«Hitzfeld kam als Messias, aber was er mit der Nati erreicht hat, hätten andere auch geschafft»

Die letzte Ansprache: Ottmar Hitzfeld vor der Verlängerung gegen Argentinien.
Die letzte Ansprache: Ottmar Hitzfeld vor der Verlängerung gegen Argentinien.Bild: Reuters
Kommentar

«Hitzfeld kam als Messias, aber was er mit der Nati erreicht hat, hätten andere auch geschafft»

Der Abschluss war noch einmal denkwürdig. Nach 61 Spielen als Trainer der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft geht Ottmar Hitzfeld in Pension. Die couragierte Leistung beim WM-Out gegen Argentinien schönt seine Bilanz, die gut ist, aber nicht überragend.
02.07.2014, 01:3002.07.2014, 09:41
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Ralf Meile
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«Als ich die Messias-Schlagzeile gelesen habe, war ich drauf und dran, alles hinzuschmeissen und den Job als Nationaltrainer gar nicht anzutreten.» Ottmar Hitzfeld wusste spätestens nach der Lektüre des besagten «Blick»-Artikels, welche grossen Erwartungen die Fussball-Schweiz an ihn hatte. Nach sechs Jahren lässt sich festhalten: Hitzfeld hat die Erwartungen bestimmt erfüllt, aber mit Sicherheit nicht übertroffen.

Im Frühling 2008 macht der Schweizerische Fussballverband Nägel mit Köpfen. Noch vor der EM im eigenen Land wird die Nachfolge von Köbi Kuhn geklärt. Auf den im Volk populären, bodenständigen «Köbi National» folgt Ottmar Hitzfeld: Ein Trainer mit Weltruhm, mehrfacher Meister und zweifacher Sieger der Champions League.

3. März 2008: Der Verband und Ottmar Hitzfeld geben bekannt, dass der Vertrag des neuen Nationaltrainers unterschrieben ist.
3. März 2008: Der Verband und Ottmar Hitzfeld geben bekannt, dass der Vertrag des neuen Nationaltrainers unterschrieben ist.Bild: Keystone

Mehr zum Schweizer WM-Out

Jahrhundert-Pleite gegen Luxemburg

Die Europameisterschaft gerät für die Schweizer Nati zum Debakel, schon nach zwei Spielen ist sie ausgeschieden. Und der Start in die Ära Hitzfeld wird gar zu einem noch grösseren Fiasko. Ist der Punktverlust beim 2:2 in Israel zum Auftakt der WM-Qualifikation vor allem ärgerlich, weil der Ausgleich nach einer 2:0-Führung in der 92. Minute fällt, so ist das erste Heimspiel der Kampagne nichts als eine Peinlichkeit.

Gegen den Fussballzwergen Luxemburg verliert Hitzfelds Auswahl im Zürcher Letzigrund mit 1:2. «Bei jedem anderen Trainer würde man nach diesem Desaster den Rücktritt fordern», weiss der «Blick». Und weiter: «Da der Trainer aber nicht Möngi Max heisst, sondern Ottmar Hitzfeld, einer der erfolgreichsten Klubtrainer der Welt, ist eine Rücktrittsforderung jetzt nicht angebracht.»

10. September 2008: Der Schweizer Betreuerstab ist restlos bedient, die Nati verliert gegen Luxemburg mit 1:2.
10. September 2008: Der Schweizer Betreuerstab ist restlos bedient, die Nati verliert gegen Luxemburg mit 1:2.Bild: Keystone

Die Nati kratzt in der Folge die Kurve und qualifiziert sich für die WM in Südafrika. Die Schweiz profitiert dabei auch vom Umstand, dass Hitzfeld das den Deutschen angedichtete Losglück mitgebracht hat. Denn um nach Südafrika zu gelangen, müssen Griechenland, Lettland, Israel, Luxemburg und Moldawien hinter sich gelassen werden – die Namen klingender Fussballnationen waren und sind das nicht.

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Sieg gegen Spanien als «Geschenk des Himmels»

Die WM 2010 wird für Hitzfeld, die Spieler und alle Fans zu einem Wechselbad der Gefühle. Der Auftakt ist filmreif. In Durban gegen Europameister Spanien machen die Schweizer hinten dicht, zeigt Goalie Diego Benaglio eine Weltklasse-Partie und stolpert in einem der wenigen Offensivmomente Gelson Fernandes den Ball zur 1:0-Sensation über die Linie.

16. Juni 2010: In Durban schiesst Gelson Fernandes das Tor zum Sieg gegen Spanien.Video: Youtube/zh z

Als ein «Geschenk des Himmels» bezeichnet der Trainer den nicht für möglich gehaltenen Erfolg. Was folgt, ist weniger erfreulich. Nach der 0:1-Niederlage gegen Chile und einem umstrittenen Platzverweis gegen Valon Behrami besiegelt ein enttäuschendes 0:0 gegen Honduras wenige Tage später das WM-Aus.

