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Per Autostopp um die Welt

Turkmenistan per Autostopp: Ungastlich – aber faszinierend

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Per Autostopp um die Welt – Woche 23: Mashhad-Bukhara (Fahrerselfies)
Von Mashhad nach Quchan: Meine letzte Tagesetappe im Iran starte ich mit Ali (rechts). Er ist Hobby-Taxifahrer, nimmt mich aber umsonst mit.
quelle: thomas schlittler / thomas schlittler
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Per Autostopp um die Welt

Ausgerechnet! In Turkmenistan (dem «Nordkorea Zentralasiens») gerate ich in eine Verfolgungsjagd mit der Polizei – da hilft nur ein kleines Wunder ...

07.11.2015, 08:3607.11.2015, 15:53
Thomas Schlittler
Thomas Schlittler
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Auf einmal ist sie weg, die Wärme des Irans. Das liegt nicht daran, dass es schneit, als ich zu Fuss die Grenze nach Turkmenistan überquere. Der Grund ist vielmehr, dass mir von einem riesigen Porträt der turkmenische Dikator Gurbanguly Berdimuhamedow zuwinkt – mit einem überfreundlichen und gleichzeitig eiskalten Lächeln im Gesicht.

Es ist ein unwirklicher, bizarrer Anblick, als ich in die Hauptstadt Asgabat einfahre.

Sicher, auch der Iran ist kein Vorzeigestaat, wenn es um Menschenrechte geht. Doch Turkmenistan ist noch viel schlimmer: Im «Nordkorea Zentralasiens» sind die rund fünf Millionen Einwohner praktisch von der Aussenwelt abgeschnitten, Internetzugang gibt es nur in ganz wenigen Hotels in der Hauptstadt. Human Rights Watch bezeichnet die ehemalige Sowjetrepublik als eines der repressivsten Länder der Welt.

Und gemäss der Organisation «Reporter ohne Grenzen» gibt es nur zwei Länder, in denen es um die Pressefreiheit noch schlechter bestellt ist: Eritrea und Nordkorea.

Neue Häuser, polierte Autos – aber keine Fussgänger

Es ist ein unwirklicher, bizarrer Anblick, als ich in die Hauptstadt Asgabat einfahre: In scheinbar exakt bemessenen Abständen folgt ein überdimensionales Gebäude dem anderen. Man könnte meinen, dass es in dieser Stadt nur Museen, Bibliotheken und Regierungsgebäude gibt.

Alle Bauwerke sind neu, alle sind strahlend weiss – und alle wirken leblos und unbewohnt. Auf den Strassen sind moderne, auf Hochglanz polierte Autos unterwegs, Fussgänger sind dagegen Mangelware. Dafür stehen an jeder Strassenecke und vor jedem zweiten Gebäude Polizisten in grünen Uniformen, die sich mit ernster Miene langweilen.

Ich finde es sonderbar, dass mich in einem Land, in das sich pro Jahr nur wenige Tausend Touristen verirren, niemand fragt, woher ich komme und was mich nach Turkmenistan bringt.

Einer langweilt sich so sehr, dass er mich mit seiner Trillerpfeife zum Stehenbleiben auffordert, als ich eine kaum befahrene Strasse überqueren will. Mit strengem Blick mustert er meinen Pass – nur um mir dann zu verstehen zu geben, dass ich die Unterführung benutzen müsse. Macht Sinn, denke ich mir: Die teilweise völlig sinnlosen Milliardeninvestitionen in Asgabats Infrastruktur, die sich das Land dank riesiger Gasreserven leisten kann, sollen schliesslich nicht ganz umsonst gewesen sein.

Niemand fragt, woher ich komme

Das befremdlichste an Asgabat sind jedoch die Begegnungen mit Taxifahrern, Verkäufern und Kellnern: Keiner scheint sich für mich zu interessieren. Keine Neugierde, keine Fragen, nichts. Ich bin nicht beleidigt oder enttäuscht deswegen, ich hatte im Iran mehr als genug Aufmerksamkeit. Aber ich finde es sonderbar, dass mich in einem Land, in das sich pro Jahr nur wenige Tausend Touristen verirren – 2008 waren es 8000, neuere Zahlen gibt es nicht – niemand fragt, woher ich komme und was mich nach Turkmenistan bringt.

