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Nachhaltigkeit: Olivia Menzi sagt Foodwaste den Kampf an

Die Nachhalterin
Die vielen Karrierestationen von Olivia Menzi (38): Von der Polymechaniker-Lehre, über das Studium als Interaktionsleiterin BA, bis hin zur Leitung einer Webagentur und aktuell als Mitinhaberin des Beratungsunternehmens tinkla GmbH und Vereinspräsidentin von «Mehr als zwei».Bild: Barbara Hess
Nachhalterin

Die Endgegnerin von Foodwaste

Der Verein «Mehr als zwei» hat Foodwaste den Kampf angesagt. Ein Gespräch mit der Vereinspräsidentin Olivia Menzi über ihre Ziele und Werte und darüber, wo sie die Energie hernimmt, um ein solch unüberwindbar scheinendes Problem anzupacken.
28.05.2021, 14:1021.06.2023, 10:09
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Für einen guten Start in den Tag braucht Olivia Menzi 1,5 Tonnen Bananen. Ich höre ihr Lachen durch das Telefon, als sie mir von ebendiesem Morgen berichtet. «Ein grosser Schweizer Detailhändler hat uns heute angefragt, ob wir Abnehmer für 1,5 Tonnen überschüssige Bananen hätten», erzählt die Präsidentin des Vereins «Mehr als zwei». Ziel des Vereins für den Projektzyklus 2019–2023: einen sinnvollen Umgang mit Nahrung finden und Lebensmittelverschwendung vermeiden.

1,5 Tonnen Bananen, das sind etwa 100 Bananenkisten, erklärt die 38-jährige Menzi. Und so fängt unser Gespräch mit der Frucht an, die zugleich die Protagonistin des ersten Projektes des Vereins war: der Banane.

Überschüssige Lebensmittel veredeln – Foodwaste verhindern

30'000 Tonnen Bananen werden pro Jahr in der Schweiz entsorgt. Menzi erläutert: «Diese Bananen sind überschüssig; sei es, weil sie während des Transports einen Kälteschaden erlitten haben oder ‹ein Müh› zu weit im Reifungsprozess sind – um nur zwei mögliche Gründe zu nennen.» Diese Bananen landen, wie so viele andere Früchte und Gemüse, im Container. Hier kommt der Verein «Mehr als zwei» ins Spiel, der 2019 gegründet wurde. Der Ansatz des dreiköpfigen Teams, bestehend aus Olivia Menzi, Karin Friedli und Urs Bucher:

«Wir wollen Überschüsse länger haltbar machen, indem wir sie veredeln.»
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Olivia Menzi besucht alle Produzenten vor Ort und legt selbst Hand an. «Das schafft Vertrauen und erst dann sehe ich die Probleme.» So auch beim Rüsten der Bananen. «Ich bin fast verzweifelt, da viele so krumm waren.»Bild: kollektif.ch

So entstand das Projekt «Deine Banane ist kein Abfall». Aus überzähligen Bananen wurden mit einem Thurgauer Familienbetrieb getrocknete Bananstängeli gemacht, die im April 2020 auf den Markt kamen. Mit weiteren lokalen Produzenten und Produkten, wie Bananenbier und Glace, wurden seit Februar 2020 rund sieben Tonnen Bananen gerettet. Wer im eigenen Haushalt überreife Bananen verwerten will, findet auf dem Blog des Vereins zum Beispiel dieses Bananen-Granola.

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Olivia Menzi mit Roland Kauderer von der Öpfelfarm, dem Thurgauer Familienbetrieb, mit dem sie die getrockneten Bananenstängeli hergestellt haben.Bild: kollektif.ch

Wenn der Raclettekäse «zu hart» ist

Mit der Banane allein ist es aber nicht getan. In der Schweiz landen pro Jahr 2,8 Millionen Tonnen geniessbare Lebensmittel im Abfall. Den meisten Menschen sei das Ausmass des Problems nicht bewusst, sagt Menzi. «Die Konsumentinnen und Konsumenten kriegen nicht mit, wenn Paletten – oft wegen kleinen ‹Defekten› – Lastwagenweise abgelehnt werden.» Ein Raclettekäse, der «zu hart» sei, ein Käse, der nur 96 statt 99 Gramm wiege und weitere Defekte zählt sie mit Erstaunen in der Stimme auf.

Contentpartnerschaft mit WWF
Dieser Blog ist eine Contentpartnerschaft mit WWF. Die Beiträge werden von der freischaffenden Journalistin Jennifer Zimmermann verfasst.

