Wirtschaftskrieg mit Russland: Wie stark ist Putins neue Rote Armee?

Gazprom kontrolliert rund einen Drittel des Gasversorgung EuropasBild: AP/AP
Krimkrise

Wirtschaftskrieg mit Russland: Wie stark ist Putins neue Rote Armee?

Präsident Putin betrachtet die Krim ab sofort als russisches Territorium. Der Westen wird neue Sanktionen beschliessen. Der Wirtschaftskrieg eskaliert.
18.03.2014, 18:0523.06.2014, 14:50

Wie erwartet zeigt sich Wladimir Putin von den vom Westen verhängten Sanktionen völlig unbeeindruckt. Er will die Halbinsel Krim annektieren und sie zu einem Teil der russischen Föderation machen. Weder die EU noch die USA können dies hinnehmen. Zum Glück besteht bisher keine militärische Option. Der Konflikt wird dazu führen, dass sich der Wirtschaftskrieg verschärfen wird. Bereits am kommenden Donnerstag werden die Staatsoberhäupter der EU über neue Massnahmen beraten. Wer hat die besseren Karten?

Günther Oettinger, Energiekommissar der EU, hat Russlands Rohstoffreserven einst als «Putins neue Rote Armee» bezeichnet. Tatsächlich sind Öl und Gas die wichtigsten Trümpfe von Russland. Gazprom kontrolliert rund einen Drittel des Gasversorgung Europas, und in der Vergangenheit hat Putin bewiesen, dass er gewillt ist, diesen Joker auch zu spielen. 2009 hat er der Ukraine kurzerhand für drei Monate den Gashahn zugedreht und sie so gezwungen, auf seine Forderungen einzugehen. 

Ausser Rohstoffen hat Russland wenig zu bieten

Gegenüber Deutschland & Co. wird sich Putin hüten, ebenso forsch aufzutreten. In der Vergangenheit hat er immer wieder versichert, Russland werde seinen Erdgas-Lieferpflichten gegenüber stets nachkommen. Dafür gibt es mehr als sein Ehrenwort. Anders als von der wirtschaftlich schwachen Ukraine ist Russland vom Westen stark abhängig:

- Mit Ausnahme von Singapore und Ungarn hat Russland die höchste Staatsverschuldung in einer Fremdwährung. Die Schulden in Dollar, Euro und Schweizer Franken belaufen sich auf rund 12 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Der Rubel hat sich gegenüber diesen Währungen wegen der Krimkrise stark abgewertet. Das bedeutet, dass die Schuldenlast für die Russen noch grösser geworden ist.

 - Russlands Wirtschaft befindet sich in einem miesen Zustand und hat ausser Rohstoffen wenig zu bieten. Die russischen Oligarchen haben in Yachten und englischen Fussball investiert, aber viel zu wenig in die eigene Wirtschaft. Dazu kommen Inflation und hohe Kapitalkosten. Letztes Jahr ist das russische BIP daher bloss um 1,3 Prozent gewachsen. Das ist das schlechteste Resultat seit 2009 und deutlich unter dem von der Regierung gesetzten Ziel von 5 Prozent. 

 Die russischen Oligarchen haben in Yachten und englischen Fussball investiert, aber viel zu wenig in die eigene Wirtschaft.Bild: EPA

Wie der Westen in Russland investiert

Wenn in Russland investiert wird, dann vom Westen. Zu den grössten Investoren gehören etwa Pimco, der grösste ObligationenhändIer der Welt und BlackRock, der grösste Fondshändler. Beides sind amerikanische Unternehmen. In den letzten vier Jahren sind von den vier grössten ausländischen Investoren gemäss Angaben von Thomson Reuters 325 Milliarden Dollar nach Russland geflossen. Pimco und BlackRock sind die grössten ausländischen Aktionäre bei Gazprom und Sberbank, dem wichtigsten Geldinstitut.

Russland hat bisher von den indexierten Fonds profitiert. In normalen Zeiten investieren diese Fonds nicht in ausgewählte Titel, sondern folgen einem vorgegebenen Index. Der MSCI ist ein solcher Index, er bildet die Märkte der Schwellenländer ab. Russlands Gewicht liegt derzeit bei 4,9 Prozent. Das bedeutet, dass die Indexfonds 4,9 Prozent ihres Kapitals, das sie in Schwellenländer fliessen lassen, automatisch in Russland investieren.