Umbruch erfolgte nicht freiwillig

Nicht minder ernüchternd ist der Start in die Qualifikation zur EM 2012. Für die Schweiz ist nach zwei Niederlagen in den ersten beiden Spielen (zuhause gegen England und auswärts in Montenegro) jedes weitere Spiel wie ein Final. Schlussendlich verpasst die Nati sogar die Barrage, muss erstmals seit der WM 2002 einen Grossanlass wieder als Zuschauer mitverfolgen.

Es folgt der Umbruch, den Hitzfeld aber nicht aktiv forciert. Erst als sich die erfolgreiche Spielergeneration um Alex Frei aus freien Stücken von der Nati verabschiedet, setzt der Trainer notgedrungen auf die erfolgreiche Jugend. Er baut U17-Weltmeister wie Ricardo Rodriguez, Granit Xhaka und Haris Seferovic ein, setzt auf Xherdan Shaqiri.

25. Juni 2010: Nach dem WM-Out gegen Honduras macht Alex Frei noch weiter, während der EM-Qualifikation erklärt der Captain dann seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft.
25. Juni 2010: Nach dem WM-Out gegen Honduras macht Alex Frei noch weiter, während der EM-Qualifikation erklärt der Captain dann seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft.Bild: Keystone

Resultat- statt Spektakel-Fussball

Doch immer wieder zeigt sich: lieber setzt Hitzfeld auf die Routine. Als sich im zweiten WM-Spiel 2014 gegen Frankreich Steve von Bergen verletzt, hat er nicht den Mut auf den jungen Fabian Schär zu setzen; er entscheidet sich für Philippe Senderos. Die Schweiz geht unter, verliert 2:5.

Diese Wahl führt direkt zu einem weiteren Punkt, der in der Ära Hitzfeld zentral war: die Spielweise. Die Schweiz spielte meist defensiv, was gegen grosse Gegner dann und wann auch Erfolg versprechend war, siehe Spanien 2010. Im offensiven Bereich, in der Spielgestaltung, fehlte die Kreativität. Letztlich scheiterte sie auch im Achtelfinal gegen Argentinien daran.

Seit dem Abgang von Hakan Yakin hat die Schweiz keinen «Zehner» mehr, dafür tummeln sich lauter Spieler im zentralen Mittelfeld, deren Stärke das Abräumen ist: Captain Gökhan Inler, Valon Behrami, Blerim Dzemaili, Granit Xhaka. Weshalb Hitzfeld immer wieder an Xhaka als offensiven Ballverteiler festhält, bleibt sein Geheimnis. Schönheitspreise gewinnt die Schweiz mit ihrer Art und Weise keine.

20. Juni 2014: Granit Xhaka (hier beim 2:5 gegen Frankreich) erhält von Hitzfeld stets von Neuem eine Chance, doch er kann die Erwartungen nur sehr selten erfüllen.
20. Juni 2014: Granit Xhaka (hier beim 2:5 gegen Frankreich) erhält von Hitzfeld stets von Neuem eine Chance, doch er kann die Erwartungen nur sehr selten erfüllen.Bild: Reuters

Schulnote 5

Wer sagt, dass für ein kleines Land wie die Schweiz schon die Teilnahme an einer WM-Endrunde ein Erfolg sei, dem muss widersprochen werden. Das Argument gilt nicht (mehr). Nicht wenn Trainer und Spieler jeweils vor dem Turnier von ihren Zielen und Träumen erzählen, die nie schon nach der Gruppenphase enden. Nicht wenn die grosse Mehrheit des Kaders in einer europäischen Topliga unter Vertrag steht. Und nicht wenn im Umfeld alles erdenkliche für den Erfolg getan wird. Dann ist die WM-Teilnahme nicht die Kür, sondern die Pflicht.

Als Klubtrainer war Ottmar Hitzfeld einer der erfolgreichsten der Welt. Als Nationaltrainer der Schweiz war er es nicht. Eine enttäuschende und eine ansprechende WM-Teilnahme, einige schöne Testspielsiege (5:3 gegen Deutschland, 1:0 gegen Brasilien), eine verpasste EM-Qualifikation: Diese Bilanz hätte auch ein Trainer ohne den Glanz, den Ruhm und den dicken Zahltag eines Ottmar Hitzfeld geschafft.

Wie die Schweiz nach dem bitteren 2:5 gegen Frankreich danach Honduras wegputzte, war klasse. Die starke Leistung beim tragischen Ausscheiden gegen Argentinien schönt die Abrechnung ebenfalls. Und weil der letzte Eindruck oft derjenige ist, der haften bleibt, erhält der ausgebildete Mathematik-Lehrer für seine Arbeit mit der Nationalmannschaft die Schulnote 5: Gut.

1. Juli 2014: Feierabend. Mit dem Ausscheiden an der WM in Brasilien endet die einmalige Trainerkarriere von Ottmar Hitzfeld.
1. Juli 2014: Feierabend. Mit dem Ausscheiden an der WM in Brasilien endet die einmalige Trainerkarriere von Ottmar Hitzfeld.Bild: Reuters
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