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Edvin Uncorked

Wie viele Weingläser braucht man?

Weingläser
Glas über Glas – doch wichtig bleibt, was darin ist. Bild: shutterstock.com
Edvin Uncorked

Brauche ich tatsächlich spezielle Weingläser – oder reicht ein Universalglas?

12.06.2020, 11:2312.06.2020, 16:10
Madelyne Meyer
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Es ist sind zwei der Fragen, die mir am häufigsten gestellt werden: Spielt Form und Art des Weinglases wirklich eine Rolle? Und kann man je nach Weinglas tatsächlich einen Unterschied bemerken? Meine Antwort: Ja, und sogar mega krass!

Versuche es mal, und schenk dir Wein in einen Plastikbecher ein. Du wirst umgehend einen Termin bei deinem Hals-Nasen-Ohren-Arzt vereinbaren, weil du aufgrund der Becherform rein gar nichts riechen wirst.

Bevor wir zur Wichtigkeit von Gläserformen kommen, will ich noch drei andere Faktoren erwähnen, die auch einen grossen Einfluss auf dein Trinkerlebnis haben.

Der Stiel des Glases

Der Stiel des Glases hat tatsächlich eine Funktion. Anhand des Stils kannst du den Wein besser und eleganter schwenken.

Für alle, die ihren Wein am Kelch (Bauch) halten: Hör sofort auf!

Wenn du den Kelch des Weinglases zum Halten benötigst, erwärmst du deinen Wein, was du wirklich nicht willst, weil wöh.

Ausserdem wirst du höchstens deine Hand und evtl. ein wenig Schweiss oder Handcrème riechen, weil deine Hand sich so nahe an deiner Nase befindet. Auch wöh.

Und zu guter Letzt sieht dein Glas nach drei Schlücken aus, als hätte es ein Baby geknutscht: fettig, schmierig und klebrig.

Und wie ich immer zu sagen pflege:

Lieber einen Suff mit Stil als ein Weinglas ohne Stiel.

Die Dicke des Glases

Auch die Dicke des Glases spielt eine grosse Rolle beim Verkosten des Weines.

Je weniger Glas zwischen dir und dem Wein ist, desto besser, denn so nimmst du mehr vom Wein wahr als vom Glas. Einige Restaurants besitzen Gläser von den Herstellern Zalto oder Gabriel. Trinkst du aus ihnen, wird es dich richtiggehend aus den Socken hauen – vor allem auch, weil die Gläser so leicht sind und du den Eindruck bekommst, den Wein ohne Erdanziehungskraft zu trinken. Schier schwerelose Prachtexemplare!

Die meisten Weingläser bestehen übrigens aus verschiedenen Mineralien wie Quarzsand, Pottasche und Metalloxiden, welche sich bei ca. 1500°C zu einer flüssigen Glasmasse verwandeln. Die genaue Zusammensetzung ist allerdings meist ein Geheimnis der jeweiligen Hersteller.

Schwenken, nicht denken!

Egal ob es sich um Weiss-, Schaum- oder Rotwein handelt, schwenke dein Glas! Das ist essentiell, denn jeder Wein entfaltet sich besser mit Sauerstoff.

Wieso?

Weil sich die Aromamoleküle am Ethanol (Alkohol), welches durchs Schwenken verdunstet, festklammern und so aus dem Glas in deine Nase und in deinen Gaumen kommen. So landen mehr Aromen in deinem Gehirn und der Wein wirkt aufgeschlossener, expressiver. Du riechst einfach viel mehr. Punkt.

Und nun zum Eingemachten.

Die Glasformen

Es gibt Weingläser in Dutzenden von Formen, dazu gemacht, einem Wein das absolute Maximum seines Potenzials zu entlocken.

Für den Anfang empfehle ich ein Universalglas, in dem Weiss- und Rotweine gleichermassen gut zur Geltung kommen. Fast jeder Glashersteller bietet ein solches Glas an.

Wer sich aber mit den Finessen befassen will, dem sei Folgendes empfohlen:

Das Weisswein-/Rosé-Glas

Schmaler Kelch, schmale Öffnung

Für alle Weissweine empfehle ich kleinere Weingläser, die nach oben eine schmalere Form behalten. Ein Ausnahme bilden nur schwerere Chardonnays, die für ihren volleren Körper einen grösseren Kelch zum Entfalten benötigen,

Das Weissweinglas bewahrt florale Aromen vor dem sofortigen Entweichen. Auch kommt die Säure so schön zum Ausdruck.

Ein nicht zu verachtender Vorteil solcher Gläser ist, dass das kleinere Glas mit weniger Oberfläche dafür sorgt, dass der Weisswein kühl bleibt.

Der Kälte-Verfechter.
Der Kälte-Verfechter.bild: madelyne meyer

Das Schaumweinglas

Schmaler Kelch, noch schmalere Öffnung

Schaumweine sind prickelnde Weine. Doch sie verfügen auf jeden Fall über mehr als nur Kohlensäure und können Frucht- oder wunderbare Bäckereiaromen aufweisen. Deshalb empfehle ich hier das gleiche Glas wie für Weisswein.

Wenn du es wirklich ernst meinst: Mittlerweile gibt es sensationelle Champagnergläser aus Kristall, die einen etwas breiteren Bauch für die Aromaentfaltung aufweisen und einen spitzigen Glasboden haben, der die Bubbles in einer einzigen feinen Linie nach oben prickeln lässt. Der Wahnsinn!

