Die Empörung ist vor allem unter den moderaten Kräften im Iran gross. Die Präsidentschaftswahl am Freitag war schon vor der eigentlichen Abstimmung eine Farce. Das Wahlgremium schloss vergangenen Monat die aussichtsreichsten Kandidaten der moderaten Kräfte im Land von der Abstimmung aus. Nun steht das Land vor einem grundlegenden Machtwechsel, die radikalen Kräfte greifen nach acht Jahren wieder nach der Macht.
Das islamistisch-nationalistische Lager im Iran, das den Westen als Feind sieht und jegliche Annäherungen ablehnt, ist auf dem Vormarsch. Das sorgt vor allem für Resignation bei dem reformorientierten Teil der Bevölkerung. Letzterer ist schwach, chancenlos und kann nur dabei zusehen, wie die Fortschritte unter dem vergleichsweise moderaten Präsidenten Hassan Ruhani Gefahr laufen, sich in Luft aufzulösen.
Mit der Beeinflussung der Wahl zeigt die religiöse Führung vor allem eines: Sie fühlt sich ihrer Macht sicher. Sie fürchtet keinen Umsturz und sie hat in der Bevölkerung momentan mehr Rückhalt als vor der letzten Wahl im Jahr 2017. Das erscheint ungewöhnlich, weil das Land in einer schweren Wirtschaftskrise steckt, vielen Menschen geht es nicht gut. Regimekritiker werden noch immer verfolgt und getötet, Fortschritte bei der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gibt es nicht.
Doch im Angesicht der Armut und dem Leid der Bevölkerung verweisen die iranischen Hardliner vor allem auf die USA als Verantwortlichen. Diese Strategie zeigte in den vergangenen Jahren immer grösseren Erfolg, was vor allem mit Donald Trump zusammenhängt.
Der ehemalige US-Präsident begegnete der iranischen Führung vor allem mit Härte. Er inszenierte gross den US-Austritt aus dem Atomabkommen mit dem Iran, feierte sich für die Tötung des Generals Qassem Soleimani. Der iranische Militärstratege war der Kopf hinter vielen Anschlägen und Angriffen, die den Westen aus dem Nahen und Mittleren Osten drängen sollten. Im Iran aber war er sehr beliebt, nach seiner Tötung durch eine US-Drohne im Irak kamen in Teheran Hunderttausende zu einem Trauermarsch zu seinen Ehren.
Unter Trump wurden nicht nur die Sanktionen gegen den Iran verschärft, sondern die USA begannen einen Wirtschaftskrieg, um die Diktatur vom internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem abzuschneiden. Darunter leidet vor allem die iranische Bevölkerung und es war nicht schwer für das Regime, ihr westliches Feindbild zu propagieren.
Aber es war nicht nur Trumps Politik, sondern auch seine Rhetorik:
Begleitet wurden die Trump-Jahre ausserdem immer wieder von Säbelrasseln. Der ehemalige Präsident lag zwar mit seiner Kritik an dem autokratischen Regime im Iran nicht falsch, diplomatisch waren seine Beschimpfungen allerdings ein Super-GAU – viele Gesprächsbrücken wurden in dieser Zeit zerstört.
Trumps harter Iran-Kurs war vor allem innenpolitisch motiviert, um Versprechen gegenüber seinen Wählern einzulösen. Sein strategisches Kalkül: Das Leid der iranischen Bevölkerung durch die Sanktionen wird dazu führen, dass die Bevölkerung gegen die Führung revoltiert. Vor der Präsidentschaftswahl wissen wir, dass das genaue Gegenteil passiert ist.
Die radikalen Kräfte, die Trump eigentlich bekämpfen wollte, wurden im Iran durch ihn gestärkt. Die Fehler der US-Politik rächen sich nun, vor allem für die Reformer in der iranischen Bevölkerung.
Viele Menschen wollen am Freitag erst gar nicht zur Wahl gehen, das berichten selbst die staatlichen Medien. Nach Umfragen wollen nur ungefähr 40 Prozent der über 59 Millionen Stimmberechtigten an der Wahl am Freitag teilnehmen. Vor vier Jahren waren es noch mehr als 70 Prozent. «Nicht wer wen wählt, sondern wer gar nicht wählt ist diesmal die eigentliche Herausforderung», beschreibt der reformorientierte Kandidat Abdolnasser Hemmati die politische Botschaft einer niedrigen Wahlbeteiligung.
Doch auch eine geringe Wahlbeteiligung wird den Machtwechsel nicht verhindern, das geringe Interesse an der Wahl zeigt vor allem den Frust in der Bevölkerung. Vor allem sind die Menschen von Ruhani und den Reformern enttäuscht, die viele ihrer Versprechen nicht gehalten haben. Hinzu kommt die seit drei Jahren andauernde Wirtschaftskrise wegen der US-Sanktionen. Letzten Monat sorgte dann noch das Wahlgremium – auch Wächterrat genannt – landesweit für Empörung.
