Ursprünglich hatte ich im Sinn, meine grosse Reise ohne Smartphone oder Laptop in Angriff zu nehmen. (Ich fand den Gedanken faszinierend, völlig auf mich alleine gestellt irgendwo in der grossen weiten Welt zu sein – wie die Hippies, die in den 60er- und 70er-Jahren von Europa über Land nach Asien reisten.) Als ich die Idee viele Monate vor meiner Reise aber einmal laut aussprach, war der Protest meiner Freundin und meiner Familie so vehement, dass ich sie schnell wieder verwarf. Nach 17 Wochen «on the road» weiss ich: Es war die richtige Entscheidung!
Ich erreiche per Autostopp eine Grossstadt, mein Fahrer lässt mich in irgendeinem Aussenquartier raus. Ich will mit dem Taxi ins Stadtzentrum.
Früher: Der Taxifahrer macht eine Stadtrundfahrt, um die ich ihn nicht gebeten habe. Kurz vor dem Ziel fährt er noch dreimal im Kreis und verlangt dann einen Preis, für den sich selbst Schweizer Taxifahrer schämen würden.
Heute: Dank der Strassenkarte, die ich auf meinem Smartphone gespeichert habe, kann ich unsere Route mitverfolgen. Machen wir ein paar überflüssige Kurven, frage ich das Schlitzohr am Steuer: «Herr Taxifahrer, warum fahren Sie im Kreis?»
Eine Weltreise lässt sich im Voraus nicht detailliert planen – insbesondere, wenn man per Autostopp unterwegs ist. Ich entscheide deshalb vorzu, welche Orte ich besuche und in welchen Hostels ich übernachte.
Früher: Ein Reiseführer und die Menschen vor Ort sind die einzigen Informationsquellen, und diese sind nicht sehr aussagekräftig. Reiseführer haben die Tendenz, 0815-Kirchen als architektonische Weltwunder anzupreisen, Einheimische empfehlen oft einfach das Hostel, bei dem sie mitverdienen.
Heute: Eine Bildersuche auf Google zeigt mir innert Sekunden, ob es sich lohnt, für eine Kirche einen Umweg von hunderten Kilometern zu machen. Und dank den unzähligen Bewertungen auf Tripadvisor & Co. weiss ich genau, was ich von einem Hostel erwarten kann. Ein Gast schrieb nach seinem Aufenthalt in einem türkischen Hostel gar begeistert: «Der Wasserdruck in der Dusche war grossartig!»
Wenige Wochen vor Beginn meiner Reise ist meine älteste Schwester zum ersten Mal Mami geworden. Es ist der erste Nachwuchs in unserer Familie, ein grosser Moment!
Früher: Ich komme nach ein, zwei Jahren von meiner Reise zurück. An meiner Willkommensparty stolpern mehrere Babys herum, weil auch ein paar meiner Freunde bereits Nachwuchs haben. Ich frage beschämt: «Und welcher dieser Knirpse ist nun mein Neffe?»
Heute: Dank dem Whatsapp-Family-Chat weiss ich, dass der kleine Elias seit meiner Abreise drei Kilo schwerer und 13 Zentimeter grösser geworden ist. Auch von den ersten Geh- und Sprechversuchen werde ich bestimmt ein Video erhalten. Bei meiner Rückkehr gibt es deshalb keinen Zweifel: «Das ist mein Neffe!»
In Osteuropa konnte ich mich ungefähr mit jedem dritten Fahrer auf Englisch oder Deutsch unterhalten. In der Türkei, Georgien und Armenien ist die Quote drastisch gesunken.
Früher: Da ich die Landessprache nicht kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als freundlich zu lächeln. Von meinem Fahrer erfahre ich höchstens den Namen.
Heute: Dank dem Smartphone habe ich für jedes Land das passende Wörterbuch und ich kann meinen armenischen Fahrer zumindest einfache Dinge fragen wie: «Duk’ unek’ yerekhaner?» (Hast du Kinder?). Steht eine Internetverbindung zur Verfügung, ist es aufgrund der beeindruckenden Fortschritte von Google Translate gar möglich, über tiefgründigere Themen zu sprechen.
In einem Hostel in Istanbul treffe ich Steve, einen Kanadier. Wir trinken ein paar Bierchen zusammen und haben tolle Gespräche über Gott und die Welt. Für ihn geht es von Istanbul aber zurück in die Heimat, ich ziehe weiter.
Früher: Ohne Internet sind teure Telefonate oder Briefe die einzige Kontaktmöglichkeit. Da ich in den nächsten Monaten aber keine fixe Adresse habe, kann er mir nicht schreiben. Wir hören wahrscheinlich erst nach meiner Reise wieder voneinander.
Heute: Wir werden Facebook-Freunde und tauschen E-Mail-Adressen aus. Wir können einander jederzeit schreiben, ohne wochenlang auf eine Antwort warten zu müssen – und das kostenlos. Zum Abschied sagt mir Steve: «Melde dich, wenn du in Kanada bist!»
In Serbien besuche ich ein Konzert und bin begeistert von einer einheimischen Band – selbst wenn ich kein Wort verstehe.
Früher: Ich habe keine Möglichkeit, die Musik mit auf meine Reise zu nehmen. Der tolle Abend gerät schnell in Vergessenheit.
Heute: Ich lade mir unmittelbar nach dem Konzert ein paar Lieder der Tropico Band auf mein Smartphone. Wenn ich dann in einem anderen Land bin und aus meinen Ohrstöpseln plötzlich eines dieser Lieder ertönt, erinnere ich mich: «Ah stimmt, in Serbien hatte ich ja auch eine tolle Zeit!»
Es gibt Dinge, auf die ich auch auf Reisen nur ungern verzichte. Als grosser Federer-Fan will ich zum Beispiel live mitfiebern, wenn King Roger im Januar an den Australian-Open seinen 18. Grand-Slam-Titel gewinnt.
Früher: Weil ich blöderweise gerade in einem Land bin wie Armenien, in dem Tennis nicht die Bohne interessiert, finde ich keine Kneipe, in welcher der Australian-Open-Final gezeigt wird. Ich verpasse Rogers grossen Triumph und muss mir von meinen Freunden ein Leben lang anhören, gar kein richtiger Federer-Fan zu sein.
Heute: Dank dem Internet habe ich (fast) überall auf der Welt Zugang zu einem Tennis-Livestream. Wenn Federer seine 18. Grand-Slam-Trophäe in die Höhe stemmt, kann ich deshalb sagen: «Ich war dabei!»
Das Internet und insbesondere das Smartphone erhöht die Qualität des Reisens. Langweilig wird es deshalb nicht – vorausgesetzt, man findet das richtige Mass und ist nicht pausenlos online. Wer aber ständig im Hostel sitzt, um mit den Leuten daheim zu chatten, oder in jedem Café zuerst nach dem Wifi-Passwort fragt, damit er auf Schweizer Nachrichtenportalen herumstöbern kann, der bleibt jedoch besser gleich ganz zu Hause.