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Urteil: Der Fall von Pierre Maudet in 5 Akten

Pierre Maudet, conseiller d?Etat genevois, revient au palais de justice apres une pause lors du premier jour d'ouverture dans son proces pour acceptation d?avantage devant le Tribunal de police,  ...
Das politische Ausnahmetalent Pierre Maudet wurde verurteilt.Bild: KEYSTONE/Salvatore Di Nolfi/archivbild
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Vom Bundesrats-Kandidaten aufs Abstellgleis: Pierre Maudets Fall in 5 Akten

Das Gericht hat entschieden: Pierre Maudet hat sich der Vorteilsannahme schuldig gemacht. Es ist das vorerst letzte Kapitel seines Politdramas.
22.02.2021, 19:1804.03.2021, 14:31
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Pierre Maudet galt als politisches Naturtalent. Als «animal politique». Als «Hyperaktiver», der immer ein paar Schritte voraus sei. Sein Name wurde fast nie ohne irgendeine Lobhudelei verwendet.

Der Genfer Ausnahmepolitiker fiel jedoch tief. Vom Senkrechtstarter, der mit einem kriegerischen Plan in den Bundesrat wollte – hin zum verurteilten Lügner, der zu viel wollte und über kapitale Fehler stolperte.

Pierre Maudets Karriere, erzählt als Drama in fünf Akten.

Der Senkrechtstarter

Francoix Cherix, gauche, secretaire general de l' Union Vaud-Geneve et responsable de la recolte de signatures dans le canton de Vaud et Pierre Maudet, droite, responsable de la recolte de signat ...
Maudet als Politneuling im Jahr 2000: Er forderte damals eine «Union» zwischen Waadt und Genf.Bild: KEYSTONE/Laurent Gillieron

Man glaubt es kaum. Doch Pierre Maudet, der schon mit 25 wie 40 aussah und sich entsprechend mit Lackschuhen und Anzügen kleidete, war auch mal jung und wild. Als das älteste Bild von ihm im Medienarchiv von «Keystone» im Jahr 2000 hochgeladen wurde, hatte der 22-Jährige schon eine prall gefüllte Politbiografie.

Begonnen hat sie mit seinem Wunsch nach einem Skaterpark. Der pubertierende 12-jährige Pierre schrieb 1990 dem damaligen Stadtpräsidenten von Genf einen Brief mit der Bitte, man solle doch sowas realisieren. Maudet bekam aber zunächst keine Antwort, dann ein «Non». Ihm passte die behördliche Reaktion nicht und schuf drei Jahre später das Genfer Jugendparlament.

Von da an geht es nur noch hinauf. Ein Jahr nach der Matura tritt er der FDP bei, 1999 wird er 21-jährig ins Genfer Stadtparlament gewählt. Dort gibt er Gas: Er organisiert Events, macht sich in der Öffentlichkeit einen Namen. Und fordert im Jahr 2000 eine «Union» in der Romandie, bei der die Kantone Genf und Waadt stärker zusammenarbeiten sollten. Das Volk überzeugt er nicht – die Medien wissen aber fortan: Den Namen Pierre Maudet muss man sich merken.

Der Respektierte

Les 5 membres du Conseil administratif de la Ville de Geneve de la legislature 2011-2015, de gauche a droite, Remy Pagani, Esther Alder, Pierre Maudet, Sandrine Salerno et Sami Kanaan, posent lors de  ...
Pierre Maudet als Mitglied der Genfer Stadtregierung im Jahr 2011.Bild: KEYSTONE

Maudet steigt auf. Er wird Fraktionschef seiner Partei, schliesst das Militär als Hauptmann und ein Rechtsstudium in Fribourg ab. Mit 25 Jahren heiratet er, wird Vater. Nicht nur privat, auch politisch setzt er auf Schnellzugstempo.

