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ZFF: Greta Thunberg und Model Madeline haben ein gemeinsames Geheimnis

epa07991953 A mural on a side of a building depicts Swedish teenage climate activist Greta Thunberg, near Union Square in downtown San Franicsco, California, USA, 12 November 2019. The mural of Thunbe ...
San Francisco hat Greta Thunberg in einem ihrer typischen Schweigemomente verewigt.Bild: EPA
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Greta Thunberg und Model Madeline haben ein gemeinsames Geheimnis

Die eine ist die grösste Klimaaktivistin der Welt. Die andere ist Model und macht auf dem Laufsteg, was sie will. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein, aber ihre Geschichten erzählen sich fast identisch. Jetzt am ZFF.
25.09.2020, 14:5626.09.2020, 13:59
Simone Meier
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Sie sind reich an Kapital und Einfluss, sie sitzen in der Politik oder im Showbizz ganz vorn, heissen Merkel oder Kardashian. Und sie applaudieren zwei sehr jungen Frauen dafür, dass sie es wagen, anders zu sein als sie selbst. Dass sie Einsatz zeigen und fordern. Die eine fürs Klima. Die andere für Inklusion und Diversität in der Modewelt.

Nun sind die Rettung unseres Planeten und die Erweiterung der Laufstege um nicht-perfekte Körper zwei unterschiedlich grosse Paar Schuhe, aber die beiden sehr jungen Frauen tun, was sie eben können. Die eine, indem sie redet und daneben am liebsten verschwindet. Dort, wo ihr am wohlsten ist, bei ihrer Familie. Die andere, indem sie einfach nur da ist. Weil sie so gut wie nicht reden kann. Das heisst, sie redet sehr viel, bloss versteht sie keiner ausser ihrer Familie, denn ihre Zunge setzt nicht um, was das Gehirn an sie sendet.

Die eine hat Asperger. Die andere ist mit einem Down Syndrom zur Welt gekommen. Die eine ist das berühmteste Mädchen der Welt seit Pippi Langstrumpf, heisst Greta Thunberg und kommt aus Schweden. Die andere war vor wenigen Jahren eins der berühmtesten Mädchen der Modewelt, heisst Madeline Stuart und kommt aus Australien. Ihre Mutter macht gerne Witze mit «Down Syndrom» und «Down Under». Doch ausser Madeline findet das niemand lustig.

Trailer zu «I Am Greta»

Rebellische junge Frauen waren schon immer populär. Ob echt oder erfunden. Jeanne d'Arc. Malala. Arya Stark. Enola Holmes. Greta und Madeline gelten beide als Ikonen, Galionsfiguren, werden mit Preisen für ihr Engagement überhäuft. Greta reist mit ihrem Vater von Auftritt zu Auftritt und um die ganze Welt, Madeline mit ihrer Mutter.

Beide Eltern sagen, dass sie tun, was sie tun, weil ihre Töchter dann «glücklich» seien. Weil das Leben, das ihre Töchter auf Tour führen, sowas wie die Erlösung sei. Und weil ihre Töchter als Erlöserinnen gefeiert werden.

Trailer zu «Maddy the Model»

Zwei – zufälligerweise schwedische – Dokumentarfilme zeigen jetzt am Zurich Film Festival das öffentliche Leben von Greta Thunberg und Madeline Stuart und etwas vom privaten dahinter. «I Am Greta» von Nathan Grossberg, der als einer der wichtigsten Wettbewerbsfilme des Festivals propagiert wird, und «Maddy the Model» von Jane Magnusson, der eher etwas im Versteckten läuft. Dabei deckt sich die Dramaturgie ihrer Geschichten: Beide werden mit einer Beeinträchtigung geboren, die sie in ihre ganz persönliche Superpower zu verwandeln wissen. Und beide haben ein Erweckungserlebnis, das ihr Leben aus der Bahn wirft und schliesslich ihre Kräfte produktiv kanalisiert.

