Rafael Nadal hat ein grosses Ziel: In knapp zwei Wochen will die spanische Weltnummer 2 zum 13. Mal das French Open gewinnen und mit seinem 20. Grand-Slam-Titel im «GOAT»-Rennen zu Rekordhalter Roger Federer aufschliessen. Um sich voll auf die Sandsaison konzentrieren zu können, hatte Nadal alles auf eine Karte gesetzt und auf die wegen der Corona-Pandemie beschwerliche Reise nach New York ans US Open verzichtet.
Zunächst lief für den «Stier aus Manacor» auch alles nach Plan: Bei seinen ersten Ernstkämpfen nach der fast sieben-monatigen Wettkampfpause fegte er beim Masters-1000-Turnier in Rom in gewohntem Stil über seine Konkurrenten hinweg. 6:1, 6:1 siegte der «Sand-König» gegen Landsmann Pablo Carreño Busta, mit 6:1, 6:3 fegte er Dusan Lajovic vom Platz.
Nadal mal wieder im «Gott-Modus» – so machte es zumindest den Anschein. Doch dann kam das Viertelfinal-Duell gegen den formstarken Argentinier Diego Schwartzman. Neunmal hatte Nadal die 1,70 m kleine Weltnummer 15 in neun Duellen zuvor besiegt, doch im zehnten Duell behielt überraschend der krasse Aussenseiter die Oberhand: Mit 2:6 und 5:7 musste sich der «Stier aus Manacor» im Foro Italico, wo er schon neunmal triumphiert hat, geschlagen geben.
Die Tennis-Maschine hatte plötzlich Sand im Getriebe, denn vor allem der Aufschlag funktionierte beim Spanier überhaupt nicht. Der erste Aufschlag kam nur zu 43 Prozent – und wenn dies der Fall war, machte der Titelverteidiger nur 48 Prozent der Punkte. Über den zweiten Aufschlag lag die Punktquote bei 44 Prozent. Schwartzman nutzte Nadals Aufschlagschwäche hervorragend aus, attackierte sofort und bestimmte danach die Punkte von der Grundlinie aus.
Der Aufschlag war bereits in jungen Jahren Nadals grosse Achillesferse. Doch der Spanier arbeitete in der Folge hart an seiner Schwäche und verbesserte seinen Service kontinuierlich. Die fehlende Wucht machte er mit Präzision und Variation weg. Vom Rückfall in längst vergessene Zeiten ist nun aber auch Nadal überrascht: «Wenn du so aufschlägst, kannst du nicht gewinnen», bilanzierte Nadal nach dem überraschend frühen Aus in Rom.
Schon gegen Carreño Busta war die Aufschlagsleistung dürftig, da konnte er seine Schwäche dank der Dominanz von der Grundlinie aber noch kaschieren. Doch gegen Schwartzman bekundete Nadal auch da Mühe, vor allem die Vorhand funktionierte noch nicht so wie gewohnt. «Es ist klar, dass ich vieles ändern muss», erklärte der neunfache Rom-Champion. «Und ich weiss auch, wie ich es ändern werde.»
Doch die Zeit drängt, bereits am Sonntag finden die ersten Erstrunden-Partien statt. «Eurosport»-Experte Boris Becker glaubt, dass für Nadal die Titelverteidigung in Paris in diesem Jahr «besonders schwer» wird. «Auch ein Rafael Nadal braucht Matchpraxis, und die fehlt ihm in diesem Jahr. Normalerweise spielt er Monte Carlo, Barcelona, Madrid und Rom und kommt mit jeder Menge Spielpraxis nach Paris. Das ist in diesem Jahr anders», erklärt der 52-jährige Deutsche.
Dennoch bleibt Nadal für Becker der Anwärter Nummer 1 auf den Titel. «Aber ich glaube, die Chancen der anderen in diesem Jahr sind deutlich grösser.» Die anderen, das sind für Becker vor allem die Weltnummer 1 Novak Djokovic und US-Open-Sieger Dominic Thiem.
Doch Nadal hat auch schon bewiesen, dass er in Paris auch ohne perfekte Vorbereitung gross aufspielen kann. 2008 scheiterte er in Madrid beispielsweise im Halbfinal und schied in Rom danach schon bei erster Gelegenheit aus, trotzdem gewann er danach das French Open. Auch im Vorjahr hoffte die Konkurrenz, nach Niederlagen in Monte Carlo gegen Fabio Fognini, in Barcelona gegen Dominic Thiem und in Madrid gegen Stefanos Tsitsipas, dass es endlich zur grossen Wachablösung kommt. Doch danach triumphierte Nadal erst in Rom und dann auch in Paris.
Dennoch: Drei Matches, von denen vor allem das letzte alles andere als Selbstvertrauen einhauchte, müssen als Vorbereitung reichen. So wenige wie noch nie. Nadals Trainer und Onkel Toni ist überzeugt, dass es in Paris «kompliziert» wird. Dennoch hofft und glaubt er, dass sein Neffe das French Open gewinnen kann.
Nadal selbst will die kurze und wenig erfolgreiche Vorbereitung nicht überbewerten. «Es ist ein ganz besonderes und unvorhersehbares Jahr. Ich werde versuchen, bereit zu sein, wenn es losgeht», erklärt er. An die mögliche Egalisierung von Federers Grand-Slam-Rekordmarke verschwendet der Mallorquiner noch keinen Gedanken. «Ich bin nicht besessen von diesen 20 Major-Titeln. Und ich kann auch nicht dauernd an Roger, Novak und unser Rennen um die meisten Majors denken», so Nadal.
«Ich weiss, dass Journalisten dem viel Aufmerksamkeit schenken» und er würde seine Karriere gerne bei 25 Grand Slams beenden, aber das sei unwahrscheinlich. «Ich möchte Tennis weiterhin geniessen. Wenn ich auf hohem Niveau spiele, bin ich ein Major-Konkurrent. Wenn nicht, ist es unmöglich, weitere Titel zu gewinnen.»