Er schafft mit gerade erst 29 Jahren den Sprung in die Stadtregierung und weitere vier Jahre später die überraschende Wahl in die Genfer Kantonsregierung. Er profiliert sich als Justizpolitiker, schafft eine Brücke zwischen grünen, urbanen und freisinnigen Anliegen. Das kommt gut an: 2013 wird er wiedergewählt und zwar mit einem Glanzresultat, besser als alle anderen Bisherigen und Alteingesessenen.

Es ist auch die Zeit, wo Maudets Name zunehmend in der Deutschschweiz Erwähnung findet: Er will Polizei-, Taxi-, Restaurationsgesetze reformieren und stösst auf Widerstand. Seine Statements – auch mal zweisprachig für die Deutschschweizer Presse – gibt er aber stets eloquent. Sein Name bleibt aber immer noch eine welsche Randnotiz, die kaum jemand östlich des Röstigrabens kennt.

Jene, die ihn aber kennen, wetten auf eine baldige nationale Politkarriere: Maudet wird zum respektierten jungen Gesicht von Genf, an dem keiner vorbei kann, wenn es um die Westschweizer Politik geht.

Der Krieger

Sein Auftritt auf der nationalen Politbühne kam schnell und vor allem unerwartet.

Es wurde schon lange spekuliert, wann Maudet auch ins Bundeshaus gewählt wird. Die Erwartungen werden aber im Sommer 2017 quasi über Nacht vom Schnellzug «Maudet» überholt, als er überraschend für die Nachfolge von Bundesrat Didier Burkhalter kandidiert.

Der Tessiner FDP-Nationalrat Ignazio Cassis, rechts, und der Genfer FDP-Staatsrat Pierre Maudet, links, treffen sich beim "Diner politique" anlaesslich des Filmfestivals in Locarno am Freita ...
Pierre Maudet (links) neben seinem damaligen Kontrahenten und heutigen Bundesrat Ignazio cassis.Bild: KEYSTONE

Rückblickend weiss man: Der heisse «Maudet-Sommer» ist nicht das Resultat von Zufall und Glück, sondern von einer minutiös geplanter Strategie namens «Operation Valmy». Sie startete am 25. Juli 2017 in Maudets Büro an der Place de la Taconnerie 7 in Genf, wie später die «NZZ» aufdeckt. Dort wird seine schier unmöglich durchsetzbare Kandidatur durchgeplant: Er will eine Bundesratswahl gewinnen, bei der eigentlich ein Tessiner gewinnen sollte.

Maudet, der Krieger, gibt alles. Und stiehlt für einen Überraschungsmoment auch seinem Parteigenossen Ignazio Cassis den Auftritt: Er lässt sich am 4. August 2017 am Filmfestival in Cassis' Heimatkanton ablichten, nachdem er sich am gleichen Tag in einem exklusiven Zeitungsinterview als Bundesratskandidat outet.

Maudet lobbyiert geschickt: Er versucht alle 246 Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Bundeshaus anzuhauen und überrascht sie auch mal mit einem Hausbesuch. Der Coup gelingt ihm: Die FDP nominiert am 1. September ein «Dreier Ticket»: Den Tessiner Ignazio Cassis und die beiden Romands Pierre Maudet und Isabelle Moret.

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Maudet verfolgte die Bundesratswahl in einem Bundeshaus-Einzelzimmer. Der Fotograf Niels Ackermann erhielt für die Fotoserie über die «Opération Valmy» den Preis «Swiss Press Photo 2018».Bild: SWISS PRESS PHOTO/Lundi 13

In den Tagen bis zur Bundesratswahl am 20. September 2017 erhält Maudet viel Aufwind – allen voran vom «Blick», der ihn mehrmals auf die Frontseite bringt und als «Maudet ist ein König der Inhalte. Maudet ist unideologisch, führungsstark und visionär» beschrieben wird.

Doch Maudet scheiterte und das Tessin bekam mit Ignazio Cassis wieder einen Bundesrat.

