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Per Autostopp um die Welt – Woche 58: Von Gangneung (Südkorea) nach Busan (Südkorea)
Die Worte von Yee Won berühren mich tief:
Dieser Satz steht in dem Brief, den mir die 17-jährige Koreanerin zugesteckt hat, kurz bevor sie aus dem Auto gestiegen ist.
Ihr Vater Jang Hoo Inn und ich haben sie vor ihrer Schule abgesetzt. Sie ist im Prüfungsstress, heute stehen die Abschlussexamen in Mathe, Musik und Physik auf dem Programm.
Der Konkurrenzkampf an südkoreanischen Schulen ist unerbittlich. Für jedes Fach wird ein öffentliches Ranking erstellt. Die Nummer eins erhält Komplimente und Schulterklopfer, die Nummer zwanzig Tadel, Spott oder im besten Fall Mitleid.
Trotz dieses Leistungsdrucks hat sich Yee Won gestern vor dem Einschlafen Zeit genommen für ein paar Zeilen an den Gast aus der Schweiz, den ihr Vater am Strassenrand aufgelesen und kurzerhand zum Übernachten eingeladen hat:
Nach der Bildstrecke mit den Stationen und Fahrern dieser Woche geht es unten weiter ...
Es ist faszinierend, welche Überraschungen das Reisen immer wieder bereithält: Da komme ich nach vielen Monaten in Entwicklungsländern nach Südkorea, ein hochentwickeltes, modernes Land, in dem ich nicht erwartet hätte, dass ein Europäer noch die Neugierde der Einheimischen weckt, – und dann erhalte ich nach einer Nacht in der kleinen, sehr einfachen Blockwohnung einer Mittelstandsfamilie einen so herzwärmenden Brief eines jungen Mädchens:
Die Worte treffen mich auch deshalb so unerwartet, weil die Familie gestern Abend so reagierte, als sei es die normalste Sache der Welt, dass der Vater nach der Arbeit einen Fremden mit nach Hause bringt.
Die 17-jährige Yee Won und ihr ein Jahr jüngerer Bruder sagen mir nur kurz hallo, vertiefen sich dann aber gleich wieder in ihre Schulbücher. Und auch die Mutter geht nach der Begrüssung sofort zurück an den Herd, um das Abendessen zuzubereiten.
Einzig der 7-jährige Nachzügler zeigt sein Interesse am unbekannten Gast. Der Kleine fordert mich auf, ihm seinen Plastikball zuzuwerfen. Nach wenigen Minuten hat er keine Berührungsängste mehr, zupft an meinem Bart und betastet meine Beine – die meisten Koreaner haben dort kaum Haare.
Beim Abendessen legen auch die anderen Familienmitglieder ihre Scheu langsam ab. Sie fragen mich aus über die Schweiz, meine Reise und meine Eindrücke von Korea. Ich will mehr wissen über das koreanische Schulsystem, den Arbeitsalltag und die Beziehung zu Nordkorea.
Das letzte Thema scheint Vater Jang Hoo Inn nicht zu behagen. «Eine Wiedervereinigung ist schwierig, weil sich die Wirtschaft so unterschiedlich entwickelt hat», sagt er ausweichend. Stattdessen öffnet er lieber eine Flasche Soju, eine Art Reiswein. «Du musst dein Glas mit beiden Händen halten, wenn ich dir einschenke», erklärt er mir die koreanischen Anstandsregeln.
Nach dem Essen richten sie mir in einem kleinen Zimmer einen Schlafplatz ein – auf dem Boden. «Das ist koreanische Tradition. Wir haben keine Betten.» Als ich lesend auf der dünnen Matratze liege, steht auf einmal die ganze Familie im Türrahmen. «Können wir ein Foto zusammen machen?», fragt Yee Won. Dann setzt sich die ganze Familie strahlend zu mir ins Bett.
Die Selbstverständlichkeit, mit der das alles geschieht, beeindruckt mich. Folgende Aufforderung in Yee Wons Brief empfinde ich deshalb nicht als leere Worte:
Liebe Yee Won, das werde ich bestimmt nicht!