Auf die Frage, wer der grosse Meisterschaftsfavorit in der aktuellen Saison ist, antwortete Jürgen Klopp noch am 6. Dezember 2020: «Wenn ich mir momentan die Spiele anschaue, dann sieht Chelsea für mich wie der Favorit aus.»
Diese Beobachtung, wie könnte es für einen Trainer seines Formats anders sein, war sehr treffend. Denn trotz der vielen Neuzugängen, funktionierte das Spiel der Londoner bereits sehr gut und auch die Resultate stimmten. In der Champions League kamen die «Blues» ohne Niederlage und mit bloss zwei Gegentoren durch die Gruppenphase, in der Premier League stand man nach 11 Spieltagen zwei Punkte hinter der Tabellenspitze, mit bloss einer Saisonniederlage.
Dass Klopp als Liverpooler Meistertrainer die Favoritenrolle an Chelsea abschob, schwebte wie ein Damoklesschwert über der Mannschaft. Denn seither hat Chelsea in acht Ligaspielen nur noch sieben Punkte geholt und ist mittlerweile auf Rang 9 der Premier League abgerutscht.
Die Konsequenz war die gleiche, wie sie so oft ist, wenn Teams nicht die Resultate einfahren, die erwartet werden. Obwohl Chelsea die letzten beiden Spiele – ein 1:0 in der Premier League gegen Fulham und ein 3:1-Sieg gegen Luton Town im FA Cup – gewann, musste Trainer Frank Lampard gehen. Bloss sieben Wochen, nachdem die junge Chelsea-Truppe Fans, Experten und sogar Gegner mit ihrem Fussball begeisterte.
Auf der Chelsea-Homepage lässt sich Eigentümer Roman Abramowitsch wie folgt zitieren: «Er ist ein Mann von grosser Integrität und mit höchster Arbeitsethik. Unter den gegenwärtigen Umständen glauben wir aber, dass es das Beste ist, den Manager zu wechseln.»
Dass die «gegenwärtigen Umstände» zur Entlassung von Frank Lampard führten, kann man mit der Schnelllebigkeit des Fussball-Business in Kombination mit den schwachen Resultaten begründen. Es ist aber vor allem eine Entscheidung von Leuten, die über zu wenig Weitsicht und Fussball-Kompetenz verfügen – oder mit ihrem Spielzeug nicht mehr ganz zufrieden sind.
Frank Lampard war bei Chelsea bereits als Spieler eine Integrationsfigur. Eine echte Klub-Ikone. Dass er im Sommer 2019 als neuer Trainer vorgestellt wurde, war eine mutige Entscheidung. Hatte Lampard doch bloss die Erfahrung von einem Jahr als Trainer bei Derby County.
Doch Lampard machte seine Sache von Beginn an gut, holte in der Premier League einen vierten Rang, scheiterte in der Champions League am späteren Sieger Bayern München und erreichte im FA Cup das Finale. Während dieser durchaus respektablen ersten Saison schaffte er es zudem, immer wieder junge Spieler wie Mason Mount, Tammy Abraham, Reece James, Christian Pulisic oder Callum Hudson-Odoi einzusetzen und zu wichtigen Bestandteilen der Mannschaft zu formen.
In diesem Sommer erhielt Lampard zudem die Chance, weiter am Kader zu schleifen und seine Wunschspieler nach London zu holen. Der Klub blieb dabei seiner neuen Ideologie treu und holte keine etablierten Superstars an die Stamford Bridge, sondern vielversprechende Youngsters, die in London den nächsten Schritt zur absoluten Weltklasse machen sollten. Langsam bekam man wirklich das Gefühl, dass bei Chelsea unter Frank Lampard etwas langfristig Erfolgreiches entstehen könnte.
Daran glaubte wohl auch Kai Havertz, der von praktisch jedem Topklub umworben worden war und sich dann für Chelsea entschied: «Frank Lampard war ein Grund, weshalb ich nach Chelsea gewechselt bin, das hat für mich von Anfang an sehr gut gepasst.»
Ja, bei Chelsea hat es nach dem Aufbau eines Topteams mit System ausgesehen. Mit einem modernen Trainer und – Thiago Silva ausgenommen – mit sämtlichen Stammspielern unter 30 Jahren.
Was bei einer jungen Mannschaft mit einem jungen Trainer jedoch auch geschieht, sind Fehler. Es braucht nun mal eine gewisse Zeit, bis sich die Mannschaft weiterentwickelt und auch die Abgeklärtheit hat, um regelmässig Siege einzufahren. Diese Zeit hat Frank Lampard nicht erhalten, er wurde bei erster Gelegenheit, bei der ersten kleinen Krise entlassen.
Das ist schade, denn der FC Chelsea war die wohl aufregendste Mannschaft in Fussball-Europa. Auch wenn der Erfolg zuletzt ausblieb. Aber gutes Spiel bedeutet halt nicht immer auch gute Resultate. So einfach geht die Gleichung nicht. Die einfachere Gleichung ist schlechte Resultate = neuer Trainer.
Our final goal under Lampard 😍 pic.twitter.com/a252GMAVGz
— ✈️ (@Arrizabalager) January 25, 2021
Dass der Erfolg unter Lampard letztlich ausblieb, hat diverse Gründe. Da waren einerseits Spieler wie Timo Werner oder Kai Havertz, die sich einfach noch nicht an die Premier League gewöhnen konnten. Dazu kommen Verletzungen von Schlüsselspielern wie Christian Pulisic oder Hakim Ziyech.
Unter dem Strich hatte Chelsea auch viel Pech – eine Tabelle, welche die zu erwartenden Punkte prognostiziert, besagt, dass Chelsea anhand der Chancenanteile hinter ManCity und Liverpool auf Rang 3 der Premier League liegen müsste – noch vor dem aktuellen Tabellenführer Manchester United.
Denn Chelsea spielte unter Lampard einen mutigen, attraktiven und offensiven Fussball. Vor dem Tor nicht immer kaltblütig und in der Defensive nicht immer kompromisslos, aber der eigenen Spielidee treu geblieben. Oder um sich einer Fussball-Floskel zu bedienen: Die Handschrift des Trainers war stets zu erkennen.
Doch statt auf Kontinuität setzt man in London wieder auf einen Trainerwechsel, den dritten seit 2018. Thomas Tuchel wird kommen. Ein hervorragender Trainer. Gut möglich, dass er auf Anhieb Erfolg haben und die gute Arbeit von Frank Lampard weiterführen kann. Dann wird sich Roman Abramowitsch bestätigt fühlen. Und wenn der Erfolg auch unter Tuchel ausbleibt, wird bestimmt lieber früher als später auch diese Reissleine gezogen.
War ja absolut absehbar, dass das nichts wird. Einfach mal planlos alles zusammengekauft. Aber dafür gerade eben Tomori an Milan verscherbelt. Läuft🤣👌
Und der Trainermarkt spielte wohl auch eine Rolle. Bis auf Tuchel hat wohl kein arbeitsloser Trainer ein ähnliches Renomee.