Es war einmal eine App ...
Eine der besten und sicher die günstigste Waffe im Kampf gegen die Pandemie wurde in der Schweiz erfunden.
Damit ist nicht das Social Distancing gemeint, sondern die Technologie, die hinter SwissCovid steckt. Sie läuft heute auf Milliarden Smartphones rund um den Globus.
Schweizer Forscherinnen und Forscher, wie auch hiesige IT-Cracks, waren massgeblich an der Entwicklung des datensparsamen Proximity-Tracing-Systems beteiligt. Sie arbeiteten auch mit den Ingenieuren von Apple und Google zusammen, für eine sichere, benutzerfreundliche Lösung.
Es ist wohl Ironie der Geschichte, dass «die Schweizer Erfindung» im Ausland weit grössere Erfolge erzielt als in heimischen Gefilden. In Grossbritannien oder in Deutschland etwa, wo die Gesundheitsbehörden etwas mutiger waren als das hiesige Bundesamt für Gesundheit (BAG).
Und die Schweiz? Auch hierzulande wurde die Verwendung der App durch die Bevölkerung und die Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien untersucht. Auch hier zeigte sich, dass Infektionsketten schnell unterbrochen wurden. Zudem ist wissenschaftlich belegt, dass sich die Senkung der Covid-Fallzahlen positiv auf die Gesamtwirtschaft auswirkt.
Aber: Das Proximity-Tracing-System dümpelt vor sich hin. In den letzten Wochen gab es rund 1,7 Millionen aktive User. Das würde bedeuten, dass nur rund ein Viertel aller erwachsenen Schweizer Bürgerinnen und Bürger die App nutzt.
Die Fallzahlen sinken, die Corona-Müdigkeit weicht dem Gefühl, es vielleicht bald geschafft zu haben. Noch sind aber lange nicht alle Impfwilligen geimpft.
Zudem verbreiten sich neuere, gefährlichere Virusvarianten. Insbesondere die zunächst in Indien entdeckte Delta-Variante gefährdet die Sommerpläne. Umso wichtiger wird es nun, möglicherweise Infizierte schnell zu warnen, damit sie sich testen. Genau dafür ist SwissCovid konzipiert.
Die SwissCovid-App war im Juni 2020 für Leute mit (neuerem) iPhone oder Android-Handy verfügbar. Der Zeitpunkt der Lancierung war insofern ungünstig, als dass in weiten Teilen der Bevölkerung eine gewisse Sorglosigkeit herrschte. Die Infektionszahlen waren ja – nach dem landesweiten Lockdown – massiv gesunken. Was sollte da diese App?
In den folgenden Monaten zeigte sich, dass die kantonalen Contact-Tracer schnell wieder überfordert waren, als sich die Fälle häuften. Auch beim Proximity-Tracing-System erwiesen sich die kantonalen Schnittstellen als problematisch. Zu viele SwissCovid-User musste zu lang auf ihren Covidcode warten und konnten darum andere nicht zeitnah warnen.
Juni 2021. Der Bundesrat sieht ein immer grösser werdendes Licht am Ende des Tunnels. Die Forderungen nach weitreichenden Lockerungen werden lauter. Und gerade noch vor den Schulsommerferien soll SwissCovid 2.0 kommen. Die Schweizer Corona-Warn-App erhält per Update endlich eine Check-in-Funktion. Anonym und sicher, ganz anders als die datenhungrigen privaten Check-in-Apps. Zudem läuft SwissCovid inzwischen längst auch auf alten iPhones.
Wohlgemerkt: Die CrowdNotifier-Technologie ist seit Monaten verfügbar. Sie stammt wiederum von den SwissCovid-Vätern und -Müttern, also von den EPFL-Forschern und der App-Entwicklerfirma Ubique. Die hohen Datenschutz-Standards bleiben erhalten. Die Freiwilligkeit auch. Neu wird man andere nach dem Besuch einer gemeinsamen Veranstaltung vor einer möglichen Ansteckung warnen können. Dabei kommt es nicht auf die Distanz zur infizierten Person an, sondern auf die Zeit, die man im gleichen Raum verbrachte. Die Aerosol-Übertragungsproblematik wird endlich angegangen.
Diesen Sommer werden sich Genesene, Geimpfte, Getestete (GGG) endlich wieder näherkommen. Aber natürlich auch Ungeimpfte. Wobei wir eigentlich nur bei letzterer Kategorie eine gewisse Sicherheit haben bezüglich Corona-Status. Bekanntlich können sich auch Geimpfte anstecken und das Virus (unbemerkt) weiterverbreiten. Und auch bei Genesenen ist nicht klar, wie lange der Antikörperschutz anhält.
Wir alle sollten das grösste Interesse daran haben, neue Infektionsherde möglichst schnell einzudämmen. Zur Verhinderung von Superspreader-Events hätte es in der Vergangenheit meistens genügt, wenn die betroffene Person frühzeitig davon erfahren hätte. Hier kann SwissCovid in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
PS: Und die, die sich trotz bekannter Ansteckung in der Öffentlichkeit bewegen, sind ein Fall fürs Strafrecht.
