Urs Fischer ist ein Phänomen. Überall, wo er arbeitet, kommt der Erfolg. Gerade zeigt sich das wieder einmal besonders gut. Mit Union Berlin erobert Fischer die Bundesliga. Erst 2019 aufgestiegen, liegt Union nun nach einem tollen Saisonstart auf Rang 6.
Und weil das so ist, geht in Berlin die Angst um, dass Fischer bald weiterzieht. Zu einem Spitzenklub. Sein Vertrag jedenfalls läuft im Sommer aus. Sind die Sorgen berechtigt? Es ist eine der Fragen, die vor dem heutigen Derby Hertha-Union besonders interessieren. «Gerade jetzt geht es nicht um die Person Urs Fischer, sondern um das Derby. Und wenn es etwas zu verkünden gibt, dann werden wir das tun», sagt der Trainer. Alles andere als drei Punkte interessieren ihn nicht.
Dass der Name Fischer in Fussball-Deutschland derzeit ziemlich populär ist, hat auch einen Grund neben dem Platz – ein Buch. Und vermutlich hat Fischer gar nicht bedacht, welchen Effekt so ein Werk haben könnte. Eine ganze Saison lang liessen sich Fischer und seine Mannschaft hautnah begleiten.
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Immer und überall durfte der Journalist Christoph Biermann dabei sein. Entstanden ist eine grossartige Reportage («Wir werden ewig leben»), 406 Seiten, die es erlauben, zu verstehen, wie ein Bundesliga-Team funktioniert. 406 Seiten, die erklären, warum Urs Fischer als Trainer so erfolgreich ist, aber gleichzeitig notorisch unterschätzt wird.
Als es darum ging, das Projekt zu realisieren, war Fischer zunächst skeptisch. Er fragte sich, wie sich seine Arbeit wohl verändern würde, wenn alles, was er im intimen Rahmen sagt, öffentlich werden kann. Und was es mit den Spielern und einer Mannschaft macht, wenn die Garderobe, also das Heiligtum jeder Fussball-Gemeinschaft, zum Ort der ständigen Beobachtung verkommt. Also sagt Fischer zu Biermann: «Es wird darauf ankommen, dass niemand das Gefühl bekommt, Sie bringen Pech.»
Nun, das Gegenteil war der Fall. Als klarer Abstiegskandidat gehandelt, gelingt Fischer und Union eine Saison 2019/20, die niemand den Berlinern auch nur im Ansatz zugetraut hätte. Natürlich, es gab die eine oder andere schwierige Phase während der Saison. Aber ernsthafte Sorgen um den Verbleib in der Bundesliga? Nein. Und jetzt geht der Höhenflug einfach weiter.
Fischer war es, der den FCZ letztmals in die Nähe eines Titels geführt hat (und gleichwohl entlassen wurde). Er war es, der den FC Thun so weit von den Abstiegsplätzen gehalten hat, dass man immer wieder vom «Thuner Wunder» sprach. Und er war es auch, der den FC Basel so souverän zu zwei Meistertiteln führte, dass es sogar dem Verein selbst zu langweilig wurde – worauf das Monster-Gebilde FCB ohne Fischer krachend in sich zusammenfiel.
Eines ist auch in Berlin genau gleich geblieben. Der Mensch Urs Fischer stellt sich sehr ungern in den Mittelpunkt. Er verzichtet darauf, seine Verdienste in den Vordergrund zu stellen. Markus Hoffman, Fischers Assistent, sagt ganz zum Ende des Buches, als er nach Schwächen von Fischer gefragt wird: «Er will und kann sich nicht verkaufen. Er will so bleiben, wie er ist. Er will niemandem erzählen, was er kann oder nicht kann.» Hoffmann sagt es mit einem Seufzen.
Fürs Lob sind andere zuständig. Und vielleicht sind die Worte von einem besonders vielsagend, Ex-Union Torhüter Rafael Gikiewicz, der mit Fischer des Öfteren Meinungsverschiedenheiten hatte und den Verein schliesslich verliess. Dieser Gikiewicz sagt: «Er ist unser Architekt, im Spiel ohne Ball ist er so gut wie Guardiola oder Mourinho. Jeder weiss, was er machen muss, und wir werden auf dem Platz nie überrascht. Ohne ihn ist diese Mannschaft nichts.»