Jennifer lebt (meist) vegetarisch, duscht (zu) oft (zu) lange und wühlt zum Unbehagen mancher Familienmitglieder (fast) immer in den «Gratis zum Mitnehmen»-Kisten am Strassenrand. Als «Die Nachhalterin» schreibt sie in Zukunft für den WWF über Themen, die uns alle etwas angehen (sollten). Wer herausfinden möchte, wo er/sie in Sachen Nachhaltigkeit steht, dem sei der Footprintrechner ans Herz gelegt.

Es handelt sich nicht um bezahlten Inhalt.

Wie geht man so ein grosses Problem am effizientesten an? Auf politischer Ebene wisse sie auch nicht, was die beste Lösung sei. Aber: «Es muss auf allen Ebenen wehtun und das heisst in unserem System: Geld.» Die Verantwortung könne aber nicht auf Einzelpersonen abgewälzt werden. Es gebe hier schon viele gute Initiativen und doch sei es oft so, dass alle mit dem Finger aufeinander zeigen würden und man von einem Fettnäpfchen ins nächste treten.

Ihr Verein verfolgt daher folgenden Ansatz: «Wir fokussieren uns auf das grosse Ganze. Wir fangen mit einem einfachen Prototyp an und demonstrieren, dass und wie es gelingen kann. Die richtig harte Arbeit ist es dann, die Projekte jedes Mal aufs Neue finanziert zu bekommen.» Fördergelder für die Projekte erhalten und erhielten sie bisher von Generation M und der Stiftung Mercator. «Von diesem Geld zahlen wir uns einen niedrigen Grundlohn aus. Es reicht wirtschaftlich aber noch nicht aus, um uns ausschliesslich darauf konzentrieren zu können», sagt Olivia Menzi. «Ich würde mir wünschen, dass es ein Grundeinkommen gäbe, um solche nachhaltigen Ziele und Projekte voranzutreiben», fügt sie an.

Eine Macherin, die keine Inspirations-Zitate flötet

Das hört sich nach einigen Hürden an, sind die drei Vereinsmitglieder zudem branchenfremd. «Das ist kein Problem. UX-Prozesse, agiles Arbeiten und nicht zuletzt Vernetzen und Vertrauen aufbauen, das sind unsere Stärken», ist Menzi überzeugt. Bis heute beruhen alle Kooperationen auf Handschlag. Networken, betont Menzi, habe nun mal keine Spalte im betriebswirtschaftlichen Milchbüchlein – und dennoch sei es mitunter der Hauptfokus ihres Bestrebens.

Auf die Fragen, woher sie all die Energie nimmt und was sie Menschen rät, die einfach nur wütend, traurig oder hilflos wegen Foodwaste und Co. sind, antwortet sie mit einem langen Schweigen. Ich höre sie durch die Leitung ein wenig lauter atmen; vielleicht schmunzelt sie.

Sie scheint mir keine Frau zu sein, die mit Wohlfühl-Tipps oder Inspirations-Zitaten um sich schmeisst, sondern schlicht so ist, wie sie ist: Voller Ideen, Tatendrang und Pragmatismus. «Ich will mit meinem Wissen und meinen Ideen Leute mitreissen. Ich sehe wöchentlich, was ich bewirken kann und mir wird von vielen tollen Menschen Vertrauen entgegengebracht. Das hat mich noch über jedes Motivationsloch getragen.»

Ja, der Tag habe nun mal nur 24 Stunden, fügt sie nüchtern an. Das scheint sie aber keineswegs zu bremsen.

Kennt ihr nachhaltige Start-Ups, Einzelpersonen oder Initiativen, die euer Herz höherschlagen lassen? Teilt sie gerne in den Kommentaren!

Zahlen und Fakten zu Foodwaste

Jährlich landen in der Schweiz rund 2,8 Millionen Tonnen noch geniessbare Lebensmittel im Abfall. Das entspricht pro Person und Jahr 330 Kilogramm oder etwa einem Viertel der Treibhausgase, die wir durch unsere Ernährung verursachen. Wenn wir mindestens ein Drittel der heutigen Lebensmittelverluste verhindern könnten, würde das beispielsweise die Menge an CO2 einsparen, die 500'000 Autos verursachen. Foodwaste ist also nicht nur moralisch bedenklich, sondern verschwendet auch wichtige Ressourcen wie Ackerland, Wasser und Energie. Nicht zuletzt geht Foodwaste ins Geld. Jeder Schweizer Haushalt wirft pro Jahr Lebensmittel im Wert von rund 600 Franken weg.
Quellen: WWF/bafu, 2019

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