Ivan erzählt uns, dass er ein grosser Formel-1-Fan sei – entsprechend gibt er dann auch Gas. Er driftet in hohem Tempo um die Kurven, lässt die Reifen quietschen, überholt die anderen Autos mal links, mal rechts.

Keine Regel ohne Ausnahmen: In diesem Fall heissen sie Ivan und Radek. Sie arbeiten in einem kleinen Restaurant, in dem ich und mein australischer Reisekumpel Bill, der mit mir vom Iran nach Turkmenistan gereist ist, zu Abend essen. Ivan und Radek heissen uns willkommen, stellen uns Fragen, ihr Lachen ist ansteckend und erwärmend – mindestens so erwärmend wie der Wodka, den sie uns auftischen.

Ivan driftet um die Kurven

Nach drei Runden fragen sie uns, ob wir mit ihnen noch weiter wollen in eine Bar. Wir packen unsere Sachen und steigen in Ivans Toyota Corrolla Levin. Im Restaurant hat er uns erzählt, dass er ein grosser Formel-1-Fan sei – und dementsprechend gibt er dann auch Gas. Er driftet in hohem Tempo um die Kurven, lässt die Reifen quietschen, überholt die anderen Autos mal links, mal rechts.

Wir sind keine Minute unterwegs, da wedelt bereits der erste Polizist wild mit seiner Kelle. Ivan kümmert sich nicht darum, im Gegenteil: er drückt nur noch fester aufs Gaspedal. Ein zweiter Polizist winkt uns raus, ein dritter folgt kurz darauf. Als auch noch ein entgegenkommendes Polizeiauto abbremst, um uns zu folgen, wird es Ivan zu heiss.

Aus dem Nichts biegt er links ab, schlängelt sich durch ein paar kleine Seitensträsschen hindurch bis in die Einfahrt eines Reihenhäuschens. Dort parkiert er den Wagen mitten im Gemüsebeet. «Raus, raus! Schnell!», gibt er uns zu verstehen.

Die Situation gerät ausser Kontrolle

Bill und ich sind nervös. Beim Aussteigen fragen wir Ivan, ob das sein Haus sei. Er schüttelt den Kopf. Dann schlendern wir möglichst unauffällig zurück Richtung Hauptstrasse. Doch wir bleiben nicht unentdeckt. Ein Polizist, der zu Fuss unterwegs ist, und offensichtlich nach etwas sucht, ignoriert uns zuerst, dann ruft er uns etwas hinterher.

Es entsteht eine hitzige Diskussion, in der vor allem Ivan immer lauter wird. Ich verstehe kein Wort. Als zwei Polizeiautos dazukommen, scheint die Situation ausser Kontrolle zu geraten: Ein Polizist will Ivan mit Gewalt auf die Rückbank des Streifenwagens zwängen. Er wehrt sich, schreit laut herum, derweil redet Radek auf die anderen zwei Gesetzeshüter ein.

Dann rennt Ivan johlend auf die andere Strassenseite und ruft, den Mittelfinger gegen den Himmel gestreckt: «Fuck the police!»

Bill und ich beobachten das Geschehen wie in Trance aus ein paar Metern Entfernung. Wir sind lediglich Zuschauer, die Polizisten interessieren sich nicht für uns. Wir beraten leise, was wir tun könnten. Eingreifen scheint keine gute Idee. Erstens, weil wir keine Ahnung haben, wie viel Respekt und Autorität die turkmenische Polizei geniesst. Und zweitens, weil uns ohnehin niemand richtig verstehen würde.

Und dann rufen sie: «Fuck the Police!»

Dann geschieht plötzlich ein kleines Wunder: Ivan wird aus der Umklammerung gelassen und die Diskussion wird leiser. Wenige Momente später kommen Ivan und Radek auf uns zu – mit einem frechen Grinsen im Gesicht.

Hast du eine Etappe verpasst?Hier findest du sie alle:

Als wir um die Ecke sind, wollen Bill und ich wissen, wie sie das angestellt haben. Ivan erklärt in seinem bruchstückhaften Englisch, dass er einfach beteuert habe, dass er nichts gemacht habe. Dann rennt er johlend auf die andere Strassenseite und ruft, den Mittelfinger gegen den Himmel gestreckt: «Fuck the police!»

Ich halte mir nur noch die Hände vors Gesicht.

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