Kürzlich war Donald Trump in einer sogenannten Town Hall beim TV-Sender ABC. In diesem Format dürfen gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger dem Präsidenten ungeschminkte Fragen stellen. Trump versagte auf der ganzen Linie. Einmal mehr reihte er Lüge an Lüge und musste immer wieder von Moderator George Stephanopoulos angemahnt werden.
Besonders peinlich wurde es, als die Rede auf die Coronakrise kam. Trump sprach von einer «Herden-Mentalität», welche das Problem bald lösen werde. Gemeint war natürlich die viel diskutierte «Herdenimmunität».
Dieses Konzept besagt, dass die Krankheit besiegt sein werde, wenn einmal gegen 70 Prozent der Bevölkerung einmal mit dem Virus infiziert gewesen sei. Dann nämlich sei die Herde immun.
Das Konzept der Herdenimmunität ist in der Fachwelt längst diskreditiert. Schweden und Grossbritannien etwa haben damit sehr schlechte Erfahrungen gemacht. In den USA hätte es gar katastrophale Folgen.
So schätzt Michael T. Osterholm von der University of Minnesota, ein anerkannter Fachmann, dass dieses Konzept rund zwei Millionen Tote zur Folge hätte. Zum Vergleich: Die spanische Grippe hat seinerzeit rund 900’000 Amerikaner getötet. «Herdenimmunität ist eine weit entfernte und unrealistische Perspektive», erklärt Osterholm deshalb im Magazin «Foreign Affairs».
Wie kommt der US-Präsident also darauf, dieses unrealistische Konzept wieder ins Gespräch zu bringen? Die Antwort heisst Dr. Scott W. Atlas. Dieser Mann ist zwar tatsächlich Mediziner und an der sehr renommierten Stanford University tätig, doch nicht als Epidemie-Fachmann, sondern als Radiologe.
Atlas ist ein überzeugter Vertreter der Herdenimmunität. Regelmässig darf er seine Thesen bei Fox News ausbreiten. Immer wieder erhält er auf dem Sender die Möglichkeit, zu erklären, weshalb es das Beste sei, wenn man das Virus sich möglichst ungebremst ausbreiten lasse. Die Epidemie-Experten der Stanford University hingegen haben sich deutlich von Atlas und seinen Thesen distanziert.
Nach eigenen Angaben schaut Trump täglich gegen sechs Stunden pro Tag Fox News. Dabei ist er auch auf Scott Atlas gestossen. Weil ihm dessen Thesen sehr gefallen haben, hat er Atlas kurzerhand in seine Corona-Taskforce berufen. Dort hat der Radiologe mittlerweile die bisherigen anerkannten Epidemie-Experten wie Dr. Anthony Fauci und Dr. Deborah Birx in den Hintergrund gedrängt.
Die Folgen sind beängstigend. Robert Redfield, Direktor der Centers for Disease Control and Prevention (CDC), dem führenden wissenschaftlichen Institut auf dem Gebiet der Epidemien, hat gestern vor dem Senat einmal mehr bestätigt, wie wichtig die Maskenpflicht sei, wichtiger noch als ein Impfstoff, der übrigens frühestens in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres für die Massen verfügbar sei.
Stunden später hat Trump beides dementiert und den CDC-Direktor in den Regen gestellt. Dieser habe die Fragen der Senatoren falsch verstanden, so der Präsident. Dabei gilt Redfield als ziemliches Weichei, wenn es darum geht, Trump Paroli zu bieten.
Die jüngsten Entwicklungen in der Coronakrise zeigen, wie verhängnisvoll, ja tödlich das immer engere Verhältnis von Trump und Fox News geworden. In seinem Buch «Hoax» geht der Medienjournalist Brian Stelter der Frage nach, wie es zu dieser geradezu symbiotischen Beziehung gekommen ist.
Rupert Murdoch konzipierte Fox News als konservative Alternative zu den bisherigen TV-Kanälen. Deshalb übertrug er die Leitung dem genial-teuflischen Roger Ailes, dem ehemaligen Kommunikationsberater von Richard Nixon. Entgegen aller Prognosen war Fox News bald erfolgreich, sehr erfolgreich sogar.
Heute ist Fox News der meistgesehene Kabel-TV-Kanal der USA. Dazu beigetragen haben Moderatoren wie Bill O’Reilly, aber auch anerkannte Newsleute wie Shepard Smith oder Bret Baier.