Der Lügner

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Maudet bei einer Krisensitzung der FDP im November 2018.Bild: SWISS PRESS PHOTO

Maudets Niederlage bei der Bundesratswahl 2017 war rückblickend betrachtet nicht der Beginn seines Falls. Seine Reise nach Abu Dhabi, seine Lügen und Verfehlungen sind zwar noch gänzlich unbekannt. Hinter den Kulissen brodelt es in dieser Zeit aber bereits. Unter anderem wegen des hartnäckigen Journalisten Raphael Leroy.

Er ist der erste, der Fragen zu Maudets Reisen in die Arabischen Emirate hat. Wir erinnern uns: Der Genfer Politiker fliegt 2015 zusammen mit Familie und Freunden Business Class mit Etihad, der Airline des Emirats. Später erhält eine Firma aus den Emiraten die Konzession für die Bodenabfertigung am Genfer Flughafen. Der Journalist Leroy stellt Fragen, erkennt die Widersprüche. Die Story erscheint nicht, weil die Chefredaktion von Matin Dimanche die Beweise als ungenügend erachtete.

Le conseiller d'Etat genevois Pierre Maudet reagit durant l'assemblee generale extraordinaire du PLR Geneve ce mardi 15 janvier 2019 a Geneve. (KEYSTONE/Valentin Flauraud)
Maudet hatte nach den Enthüllungen kein einfaches Regierungsmandat.Bild: KEYSTONE

Als Maudet 2018 erneut bei den kantonalen Wahlen ein Spitzenresultat einfährt, nutzen Leroy – mittlerweile Chefredaktor bei Radio Lac – und die «Tribune de Genève»* die Gelegenheit und stellt Maudet erneut Fragen zur Abu-Dhabi-Reise. Der Freisinnige stellt damals klar: Die Reise sei von einem Geschäftsmann bezahlt worden, Maudet hätte deshalb nun ein «ungutes Gefühl».

Das ist eine Lüge.

Im August 2018 gibt die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn bekannt. Sie wirft ihm Vorteilsannahme vor. Die Erklärung mit dem «Geschäftsmann» sei so abgesprochen worden, um die wahre Finanzquelle zu vertuschen, so der Vorwurf.

Maudet gibt die Flunkerei zu, entschuldigt sich. Doch einen Rücktritt aus dem Stadtrat lehnt er ab. Er klammert sich wie kaum ein anderer Politiker oder eine andere Politikerin in der Schweizer Geschichte an die Macht und kassiert dafür eine Ohrfeige nach der anderen. Die Regierung entzieht ihm praktisch alle Dossiers, das Kantonsparlament hebt seine Immunität auf, die Partei geht auf Distanz zu ihm. Und wirft ihn schliesslich raus.

Parallel dazu kommen neue Vorwürfe dazu, die mögliche Interessenskonflikte bei einer Grossüberbauung am Genfer Flughafen suggerieren. Gleichzeitig kommen schwarze Parteikassen und obskure Finanzflüsse ans Licht: Maudets Politkarriere sei auch durch Gelder von geheimen Unterstützungs-Bankkonten mitfinanziert worden, recherchiert der Journalist Philippe Reichen im Buch «Pierre Maudet – sein Fall».

Im Herbst 2020 zieht Maudet sowas wie eine Reissleine und kündigt seinen Rücktritt aus dem Regierungsrat an. Er bleibe aber bis zur Ersatzwahl im Amt, für die er erneut kandidiert.

Der Verurteilte

Seit dem 22. Februar 2021 ist klar: Maudet hat sich zumindest mit der Abu-Dhabi-Reise der Vorteilsannahme schuldig gemacht. Er wurde zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen à 400 Franken (total 120'000 Franken) verurteilt. Die Strafe wurde bedingt ausgesprochen. Er muss zudem eine Ersatzforderung in der Höhe von 50'000 Franken leisten.

Was ist eine Ersatzforderung?
Eine Kompensationszahlung muss von Tätern bezahlt werden, wenn Geldbeträge durch eine Straftat erlangt wurden oder dazu bestimmt waren, eine Straftat zu veranlassen oder zu belohnen. Solche «Einziehungen von Vermögenswerten» werden im Strafgesetzbuch geregelt.