Die Wissenschaft weiss inzwischen relativ viel über das Virus. Die Medizin hat dazu gelernt, was die frühzeitige Behandlung und das Prozedere bei schweren Verläufen betrifft.
Es war in dieser Pandemie wiederholt zu beobachten, dass die Wahrscheinlichkeitsrechnung respektive das Beurteilen von Risiken keine weitverbreitete Stärke ist.
Niemand kann mit hundertprozentiger Sicherheit voraussagen, ob eine Covid-19-Erkrankung harmlos verläuft. Das Risiko gesundheitlicher Komplikationen besteht bei allen Altersgruppen und kann selbst bei Kindern nicht negiert werden.
Es wird weiterhin erwachsene Menschen geben, die lieber das Risiko einer Covid-19-Erkrankung eingehen, als sich mit Pfizer-Biontech oder Moderna impfen zu lassen. Dies, obwohl schwere Impfnebenwirkungen extrem selten sind.
Hier kann SwissCovid zögerlichen Personen, wie auch der Gesellschaft als Ganzes, mehr Zeit verschaffen. Und mit SwissCovid 2.0 sollte es gelingen, viel schneller und effizienter auf Superspreader-Events zu reagieren. Wenn solche Infektionsherde rasch eingedämmt werden, profitieren alle.
Die vorherrschende Meinung unter führenden Wissenschaftlern ist, dass das Coronavirus bleiben wird.
Journalisten des «Guardian» sind der Frage nachgegangen, was es bedeuten würde, «mit dem Virus zu leben». Sie zitieren die britische Epidemiologin Anne Johnson, die Präsidentin der Academy of Medical Sciences, wie folgt:
Der Prozess habe bereits begonnen, und Verhaltensänderungen, die in der Pandemie angenommen wurden, würden wahrscheinlich noch lange nach Aufhebung der formalen Beschränkungen andauern. Dazu gehörten:
Der Epidemiologe David Heymann wendet ein, wir würden nicht lernen, mit dem Virus zu leben, solange wir nicht die Verantwortung für die Risiken übernehmen. So wie wir es bei der Grippe, sexuell übertragbaren Infektionen und anderen Viren tun. Eigenverantwortung sei aktueller denn je.
Und hierzu passt, weiterhin SwissCovid zu verwenden. Der Betrieb der App soll gemäss Gesetz spätestens per 30. Juni 2022 eingestellt werden. Da die auf absoluter Freiwilligkeit basierende App keinerlei Persönlichkeitsrechte einschränkt, würde einem längeren Einsatz wohl nichts im Wege stehen.
In der Covid-19-Verordnung steht, dass Wirte die persönlichen Daten von Restaurantbesuchern erfassen müssen. Dies soll den Kantonen die Kontaktverfolgung erleichtern.
Die gesetzliche Vorgabe stammt vom letzten Sommer. Und sie führte dazu, dass in der Schweiz viele private Anbieter mit sogenannten Check-in-Apps auf den Markt drängten. Sie alle wollten (und konnten) den Gastrobetrieben helfen. Doch sie schufen auch neue Probleme und Gefahren, weil Gästedaten zentralisiert in Datenbanken gespeichert sind.
IT-Sicherheitsexperten schlugen Alarm. Bei einigen Anwendungen wurden Sicherheitslücken publik. Das abschreckendste Beispiel stammt mit der Luca-App aus Deutschland, doch auch hierzulande gabs missbräuchliche Zugriffe. So wurden etwa im Kanton Wallis die Daten von Restaurantbesuchern ausgewertet, um herauszufinden, ob infizierte Personen Lokale besuchten, statt zuhause in Isolation zu sein.
Das Wissensmagazin Higgs zitiert den Epidemiologen und SwissCovid-Mitgründer Marcel Salathé:
Aus epidemiologischer Sicht mache Contact Tracing ohne persönliche Daten Sinn, sagt der Wissenschaftler.
Schon im Mai habe sich die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates darauf geeinigt, dass ein Contact Tracing mit dezentraler Datenspeicherung (wie bei Notify-Me) die beste Lösung wäre, zitiert Higgs den Grünen Nationalrat und Unternehmer Gerhard Andrey.
Man habe den Bundesrat gebeten, das in einer Verordnung zu regeln. Doch irgendwo müsse dieser politische Prozess stecken geblieben sein – jedenfalls gelte nach wie vor die Vorgabe, dass Wirte persönliche Daten erheben müssen.
Wann die Politik reagiert, ist offen. Fakt ist, dass bald eine sichere Alternative zur Verfügung steht: SwissCovid 2.0.
Was weiterhin ungelöst bleibt, ist die mangelnde Interoperabilität. Die SwissCovid-App kann nur mit Usern aus Liechtenstein und Deutschland anonym Daten austauschen. Mit allen anderen Nachbarländern funktioniert es nicht.
Während die gegenseitige Anerkennung der Covid-Zertifikate zwischen den EU-Staaten und der Schweiz spätestens im Juli das grenzüberschreitende Reisen erleichtern sollte, bleibt die Seuchenbekämpfung per App massiv beschränkt. Grund dafür seien «die komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen», teilt das Bundesamt für Gesundheit auf Anfrage mit.