Guten Morgen Berlin, hallo Derby! 👋
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Wie führt ein Trainer seine Mannschaft? Und was macht es aus, dass diese erfolgreich ist? Das Buch «Wir werden ewig leben» zeigt Beispiele, wie Urs Fischer im Alltag tickt. Eine unvollständige Auswahl.
0:3 verliert Union Berlin ein Testspiel kurz vor Saisonbeginn gegen Celta Vigo – doch die Trainer sind hoch erfreut! Ein Widerspruch? Nein. Das vermeintlich schlimme Resultat haben Fischer und seine Assistenten herbeigesehnt, weil sich das Team zuvor nach einigen Siegen in einer falschen Sicherheit wiegte.
Das Thema Ernährung ist wichtiger denn je im Spitzensport. Auch sehr viele Fussballer von Union Berlin beschäftigen sich damit. Doch es gibt Momente, wo etwas anderes wichtiger ist: gemeinsam den Frust besiegen. Darum regt Fischer nach einer heftigen Niederlage schon mal einen Teamevent an im Bowling-Center. Mit Schnitzel und Pommes Frites für alle, die wollen.
Eine Fussball-Mannschaft besteht nicht aus 11 Spielern, sondern aus 30. Bedeutet: Es gibt an jedem Spieltag 19 Fussballer, die enttäuscht sind, weil sie nicht spielen. Das birgt die Gefahr, dass die Unzufriedenheit überschwappt. In einem schwierigen Moment tritt Fischer vor die Mannschaft, sagt: «Jetzt habt ihr die Gelegenheit, euch bei mir auszukotzen. Aber ich will kein Gequatsche!» Er ist kein Fan davon, jede einzelne Entscheidung immer wieder von neuem zu begründen. Er erwartet, dass seine Spieler professionell damit umgehen. Gleichzeitig ist Fischer aber auch ein Fan der maximalen Selbstverantwortung zu. Als es im Training beinahe zu einer Schlägerei kommt, weil der eine dem anderen so lange ins Ohr piekt, bis dieser ausrastet, sagt Fischer lapidar: «Jetzt kommt Stimmung in die Bude!» Strafe? «Nein, das regeln die Jungs untereinander.»
Auf den ersten Blick wirkt Fischer vielleicht spröde oder kalt. Wer ihn kennt, weiss indes: Er mag Menschen und merkt sich viele kleine Details. An einer Autogrammstunde begrüsst er eine Dame mit den Worten: «Sie heissen Loreen, oder? Mit zwei ‹E›.»
Die Belastung von Fussballern ist teilweise grenzwertig. Darum kommt es vor, dass sie noch nicht genügend erholt sind, wenn schon das nächste Training ansteht. Fischer fragt seine Spieler gelegentlich, ob sie müde sind. Und er fragt das ausschliesslich zu ihrem Schutz. Unions Athletiktrainer Martin Krüger sagt: «Bei Fischer wissen die Spieler, dass sie nicht gleich aussortiert werden, wenn sie sich müde melden – sondern geschont.» Es gibt durchaus Trainer, bei denen das anders ist.
Fussballtrainer erklären gerne, wie variabel ihre Teams sein sollten. Dass ein System nur eine zahlenbasierte Grundordnung sei, die sowieso überschätzt werde. Fischer ist anders. «Du musst dich auf ein System festlegen, in dem sich die Jungs wohlfühlen, das hat höchste Priorität. Spitzenmannschaften beherrschen ein System richtig, nicht fünf Systeme halb.» Und eines sagt Fischer auch: «Über Flexibilität und wechselnde Systeme zu sprechen, ist eine Modeerscheinung. Aber wenn du es nicht machst, wirst du schubladisiert, als oldschool.»
Vielleicht ist es der wichtigste Charakterzug. Urs Fischer lebt den Team-Gedanken. Sämtliche Mitglieder in seinem Staff, ob Torhüter-Trainer, Video-Analyst, oder Ahtletik-Coach geniessen maximale Freiheiten – und Fischer vertraut ihnen bedingungslos.
Und in Zürich und Basel unehrenhaft entlassen worden. So viele Haare können die dort gar nicht haben, um sich die genügend zu raufen...