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Alexei Nawalny: Mit der WC-Bürste gegen Putin

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Selbst in New York wurde mit der WC-Bürste für Alexei Nawalny protestiert.Bild: keystone
Analyse

Alexei Nawalny: Mit der WC-Bürste gegen Putin

Der russische Präsident hat sich verschätzt: Die Demonstrationen am Wochenende waren weit grösser als erwartet – und das war erst der Anfang.
25.01.2021, 12:4326.01.2021, 06:46
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Oft sind es die kleinen Dinge, die grosse Dinge bewirken. Ein gewiefter Volkstribun wie Alexei Nawalny weiss das. Deshalb hat er in sein Zwei-Stunden-Video über Wladimir Putins Protz-Palast am Schwarzen Meer ein neckisches Detail eingebaut: Allein die WC-Bürsten in den Toiletten hätten 850 Dollar gekostet – pro Stück, wurde enthüllt. Das Video ist inzwischen mehr als 50 Millionen Mal auf YouTube angeklickt worden.

Die Botschaft ist angekommen. An den Demonstrationen vom vergangenen Samstag in 110 russischen Städten sind weit mehr Menschen erschienen als erwartet. Allein in Moskau waren es rund 40’000. Und viele schwenkten WC-Bürsten als Symbol für die Dekadenz von Putin und seinen Oligarchen.

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Proteste in Moskau vom vergangenen Samstag.Bild: keystone

Noch vor Kurzem tat der russische Präsident so, als würde er nicht einmal den Namen Nawalny kennen. Spätestens seit dem vergangenen Wochenende kann er sich diese Arroganz nicht mehr leisten. Putin muss zur Kenntnis nehmen, dass sich um die Person Nawalnys eine Bewegung zu formieren beginnt, die ihm gefährlich werden könnte.

«Nawalny ist nun mehr als eine physische Person. Nawalny ist so etwas wie eine Bewegung geworden: mit Werten, regionalen Infrastrukturen und Aktivisten», sagt die Politologin Tatiana Stanovaya in der «Financial Times». «Wenn der Kreml Nawalny einfach ins Gefängnis steckt und sonst nichts unternimmt, dann wird er die Arbeit dieser Bewegung erschweren, aber nicht stoppen.»

Nawalny hat diese Bewegung behutsam aufgebaut. Schon vor mehr als zehn Jahren begann er mit einem Blog, in dem er die krummen Geschäfte der Putin-Handlanger aufdeckte. Ebenso knüpfte er ein Netzwerk, das gezielt die Position der Putin-Partei «Einiges Russland» unterwanderte. Mit einem sogenannten «smart vote», einem intelligenten System, gelang es ihm immer wieder, Putin-Getreue in regionalen Parlamenten zu düpieren.

So wurde Nawalny dem Kreml lästig, aber nicht wirklich gefährlich. Deshalb wurde er immer wieder unter fadenscheinigen Vorwänden verhaftet, danach aber rasch wieder frei gelassen.

Allmählich begann Nawalnys steter Tropfen, den Putin-Stein zu höhlen. Im kommenden September finden in Russland Wahlen statt. Der Kreml will nichts anbrennen lassen. Deshalb haben am 20. August Agenten des russischen Geheimdienstes FSB Nawalny in der sibirischen Stadt Tomsk mit dem Nervengift Novitschok vergiftet. Nawalny brach auf dem Rückflug zusammen. Der Pilot reagierte rasch, landete die Maschine notfallmässig. Nawalny konnte nach Berlin ausreisen, wo sein Leben gerettet wurde.

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Dei Verhaftung von Alexei Nawalny in Moskau.Bild: keystone

Die Vergiftung des lästigen Oppositionsführer wurde rasch zu einem Bumerang für den Kreml. Mit einem fingierten Telefongespräch konnte Nawalny Details des FSB-Plots entlocken und den Geheimdienst bis auf die Knochen blamieren. In einem Video wurde dieses Gespräch aufgezeichnet. Es wurde mehr als 23 Millionen Mal angeklickt.