Durch die Krimkrise wird dieser Automatismus unterbrochen. Die Folgen beschreibt die «New York Times» wie folgt: «In einer Welt, in der Milliarden von Dollars – gestützt auf ihr Gewicht im Index – automatisch in Länder und Unternehmen fliessen, wird ein Ausschluss aus diesem Index einen spürbaren Effekt haben. Er wird Investoren zum Verkaufen zwingen und damit den russischen Topunternehmen dringend benötigte Mittel entziehen.»

Die USA sind dank Fracking im Begriff, wieder zum grössten Öl und Gasproduzent der Welt zu werden.Bild: EPA

Wie der Westen Putin wirklich weh tun kann

Der Westen wird sich wegen der Krimkrise vermehrt bemühen, Putins neue rote Armee zu schwächen. Weil die USA dank Fracking im Begriff sind, wieder zum grössten Öl und Gasproduzent der Welt zu werden, geht es vor allem darum, wie Kohlenwasserstoff-Lieferung aus Übersee die Abhängigkeit von Russland mildern können. Selbst Fracking wird jedoch kurzfristig nicht weiterhelfen. Es würde Jahre dauern, um die nötige Infrastruktur, beispielsweise Häfen für Flüssiggastanker, zu bauen. 

Hingegen gäbe es tatsächlich einen Weg, Russland an der Ölfront empfindlich zu treffen. Der Energie-Experte Philip Verleger zeigt in der «Financial Times» auf, wie das gehen würde. Russland ist abhängig vom Ölpreis. Die Amerikaner könnten dafür sorgen, dass sich dieser Preis um mehr als 10 Dollar pro Fass vermindern könnte. Sie müssten dazu ihre strategische Ölreserve (SPR) kurzfristig auf den Markt werfen. Die SPR beträgt derzeit rund 700 Millionen Fass Rohöl. Die US-Regierung hat diese Reserve zwischen 1977 und 2009 schrittweise aufgebaut. Heute ist sie dank Fracking überflüssig geworden.

Billiges Öl würde Russland jährlich 40 Milliarden Dollar kosten

Philip Verleger geht davon aus, dass die USA daher problemlos 500'000 bis 750'000 Fass Öl auf den Markt werfen könnten. Dadurch würde der Ölpreis zwischen 10 und 12 Dollar pro Fass sinken, mit schmerzhaften Folgen für den Kreml. «Ein Preiszerfall von 10 Dollar pro Fass würde das Einkommen Russlands aus Ölexporten um jährlich 40 Milliarden Dollar schmälern» stellt Verleger fest. «Russland BIP könnte deshalb bis zu 4 Prozent schrumpfen.»

Fazit: Trotz «Putins neuer Roten Armee» hat Russland in einem hart geführten Wirtschaftskrieg die schlechteren Karten. Weil die Krimkrise jedoch zunehmend zu einem irrationalen, chauvinistischen Spektakel ausartet, schwinden die Chancen, dass sich die wirtschaftliche Vernunft durchsetzen kann.

Die Schweiz und der Wirtschaftskrieg
Für Carlo Sommaruga, Präsident der aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, ist Putin zu weit gegangen. Der SP-Politiker muss auch die Schweiz Wirtschaftssanktionen ergreifen. «Für mich ist die rote Linie jetzt überschritten» sagt er.

Sein Gegenüber im Ständerat, Felix Gutzwiller (FDP) hingegen rät vor einem solchen Schritt ab. «Es bringt nicht sehr viel, wenn man bei solchen Sanktionen mitmacht», stellt er fest.

Zu einer Beteiligung an Sanktionen verpflichtet wäre die Schweiz nur, wenn diese von der UNO beschlossen würden.
Die Schweizer Parteien sind in der Sanktionsfrage gespalten. Die SVP lehnt Massnahmen gegen Russland ab, die Grünen sind dafür. Die SP und die FDP sind eher für Abwarten.
Bisher hat die Schweiz Vermögen und Bankkonten der Familie des gestürzten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und von Personen aus dessen Umkreis eingefroren.  (pl) 

 

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