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Per Autostopp um die Welt

Fuck you, man! Fuck you: Aggressive Bettelkinder in Kambodscha

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Per Autostopp um die Welt – Woche 38: Von Siem Reap nach Sihanoukville (Kambodscha)
Von Siem Reap nach Puok: Aus der Stadt geht es mit einer jungen Familie, die auf dem Weg an eine Hochzeit ist. Auf dem Bild nicht zu sehen: der neun Monate alte Sohn.
quelle: thomas schlittler / thomas schlitter
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Per Autostopp um die Welt

«Fuck you, man! Fuck you!»: Warum mich in Kambodscha ein kleiner Bub anbrüllt

20.02.2016, 06:5720.02.2016, 09:45
Thomas Schlittler
Thomas Schlittler
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Ich bekomme regelmässig Videos von meinem neun Monate alten Neffen Elias. Meist dienstags, wenn meine Schwester arbeitet und meine Eltern ihn hüten. Elias beim Baden, Elias mit einer Plüschtier-Eule, Elias mit Bauklötzen, Elias das erste Mal im Schnee.

Es ist schön, den Kleinen zumindest auf Bildern aufwachsen zu sehen. Wegen der Videos fährt es mir in Kambodscha aber auch umso mehr ein, wenn ich den vielen Kindern begegne, die nicht eine derart unbeschwerte Kindheit haben wie er in der Schweiz.

1,5 Millionen Kinder in Kambodscha leben unter prekären Umständen

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) schätzt, dass es in Kambodscha – einem Land mit rund 15,4 Millionen Einwohnern – 1,5 Millionen Kinder gibt, die unter prekären Umständen leben. Viele davon haben keine Eltern mehr. Das heisst, sie sind nicht oder kaum geschützt vor Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung oder Verwahrlosung.

Dieses Problem ist auch beim weltberühmten Tempelkomplex Angkor offensichtlich. «Sir, Sir, you want postcard?», fragt mich ein kleines Mädchen. Nein, danke, sage ich und laufe weiter. Als sie hartnäckig an meiner Seite bleibt, sehe ich mir doch ein paar Sujets an. Beim Betrachten der Karten frage ich die Kleine, ob sie zur Schule gehe. «No, no school», antwortet sie kopfschüttelnd. Die paar Brocken Englisch hat sie im täglichen Kontakt mit den Touristen gelernt.

«Denk nach, bevor du bettelnden Kindern Geld gibst!»

Mir kommt der Slogan eines Kinderhilfswerks in den Sinn, den ich am Abend zuvor in einem Restaurant gelesen habe: «Denk nach, bevor du bettelnden Kindern Geld gibst!» Wer das tue, ermuntere diese – und vor allem deren Eltern – weiterhin dem schnellen Geld nachzujagen, anstatt eine Ausbildung in Angriff zu nehmen.

Die Kleine bettelt zwar nicht, sondern verkauft Postkarten. Die Konsequenz ist aber die gleiche: Sie geht nicht zur Schule. Ich blicke ihr deshalb in ihre dunklen, traurigen Augen und sage: «Es tut mir leid, aber ich kaufe nichts.» Sie läuft mir noch ein paar Minuten hinterher, gibt dann frustriert auf und sagt wütend: «Wieso haben Sie die Karten dann überhaupt angeschaut? Sie sind verrückt!»

«Eine Packung Milchpulver für meine kleine Schwester»

Einen Tag später in Siem Reap, der Kleinstadt, in der die tausenden Tempelbesucher übernachten, beschimpft mich erneut ein Kind. In der sogenannten Pub Street, in der es sich die Touristen aus aller Welt gut gehen lassen, spricht mich ein Bub an: «Sir, bitte kaufen Sie mir eine Packung Milchpulver für meine kleine Schwester. Wir haben kein Geld.»

