Stellt euch Folgendes vor: In der Schweiz unterstützt der Wirtschaftsverband Economiesuisse gegen die vehemente Opposition der FDP ein umfangreiches Programm zur Erneuerung der Infrastruktur von Umweltministerin Simonetta Sommaruga. Novartis und Roche protestieren derweil energisch gegen ein Gesetz, das die SVP durch das Basler Parlament gedrückt hat.
Unvorstellbar? Doch genau dies geschieht derzeit in Echtzeit in den USA. Aber der Reihe nach:
Wie das «Wall Street Journal» berichtet, hat sich Amazon-Chef Jeff Bezos soeben ganz klar hinter das Zwei-Billionen-Dollar-Infrastrukturprgramm von Präsident Joe Biden gestellt. «Wir anerkennen, dass diese Investitionen Zugeständnisse von allen Seiten verlangen – und zwar, was diese Programm beinhalten, als auch, wie es bezahlt wird», so Bezos.
Amazon werde, fügte Bezos hinzu, «auch einer Erhöhung der Unternehmenssteuern zustimmen». Der Vorschlag des US-Präsidenten sieht vor, den Steuersatz für Unternehmen von 21 auf 28 Prozent zu erhöhen.
Bezos hat gut reden, mögen Kritiker nun einwenden. Schliesslich ist sein Vermögen allein im letzten Jahr um mehr als 60 Milliarden Dollar angestiegen und beläuft sich nun auf die unvorstellbare Summe von 177 Milliarden Dollar. Doch Bezos hat sich offenbar mit anderen Unternehmen wie der Bank JPMorgan und dem Retailer Walmart abgesprochen. Marc Benioff, CEO von salesforce.com, erklärte öffentlich, er unterstütze die Position von Bezos grundsätzlich.
Jamie Dimon, CEO von JPMorgan, ist der derzeit wohl am meisten respektierte Banker an der Wall Street. Auch er erklärte ist ein Fan von Bidens Infrastrukturprogramm. «Wenn wir das Geld vernünftig ausgeben, wird dies allen helfen», erklärte er kürzlich und fügte an: «In meinem Herzen bin ich Demokrat, mein Gehirn tickt jedoch republikanisch.»
Es wäre indes irrig zu glauben, die Business-Titanen hätten plötzlich ihr Herz entdeckt. Sie haben schlicht realisiert, dass die Interessen ihrer Kunden und Angestellten sich derzeit mit den Positionen der Demokraten decken. Es ist daher nicht das Herz, sondern Geschäftsinteresse, das hinter den überraschenden Wendungen steckt.
Die Republikaner hingegen haben das Kriegsbeil gegen «corporate america» ausgegraben. So donnert Mitch McConnell, der republikanische Minderheitsführer im Senat: «Den Unternehmen drohen ernsthafte Konsequenzen, sollten sie ein Vehikel des linken Mobs werden und versuchen, unsere verfassungsmässige Ordnung in Geiselhaft zu nehmen.»
Wie kann es sein, dass der mächtigste Republikaner derart schweres Geschütz gegen die Business-Gemeinschaft auffährt? Ausgelöst wurde der Streit durch ein Bündel von neuen Wahlgesetzen, welches die Republikaner im Bundesstaat Georgia in grösster Eile verabschiedet haben. Sie dienen primär dazu, die Wahlrechte der Schwarzen einzuschränken.
Coca Cola und Delta Airlines, die beide ihr Hauptquartier in Georgia haben, wandten sich darauf energisch gegen diese Gesetze. James Quincey, CEO von Coca Cola, erklärte unmissverständlich: «Diese Gesetze sind inakzeptabel.» Ed Bastian liess ebenfalls keine Zweifel offen: «Lassen Sie mich das glasklar sagen: Diese Gesetze decken sich nicht mit den Werten von Delta.»
Das republikanische Fass zum Überlaufen brachte jedoch die Major League Baseball. Aus Protest gegen die neuen Wahlgesetze verlegte sie das wichtige All-Star Game von Atlanta, der Hauptstadt von Georgia, nach Denver, der Hauptstadt des Bundesstaats Colorado.
Seither laufen die Republikaner Amok. Senatoren und Abgeordnete der Grand Old Party (GOP) fordern zum Boykott der Produkte der Unternehmen und zum Kampf gegen den «woke capitalism» auf.
Selbstverständlich ist auch Donald Trump mit von der Partie. «Es ist Zeit, dass Republikaner und Konservative zurückschlagen», liess er aus seiner Altersresidenz Mar-a-Lago verlauten. «Kauft ihre Produkte nicht mehr, bis sie nachgeben. Wir können dieses Spiel besser spielen als sie.»
Wird Trump jedoch tatsächlich auf sein geliebtes Diet Coke verzichten? Werden seine Anhänger ihre Delta-Airline-Tickets eintauschen, ihre Konten bei der Citibank schliessen, ihre Medikamente von Merck wegwerfen, den Lieferdienst UPS meiden oder gar keine Baseball-Spiele mehr verfolgen?
Wohl kaum. Vielmehr werden sie sich als Opfer der Cancel Culture bemitleiden und Krokodilstränen vergiessen. «Normalerweise meiden die CEOs solche politischen Hahnenkämpfe», jammert das «Wall Street Journal». «Diesmal nicht. Sie spielen direkt den Demokraten in die Karten, indem sie die falschen Behauptungen unterstützen, wonach die neuen Gesetze die Schwarzen benachteiligen.»
Trump und die GOP haben jedoch einen schweren Stand. Sie stecken selbst im Schlamassel. Die Affäre um den Abgeordneten Matt Gaetz wird immer bizarrer. Auch Trump sorgt erneut für negative Schlagzeilen. Die «New York Times» hat soeben aufgedeckt, dass er mit einem fiesen Trick seine Anhänger abgezockt hat.
Dieser Satz spricht doch Bände, wieviel Einfluss Bezos hat (oder zumindest zuhaben meint).
Arrogantes Pack…