Die Vergiftung und jetzt die Verhaftung haben Nawalny definitiv zu einem Volkshelden werden lassen. Er wird bereits mit Andrei Sacharow verglichen. Der Physiker war der Vater der russischen Wasserstoffbombe, wandelte sich später jedoch zum wirkungsvollsten Kritiker des Sowjetregimes und wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Nawalnys Charisma wird für Putin in vielfacher Hinsicht zu einem Problem. Russlands Wirtschaft ist, wie der Spruch lautet, im Wesentlichen eine grosse Tankstelle. Der Ölpreis hat sich zwar von seinem Tiefstpunkt wieder erholt, ist jedoch immer noch weit von seinen besten Zeiten entfernt. Eine wirksame Modernisierung der Wirtschaft hat Putin in seiner 20-jährigen Herrschaft nicht auf die Beine gebracht.

Dazu kommt, dass die Coronakrise Russland ebenfalls heftig getroffen hat. Wie heftig, ist schwer einzuschätzen, da die entsprechenden Informationen fehlen. Sicher ist, dass die russische Bevölkerung leidet und der Unmut auf die Regierung wächst.

Russian President Vladimir Putin attends a meeting on economic issues via video conference at the Novo-Ogaryovo residence outside Moscow, Russia, Thursday, Jan. 21, 2021. (Mikhail Klimentyev, Sputnik, ...
Kann Nawalny nicht mehr ignorieren: Wladimir Putin.Bild: keystone

Aussenpolitisch hat sich die Situation ebenfalls verändert. Anders als Donald Trump ist Joe Biden kein Putin-Fan. Was mit Nawalny geschieht, wird in Washington genau verfolgt und nicht gnädig beurteilt. Neue Sanktionen werden bereits diskutiert. Das trifft auch für Brüssel zu. In Berlin wird derweil gar darüber debattiert, ob Nord Stream 2, die umstrittene Gas-Pipeline von Russland nach Deutschland, fertig gestellt werden soll.

Für jemanden, dessen Namen Putin nicht einmal kennen will, hat Nawalny somit für reichlich Ärger gesorgt. Und das könnte erst der Anfang sein. Experten vergleichen die Ereignisse vom vergangenen Wochenende mit der Situation in Belarus. Sie rechnen mit mehr und grösseren Demonstrationen an den kommenden Wochenenden.

Nicht nur die WC-Bürsten-Botschaft von Nawalny scheint angekommen zu sein, sondern auch sein kämpferischer Aufruf. Bevor er wieder hinter Gittern verschwand, rief er seine Anhänger auf: «Die Schufte im Kreml wollen uns in drei Gruppen aufteilen: in die Schweigenden; in diejenigen, die verstehen, aber schweigen; und in die, welche sich weigern zu schweigen und kämpfen. Ich bekniee euch, die richtige Gruppe zu wählen.»

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Nawalny-Proteste in Russland
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Nawalny-Proteste in Russland
In Russland haben tausende Menschen für die Freilassung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny protestiert.
quelle: keystone / dmitri lovetsky
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Nawalny zeigt Video von angeblichem Luxus-Palast von Putin
Video: watson
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51 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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FrancoL
25.01.2021 14:01registriert November 2015
Eine Frage an Löpfe; könnte es nicht sein, dass Sie gleich wie bei Trump die Reaktionen in Russland nicht richtig werten? Denn wären bei Trump die Reaktionen so wie Löpfe sie immer stilisiert hat wirklich gewesen, dann hätte Trump kaum das erste Jahr überstanden, aber er wurde doch so gestützt, dass er ganze 4 Jahre am Ruder war.
Mir scheint auch in diesem Artikel UNSERE Sicht hier in Europa abgebildet und sehr wenig von der reellen Sicht in Russland.
Das ist gefährlich und trügerisch, auch weil die Opposition leider ähnlich wie in den USA etwas konzeptlos unterwegs ist.
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Emil Eugster
25.01.2021 15:23registriert Juni 2020
An den Kommentaren hier merkt man; Putin Fan-Schreiber haben es derzeit sehr schwer.
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