Platz für Bubbles.
Platz für Bubbles.bild: madelyne meyer
Moment, was spricht gegen das Flûte-Glas?
Die Flûte ist perfekt, um die Kohlensäure im Schaumwein zu bewahren. Kohlensäure entweicht in diesem Glas nur sehr langsam, was eigentlich wunderbar ist, jedoch können kaum irgendwelche Aromen von diesem Reagenzglas entweichen, da sich der Schaumwein NULL entfalten kann. Es fehlt schlichtweg an Platz (zum Schwenken). Früher machte diese Form aber absolut Sinn, da der Champagner ungefiltert auf den Markt kam und sich die Sedimente schön auf den Boden absetzen konnten und während dem Trinken auch da unten blieben.
Schnuufe ist unser Credo!
Jää, und die Champagnerschale?
Champagnerschalen sehen zwar unglaublich cool aus, jedoch sind sie für den Schaumweingenuss absolut ungeeignet. Denn der Champagner hört wegen der grossen Oberfläche in der Schale sehr schnell auf zu prickeln und schmeckt nur noch langweilig und flach. Zudem wird er auch viel zu schnell warm, da Schale und Stiel sehr eng beieinander liegen. Tipp: Trinke schneller, so bleiben die Bubbles drin und der Schaumwein kalt ;-) Aber im 17. Jahrhundert, als diese Gläser zum ersten Mal auf den Markt kamen, ging es auch nicht um gemütlichen Genuss. Champagner wurde schlichtweg in einem Schluck heruntergeschletzt – wie heute Tequila. Zudem war es einfacher, die Sedimente aus der kleinen, runden Schale zu schütteln, nachdem man den Champagner getrunken hatte.

Das Burgundglas

Sehr runder Kelch, schmalere Öffnung

Diese Gläserform ist für Weine gedacht, die elegante, feine Aromen und einen eher leichten Körper haben – wie zum Beispiel Pinot Noir, Gamay, Zweigelt oder Nebbiolo.

Durch das Schwenken im Glas öffnet sich dieser Wein mit seinen eher diskreten Aromen gut, und dank der schmaleren Öffnung entweichen die Aromen nicht gleich.

Runde Ranze.
Runde Ranze.bild: madelyne meyer

Das Bordeauxglas

Gleichmässig breiter Bauch, mit ähnlich grosser Öffnung

Ich habe schon einige Verkostungsrunden mit diversen Weinen aus verschiedenen Gläsern auf meinem Buckel. Dabei habe ich festgestellt, dass Rotweine aus einem Glas mit breiter Öffnung tendenziell weicher schmecken. Dieser Effekt kann der Hammer sein, wenn es um kräftigere Weine geht.

Bordeauxgläser sind für genau solche Weine gedacht: Weine mit wuchtigeren Aromen wie zum Beispiel Cabernet Sauvignon oder schwererem Körper wie Amarone. Durch den grosszügigen Kelch können sich die Aromen mit der Luftzufuhr entfalten, während sie nach oben und hinaus gleiten. Die breitere Öffnung bzw. Oberfläche erlaubt, dass etwaiger Alkoholgeruch entweichen kann. Eine Mini-Karaffe sozusagen.

Aromaschleuder.
Aromaschleuder.bild: madelyne meyer

Selbstverständlich gibt es dann noch weitere Gläser für Fruchtdestillate, Liköre, Grappe und Dessertweine, aber ich will ja keinen Doktor machen und klemme hier ab.

Was ich euch empfehlen kann, ist, dass ihr bezüglich guten Rates für passende Gläser direkt bei Wein- oder Fruchtproduzenten anklopft. Die wissen, wie's läuft, und bleiben sicher auch am Boden der Tatsachen: Es gibt ein Glas für alles, aber schlussendlich geht es um Genuss und nicht um Physik.

Cheers, eure Edvin

Bild

Madelyne Meyer

Die Weinwelt kann extrem elitär und exklusiv sein. Darauf hat Madelyne Meyer aber gar keine Lust. Mit ihrem unkonventionellen Weinblog Edvin hat sich die Aargauer Weinexpertin in der Schweiz einen Namen gemacht. «Meine Leser mögen wohl meine selbstironische Art. Ich nehme mich und die Weinwelt nicht todernst, zolle dem Wein aber immer genügend Respekt».

Madelyne arbeitet in ihrem Familienbetrieb für Marketing & Kommunikation und schreibt noch für den Gault Millau Channel. Das Ganze rundete sie im September 2019 mit ihrem ersten Buch «Endlich Wein verstehen» ab.
Für watson schreibt Madelyne ab sofort regelmässig exklusiv in ihrem Blog.

Weitere Infos über Madelyne und Wein findest du hier:
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44 Kommentare
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Stargoli
12.06.2020 11:37registriert Januar 2015
Also ich trink meinen Wein am liebsten direkt aus dem 3 Liter Tetrapack;)
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hugo habicht
12.06.2020 11:53registriert August 2018
Leichfüssig-witzig geschrieben, aber eben nicht Blabla, sondern sackstark sachkundig mit fühlbar passionierter Beziehung zum Stoff. Merci.
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Ohniznachtisbett
12.06.2020 13:18registriert August 2016
Lieber einen Suff mit Stil als ein Weinglas ohne Stiel.

Geht das nur mir so? Wenn ich Wein trinke als Genuss zum Essen, halte ich nur am Stiel, wie es sich gehört. Wird der Abend aber lang und der Wein viel, halte ich irgendwann aus Bequemlichkeit am Bauch. Ich weiss, schämen sollte ich mich...
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