Bei Madeline ist das der Besuch einer Modeschau, nach der sie ihrer Mutter mitteilt: «Mom, me model.» Ein Shooting wird organisiert, eine Webseite gebastelt, drei Wochen später erhält Madeline eine Einladung für die New York Fashion Week. Und macht auf dem Laufsteg, was sie will. Weigert sich, den Depro-Walk der andern Models mitzumachen, hat Spass, tanzt, flirtet.

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Im September 2015 hat die damals 18-jährige Madeline Stuart einen grossen Auftritt an der New York Fashion Week.Bild: EPA/EPA

Das 16. Zurich Film Festival

Es ist eröffnet – und es ist nicht leicht
Das 16. Zurich Film Festival wurde am 24. September mit verregneten Gästen, internationalen Superstars wie Baschi, Seven, Janosch Nietlispach oder Dominique Rinderknecht minus Tamy Glauser eröffnet. Es gab Maskenpflicht, keine Party und einen Schweizer Film mit einer Kuh auf dem Plakat. Wobei sich die Kuh im Lauf des Films «Wanda, mein Wunder» von Bettina Oberli als komplett überflüssig entpuppte, die Geschichte einer erfrischend neurotischen Zürcher Goldküsten-Dynastie und ihrer polnischen Krankenpflegerin, die sich gegen ein Zugeld auch um sexuelle Gebresten kümmert, ist derart scharf gescriptet und toll gespielt (Marthe Keller! Birgit Minichmayr!), dass man sich die Mühe mit dem Muh nicht hätte machen müssen.

Für Irritationen sorgt, dass die ZFF-Inhaberin
NZZ am Tag vor dem Festivalstart ihren Filmredaktor Lory Roebuck aus Spargründen entlassen hat. Was redaktionell alles andere als ein Bekenntnis zum angeblich so wichtigen Film ist. Ebenfalls als äusserst störend empfindet die Zürcher Kinobranche, dass das ZFF hälftig von Kanton und Stadt bereits 723’600 Franken Corona-Ausfallentschädigung bezogen hat, während mehrere Zürcher Kinos, etwa Arthouse und Kosmos, seit Monaten keine Antwort auf ihre Gesuche erhalten, wie der «Tages-Anzeiger» berichtete. Auch bei seiner 16. Ausgabe und unter dem neuen Direktor Christian Jungen tut sich das Festival also noch immer schwer damit, neben einem Festival der Sponsoren und Gäste (die heuer allerdings weitgehend fehlen) auch zu einem der Herzen zu werden.

Mit Madeline macht auch die Mode selbst Spass. Wird zu jenem prächtigen Ding aus Fantasie, Rollenspiel, Verkleidung, das es in der Kindheit einmal war. Denn Madelines Rolle ist es, aus der Rolle zu fallen. Sie findet sich gut. Sie findet sich schön.

Ihre Beeinträchtigung beeinträchtigt auch alle üblichen Selbstzweifel einer 18-Jährigen. Die Frage, ob sie vorgeführt wird wie ein Zirkuspferd, stellt sich für sie nicht. Sie ist ihr eigener Schutz.

Greta hasst Mode. Und Greta fühlt sich vorgeführt. Als Kind erlitt sie einen schweren Zusammenbruch, es war ein Dokfilm über die Klimakrise, den sie in der Schule schaute, er durchschlug den Panzer, den ihr Asperger-Syndrom gegen allerlei Zudringlichkeiten von aussen formte, mit einer Wucht, dass Greta dem Tode nah war. Sie hörte auf zu sprechen und zu essen, war ein Jahr lang schwer krank und redete danach zwei weitere Jahre nur mit ihrer Familie und ihren Tieren.

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Im Januar 2019 kam Greta Thunberg am Zürcher Hauptbahnhof an und reiste weiter nach Davos ans WEF.Bild: EPA/KEYSTONE

Schliesslich wandelt sie ihre Betroffenheit in öffentliches Engagement um. Beginnt als 15-Jährige mit dem legendär gewordenen Sitzstreik vor dem schwedischen Parlament. Beginnt – liesse sich auch sagen – damit ihre ganz eigene Form der Therapie. Kehrt ihren Schmerz nach aussen, verwandelt ihn auf bewundernswert intellektuelle, analytische Weise in Zorn.