Ailes und O’Reilly sind inzwischen weg vom Fenster, beide wegen sexueller Belästigung gefeuert. Ailes ist verstorben, O’Reilly in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Beide waren konservative Hardliner, aber beide waren keine bedingungslosen Trump-Groupies. Sie haben es gelegentlich gewagt, Trump Gegensteuer zu geben.
Heute hat sich Fox News verändert. News-Journalisten wie Smith haben den Sender verlassen, die aktuellen Meinungsmoderatoren haben sich mit Haut und Haaren Trump verschrieben. Ob Sean Hannity, Tucker Carlson oder Laura Ingraham, sie stehen bedingungslos hinter dem Präsidenten. Das Resultat schildert Stelter wie folgt:
Die Rechnung der Ehe Trump/Fox News geht für beide auf: Der Präsident hat einen direkten Kanal zu seiner Basis, die ihm blind folgt. Die Murdochs verdienen Milliarden, die Moderatoren immerhin zweistellige Millionenbeträge. Hannitys jährliche Gage beträgt 30 Millionen Dollar. Dafür nimmt man gerne in Kauf, dass der Präsident fast täglich zu unmöglichen Stunden anruft und stundenlang plaudern will.
Inzwischen sind alle gefangen in diesem System, einem System, das keinerlei Spielraum mehr bietet. Fox News und Trump müssen liefern, was ihre Fans fordern. Nochmals Stelter:
Die gegenseitige Abhängigkeit von Zuschauern, TV-Sender und Präsident ist in normalen Zeiten bedenklich, in Zeiten einer Pandemie wird sie im wahrsten Sinne des Wortes tödlich. Stelter stellt fest:
Nicht nur die Zuschauer von Fox News verabschieden sich zunehmend von der Realität, auch die Trump-Regierung tut dies. Jüngstes Beispiel ist der Fall von Michael Caputo, ein zwielichtiger Mann, der sich lange im Dunstkreis von Roger Stone und Paul Manafort aufgehalten hat.
Obwohl er über keinerlei naturwissenschaftliche Ausbildung verfügt, wurde Caputo zum Kommunikationschef des Department of Health and Human Services (HHS) berufen, einer Institution, in der vorwiegend Wissenschaftler tätig sind.
Caputo wurde so zu einer Art Politkommissar, wie sie in der UdSSR üblich waren. Politische Wachhunde, die dafür sorgen mussten, dass die Wissenschaftler sich an die Parteilinie hielten.
Caputo tat genau dies. Noch im August warnte das Weisse Haus Bundesstaaten wie North und South Dakota, sie sollten angesichts von steigenden Coronafällen eine allgemeine Maskenpflicht einführen. Im September verschwanden diese Empfehlungen, obwohl sich die Zahl der Coronafälle nochmals deutlich erhöht hatte.
Inzwischen hat sich Caputo selbst eine Auszeit verschrieben. Nachdem er auf Facebook absurde Verschwörungstheorien verbreitet und die Trump-Fans aufgefordert hatte, sich zu bewaffnen, war er selbst für das Weisse Haus nicht mehr tragbar.
Beim Präsidenten hingegen schreitet der Realitätsverlust munter voran, ja, er nimmt Orwell’sche Züge an. Obwohl auf den Woodward-Tonbändern für jedermann deutlich zu hören ist, dass Trump die Coronakrise bewusst heruntergespielt hat, behauptet er nun das Gegenteil: Er habe sie heraufgespielt. Und obwohl angesichts der Waldbrände und der Stürme die Folgen der Klimaerwärmung selbst von meiner Katze nicht mehr in Frage gestellt werden, erklärt Trump unverdrossen: «Es wird wieder kälter werden.»
So langsam bin ich verwirrt 😂
Frage: Wann, wann sprechen wir endlich, endlich breitgesellschaftlich und wirklich ernsthaft über die extreme Destruktivität, Toxizität und schlicht demokratisch-gesellschaftliche Vernichtung, welche solche unfassbaren Hetz-Portale, wie FOX oder die Murdoch-Presse anrichtet?!?
Da kann man sich wirklich alles an Mühen sparen, wenn die stumpfen Teile der Bevölkerung dann auf FOX, Sun, etc. aufgehetzt und desinformiert werden.
Überall wo er den Boulevard beherrscht (Australien, UK, USA) sieht es nicht gerade so wahnsinnig gut aus.
Zum Glück wurde die BaZ schon an Tamedia verscherbelt. Die Messe darf er gerne haben.