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Ich schaue in sein Gesicht und bin schockiert. Seiner Körpergrösse nach zu urteilen, kann er kaum älter als zehn Jahre sein, doch er hat die Haut eines Erwachsenen, der in seinem Leben zu viel getrunken und geraucht hat. Ich bin mir sicher, dass der Junge drogenabhängig ist. In seinen Augen fehlt das Leuchten, das Kinderaugen normalerweise so einzigartig macht.

Nach der Bildstrecke geht es weiter ...

Quälende Armut, Touristenmassen und Fledermäuse – meine Woche in Bildern

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Per Autostopp um die Welt – Woche 38: Von Siem Reap (Kambodscha) nach Sihanoukville (Kambodscha)
Die Woche beginnt mit den Tempelanlagen von Angkor und ihrem Aushängeschild, Angkor Wat – dem grössten Tempelkomplex der Welt.
quelle: thomas schlittler / thomas schlitter
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Der Kleine wird aggressiv, wie ich es noch nie bei einem Kind erlebt habe

Ich will ihm kein Milchpulver kaufen. Denn ich weiss, dass er im Laden einfach auf das teuerste Produkt zeigen wird – nur um wenige Minuten später zurückzukehren, um sich vom Verkäufer gegen eine Provision den Kaufpreis zurückerstatten zu lassen. Es würde ihn also ebenfalls dazu ermuntern, weiterhin zu betteln – und nicht zur Schule zu gehen.

Ich sage deshalb auch ihm: «Es tut mir leid, aber ich kann dir nichts kaufen.» Daraufhin wird er so aggressiv, wie ich es von Kindern noch nie erlebt habe. Er brüllt mir nach: «Du bist ein schlechter Mann. Fuck you, man! Fuck you!» Dann läuft er weg.

Der Knoten in meinem Magen bleibt ...

Hast du eine Etappe verpasst? Hier findest du sie alle:

Mit einem grossen Knoten im Magen laufe ich in mein Hostel zurück. Aus den unzähligen Bars dröhnen laute Musik sowie das Stimmengewirr und Gejohle der Touristen. Im Bett rasen in meinem Kopf die Gedanken: War es falsch, dem Jungen nichts zu kaufen? Wäre es nicht besser gewesen, als gar nichts zu tun? Was nützt es ihm überhaupt, wenn er zur Schule geht? Um danach keinen Job zu finden? Braucht er wirklich eine Ausbildung, um danach wie alle anderen Tuk-Tuk-Fahrer zu werden?

Und vor allem: Was hätte ich sonst tun sollen?

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19 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Brodeur
20.02.2016 12:26registriert Januar 2016
Ich war vor gut einem Jahr in Kambodscha und auch für mich war es eine sehr emotionale Reise, die mich noch heute nachdenklich stimmt.

Wir haben uns damals entschieden den Kindern nichts zu geben/abzukaufen und dies auch eingehalten.

Stattdessen haben wir im Restaurant des NGO Friends International gegessen (welches Strassenkinder ausbildet -> http://www.friends-international.org) und uns im zugehörigen Shop 'Friends 'N' Stuff' mit Souvenirs eingedeckt. Ich hoffe/glaube somit positiveres bewirkt zu haben, als wenn ich das Geld einem Kind auf der Strasse gegeben hätte.
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Arya Underfoot
20.02.2016 10:06registriert November 2015
Ich war letztes Jahr einen Monat in Vietnam und der tägliche Kontrast zwischen (teils johlenden, saufenden) Touristen und daneben den auch eher armen Bewohnern hat bei mir regelmässig für einen Knoten im Bauch gesorgt. Auf den floating markets im Mekong Delta hatte es auch zahlreiche Kinder die den Touristen Früchte und Getränke verkauft haben und wohl niemals eine Schule von innen gesehen haben. Das rückt viele unserer kleinen Alltagssörgeli in eine andere Perspektive...
Danke für deine super Artikel!!!
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jellyshoot
20.02.2016 07:37registriert Dezember 2015
danke für de artikel. het mich sehr nachdenklich gstimmt - was vermuetlich au chli dini absicht gsi isch?
ich finde du hesch richtig reagiert ... au wenns hart isch!
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