Ohne Erklärung schloss der Rat mehrere renommierte Politiker von der Wahl einfach aus. Unter ihnen waren auch ein amtierender Vize-, ein langjähriger Parlaments- und in der Person von Mahmud Ahmadinedschad gar ein Ex-Präsident und einst Vorzeigepolitiker des Systems.
Die Reaktionen darauf waren heftig, auch in den Kreisen des Regimes. «Mein Grossvater wollte eine islamische Republik und keine islamische Herrschaft, die Entscheidungen hinter geschlossenen Türen trifft», sagte Hassan Chomeini, Enkel des iranischen Revolutionsführers. Selbst Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei war nicht erfreut über die Aussortierungen. In den Medien war die Rede von «Abrechnung» der Hardliner mit den Reformern und «Putsch» gegen Präsident Ruhani. Viele Iraner wollen daher diese inszenierte und undemokratische Wahl boykottieren. «Ich auch», outete sich sogar Ahmadinedschad als Wahlverweigerer.
Zugelassen wurden sieben Kandidaten, fünf vom Hardliner-Flügel und zwei weniger bedeutende Reformer. Drei haben sich inzwischen zurückgezogen, bleiben also noch vier. Als Favorit für die Nachfolge von Hassan Ruhani gilt der erzkonservative Kleriker Ebrahim Raeissi. Vor vier Jahren war er noch an Ruhani gescheitert, aber diesmal ist sein Weg ins Präsidialamt wesentlich einfacher. Denn Ruhani darf nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten.
Der 60-jährige Raeissi ist Chef des Obersten Gerichtshofs und ein enger Vertrauter von Ajatollah Ali Chamenei, dem geistlichen und politischen Oberhaupt der Islamischen Republik. Er übt eine Schlüsselposition im milliardenschweren religiösen Konglomerat Astan Kods Rasawi, dem grössten Landbesitzer im Iran, aus, zu dem Bergwerke, Textilfabriken, ein Pharmaunternehmen und mehrere grosse Öl- und Gasfirmen gehören. Für die Exil-Opposition ist sein Name unauslöschlich mit den Massenhinrichtungen von Marxisten und anderen Linken 1988 verbunden, als Raeissi stellvertretender Staatsanwalt des Revolutionsgerichts in Teheran war.
Raeissis Kontrahenten, denen allenfalls Aussenseiterchancen eingeräumt werden, kommen alle aus dem iranischen Machtapparat: Angehörige des Schlichtungsrates, früherer Regierungsmitglieder, Ex-Militärs. Alles andere als ein klarer Sieg Raeissis wäre eine riesengrosse Überraschung.
Die öffentliche Debatte kreist fast ausschliesslich um Raeissi. Der 60-jährige Justizchef ist nicht nur Spitzenkandidat der Hardliner, sondern auch Wunschpräsident des Establishments. Politisch ist Raeissi ein unbeschriebenes Blatt, hat aber in den vergangenen Jahren mehrmals den moderaten Kurs von Ruhani scharf kritisiert – auch das Atomabkommen von 2015 mit den fünf UN-Vetomächten und Deutschland.
Aber gerade der Atomdeal – und die damit verbundenen Differenzen mit den USA – könnte Raeissis erste Amtshandlung sein. Er muss relativ schnell entscheiden, wie es bei den Verhandlungen zur Rettung des Wiener Abkommens weitergehen soll. Sonst hätte er weiterhin die US-Sanktionen und damit auch die lähmende Wirtschaftskrise am Hals. Mit Sicherheit fortsetzen wird er die feindselige Iran-Politik gegenüber Erzfeind Israel sowie die Unterstützung für anti-israelische Gruppen und Syriens Machthaber Baschar al-Assad .
Für die iranische Bevölkerung sind das keine guten Nachrichten. Das Land steht schon jetzt am Abgrund, aber die nächsten Jahre könnten noch stürmischer werden. Für die Stabilisierung der Wirtschaft wären in internationalen Verhandlungen pragmatische Kompromisse erforderlich, aber das ist von der künftigen iranischen Führung kaum zu erwarten. Im Gegenteil: Nun steigt erneut die Gefahr für Kriege und Konflikte in der Region. Ein neuer Atomdeal wird nach dieser Präsidentschaftswahl auch massive Anstrengungen von US-Präsident Joe Biden und von den EU-Staaten erfordern. Vor allem Biden erbt den Scherbenhaufen, den Trump auch in der Iran-Politik hinterlassen hat.
Verwendete Quellen:
Viel Erfolg wünsche ich Joe Biden und der westlichen Welt.