Traffic» zur Folge hätte.
Nein, dafür gibt's keine Hinweise.
Auch nicht von unabhängigen Sicherheitsexperten wie Will Strafach, die die Smartphone-App und deren Datentransfers unter die Lupe genommen haben.
Die Entwicklerfirma verspricht:
Das soll möglich sein. Zumindest versichern die Verantwortlichen, dass sie auf Verlangen alles löschen.
Das Prozedere ist relativ mühsam, in Zukunft soll es aber deutlich einfacher veranlasst werden können. Die Entwickler versprechen eine verbesserte Benutzeroberfläche.
So musst du vorgehen:
Das Hauptproblem ist, dass das Missbrauchspotenzial gross ist und sich gewisse Risiken nicht abschätzen lassen.
Fakt ist: Die Fotos müssen übers Internet auf einen Firmen-Server hochgeladen werden, um dort gespeichert und mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) bearbeitet zu werden.
Sobald etwas in die Cloud hochgeladen wurde, hat man die Kontrolle darüber verloren. Ganz egal, ob man eine entsprechende Lizenz erteilt hat, also der Verwendung eigener Inhalte durch Dritte zugestimmt hat, oder nicht.
Das sei auch ein Grund, warum Apple den grössten Teil der KI-Arbeiten auf den Geräten selber ausführe, heisst es in der Analyse von Peter Kostadinov bei phonearena.com.
Was uns Facebook mit seinen viralen Apps (Quizzes etc.) schmerzhaft gelehrt hat: Die gesammelten User-Daten werden nicht immer nur für den angegebenen Zweck verwendet. Und sie können in falsche Hände gelangen.
Wie die Entwicklerfirma in ihrer Stellungnahme betont, seien alle FaceApp-Funktionen auch ohne Anmeldung verfügbar.** Infolgedessen würden sich 99 Prozent der User nicht anmelden. «Daher haben wir keinen Zugriff auf Daten, die eine Person identifizieren könnten.»
Sprich: Die Firma versucht die Befürchtung zu zerstreuen, dass heimlich eine praktisch weltumspannende Datenbank inklusive Namen der Abgebildeten angelegt wird.
** Gewisse FaceApp-Filter (Bild-Manipulationen) sind nur gegen Bezahlung verfügbar (kostenpflichtige Pro-Version).
Es gibt schon länger warnende Stimmen. Wobei nicht das künstliche Altern von Gesichtern das Problem ist:
Aufgehübschte Selfies können krank machen, warnen Forscher schon länger. Wenn bei Instagram und Co. immer perfekter aussehende Bilder gepostet würden, führe das zu einem veränderten Bild von Schönheit. Und damit könnten vor allem junge Menschen nicht immer umgehen.
Es bestehe die Gefahr, dass man sich selbst schlecht und minderwertig fühle, weil man im realen Leben nicht so aussehe wie auf den manipulierten Fotos. Das kann laut Wissenschaft sogar zu einer Dysmorphophobie führen – also einer Ablehnung des eigenen Körpers. Dieses Phänomen wird auch als «Snapchat-Dysmorphophobie» bezeichnet.
Andere Wissenschaftler geben zu bedenken, dass Störungen der Körperwahrnehmung nichts Neues seien. Durch die gestiegene Nutzung von Smartphones (und auch FaceApp) rückt das Krankheitsbild einfach mehr in den Fokus.
Zum zweiten Mal nach 2017 gebe es einen grossen Social-Media-Hype um FaceApp, schreibt Jens Schröder von Meedia. Der deutsche Journalist berichtet in seinem «#Trending»-Newsletter regelmässig über solche Phänomene.
Schröder beruft sich auf Zahlen des Social-Media-Monitoring-Dienstes Talkwalker: Demnach gab es ab der ersten Juli-Woche einen exponentiellen Anstieg des Hashtags #FaceApp. Innert weniger Tage stieg die Zahl solcher Postings von wenigen hundert auf 450'000 (am letzten Dienstag) an.
Wie der neuerliche Hype entstanden sei, lasse sich schwer nachvollziehen. Der Trend sei aber definitiv nicht aus dem englischsprachigen Internet gekommen.
Sicher ist: Grossen Anteil am Hype hatten Prominente. «Immer mehr Posts verzichten aber auch auf die Face-App als Quellenhinweis», schreibt der deutsche Social-Media-Fachmann. Als Beispiele nennt er den Basketballer Stephen Curry, der auf Instagram 1,2 Mio. Likes erreichte – oder die Jonas Brothers mit einem 570'000-Interaktionen-Tweet.
Das sieht man auch bei Spiegel Online so: Derzeit würden viele Prominente mit der App erzeugte Fotos in sozialen Netzwerken teilen – «so kommen Millionen Follower mit den manipulierten Bildern in Kontakt».
Und natürlich tragen die Online-Medien (darunter watson) zum aktuellen Hype bei. Doch immerhin kennst du nun die Risiken und (möglichen) Nebenwirkungen. 😉