Das Urteil des Genfer Polizeigerichts markiert das vorerst letzte Kapitel des Politdramas rund um das Ausnahmetalent Pierre Maudet.

GERICHTSZEICHNUNG - Un dessin montre le conseiller d'Etat genevois Pierre Maudet, deuxieme depuis la gauche, sur le banc des accuses en compagnie de Patrick Baud-Lavigne, gauche, ancien directeur ...
Pierre Maudet (Zweiter von links) während der Gerichtsverhandlung am 15. Februar.Bild: KEYSTONE

Ob es wirklich das letzte Kapitel wird, ist eine Stunde nach dem Urteil unklar. Entschieden hat bislang die erste Instanz – die Berufung ans nächst höhere Gericht ist möglich. Es gilt die Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung. Maudet kündigte den sofortigen Rücktritt im Fall einer Verurteilung an.

Doch wird er es auch tun?

Seine Karriere befindet sich derzeit in der Schwebe – ja gar auf einem Abstellgleis, deren Weichen noch gestellt werden müssen. Und zwar von Maudet selbst: Er hielt bis zuletzt an seiner Kandidatur bei den Regierungsratswahlen am kommenden 7. März 2021 fest. Rückendeckung könnte er diese Woche bekommen, wenn ein Untersuchungsbericht zu seiner Amtsführung veröffentlicht wird.

Vor Gericht sagte er noch: «Als Mann leugne ich meine Schuld nicht gegenüber denjenigen, die verletzt und betroffen wurden. Ich wiederhole meine Entschuldigung.» In zwei Wochen wird sich zeigen, ob das Volk ihm verzeiht, sollte er seine Kandidatur nicht zurückziehen.

* In einer ursprünglichen Version hiess es, Leroy sei Chefredaktor bei der «Tribune de Genève» gewesen. Das ist falsch. Er war zu dieser Zeit Chefredaktor beim Radio Lac. Publik wurde die Affäre durch Leroy und Sophie Roselli von der «TdG». Der Absatz wurde berichtigt.

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Ignazio Cassis ist neuer Bundesrat
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Für den Ehemann gibt's ein Küsschen zur Belohnung: Paola Cassis und ihr Mann Ignazio.
quelle: epa/keystone / marcel bieri
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Ignazo Cassis: Der neue Bundesrat
Video: srf
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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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circumspectat animo
22.02.2021 20:15registriert März 2019
Ich finde Maudet sollte trotzdem Bundesrat für die FDP werden. Er verkörpert das Gesicht der Partei wie kein zweiter.
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Thanatos
22.02.2021 20:33registriert Dezember 2014
"«Als Mann leugne ich meine Schuld nicht gegenüber denjenigen, die verletzt und betroffen wurden. Ich wiederhole meine Entschuldigung.»"

Hahahahahaha. Dann verzichte auf deine fürstliche Rente! Alles andere ist ein Hohn.

Traurigerweise ist das wohl nur die Spitze des Eisberges. Ohne Offenlegung der Parteifinanzierung und der Mandatsentlöhnungen wird wohl nie etwas passieren. Money rules.
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Paul Badman
22.02.2021 19:43registriert November 2015
Soweit ich das Urteil interpretiere, hat er sich bestechen lassen, war korrupt. In der Calvinistenstadt Genf. Geht nicht. Andererseits kann in einer Demokratie sich auch ein Häftling zur Wahl stellen. Man mutet es dem Wahlvolk zu, denkt die werden es schon richten. Ging in den USA 2016 in die Hose. Wahlvolk kann auch ziemlich doof sein. Wenn die Genfer einem korrupten Politiker eine zweite Chance geben wollen, à la bonne heure. Vielleicht sagt Maudet sich: Ist der Ruf erst ruiniert, regiert sich's danach ungeniert.
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