Und so schnell sich ihr Gesicht verschliesst, wenn sie nicht redet, so emotional sind ihre Schattierungen von Zorn. Darüber, was andere Generationen als ihre mit der Welt angerichtet haben. Darüber, dass sich in dem Jahr, in dem Grossman sie begleitet, nichts verändert. Obwohl Millionen ungeduldiger junger Menschen weltweit in ihrem Namen demonstrierten. Wobei Greta ihren Namen nicht hören will.

«Die sind alle für dich gekommen», sagt jemand angesichts einer demonstrierenden Masse aus Jugend und Idealismus in Brüssel. «Nein, sie sind hier für sich selbst. Und für alle», sagt Greta.

Ihr Panzer funktioniert jetzt wieder. Er beschützt sie in den grössten Menschenmengen. Er beschützt sie, wenn Männer wie Putin, Trump oder Bolsonaro sie öffentlich einen «selbstgerechten, schlecht erzogenen, tugendhaften kleinen Scheissdreck» nennen. Aber er beschützt sie nicht gegen die Enttäuschung, nach einem Jahr der Huldigungen durch Leute wie Obama, Schwarzenegger und den Papst im Grunde nicht mehr gewesen zu sein, als etwas medienwirksame, possierliche Dekoration an den Tischen der Mächtigen.

Swedish climate activist Greta Thunberg, center, holding a sign reading "School strike for Climate"and others protest in front of the Swedish Parliament Riksdagen in Stockholm Friday, Sept.  ...
Und es ist Freitag: Greta Thunberg am 25. September 2020 bei ihrem freitäglichen Schulstreik vor dem schwedischen Parlament in Stockholm.Bild: keystone

Abseits ihrer Auftritte, die Greta und Madeline mit der ihr ganz eigenen Professionalität und Leidenschaft absolvieren, sind sie öfter nichts anderes als grumpy Teenager und nervige Tyranninnen ihrer Eltern. Keine Arya Stark des Klimakampfs, keine Enola Holmes der Diversität.

Madeline, die heute 23 ist, wird wohl niemals weiter kommen, als sie es mit 18 war. Weil die Modewelt ihre eigenwilligsten Darlings immer nur ein paar Saisons lang hätschelt.

Greta ist jetzt wieder in der Schule. Wo sie hoffentlich vergisst, wie grauenhaft ihre Fahrt über den Atlantik 2019 war (wer bei diesen Bildern nicht seekrank wird, ist aus Stein) und wie bitter ihre Frustration.

Beiden hat 2020 den Teppich der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen. Hat Klimakampf und Modewelt stillgelegt. Ersterer kommt jetzt wieder etwas in die Gänge. Die ungeduldige Jugend wird wieder unruhig. Und mit ihr diese unverzichtbare Schwedin, deren «How dare you!» bereits in die Geschichtsschreibung grosser Reden eingegangen ist.

Wanda, mein Wunder läuft noch am 25. und 29. September sowie am 3. Oktober am ZFF und ab dem 26. November im Kino.

I Am Greta läuft am 25. und 28. September sowie am 2. und 3. Oktober am ZFF, ab dem 16. Oktober im Kino und ebenfalls bald auf Hulu.

Maddy the Model läuft am 26. und 28. September sowie am 2. Oktober am ZFF.

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6 Kommentare
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bbelser
25.09.2020 18:35registriert Oktober 2014
Da Mode für mich verzichtbarer Quatsch ist, wusste ich von Madeline bisher nichts.
Von Greta Thunberg hingegen schon.

Die "Grösse" von Thunberg sehe ich in zwei Punkten:
- dass sie die Heiligenlegendenbildung um ihre Person permanent und konsequent unterlaufen hat,
- dass sie anders als jeder andere "Star" nicht ihre Person, sondern stur ihre Bitte (Botschaft?) an die Entscheidungsträger in den Mittelpunkt rückt: "Hört auf die Wissenschaft! Handelt jetzt!"

Ich hoffe, der Film wird dieser "Grösse" gerecht.

Danke fürs Aufmerksam-Machen auf diese beiden besonderen jungen Frauen!
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