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RTS: Empörung über das Instagram-Konto der Schande

«Hast du dieses Wochenende gebumst?»: Empörung beim RTS über das Insta-Konto der Schande

Die Sexismus- und Mobbing-Enthüllungen beim Westschweizer Fernsehen ziehen weitere Kreise. Auf einem neuen Social-Media-Kanal teilen Angestellte ihre negativen Erfahrungen. Der Druck auf SRG-Generaldirektor Gilles Marchand nimmt zu.
27.11.2020, 11:4628.11.2020, 11:27
Benjamin Weinmann / CH Media
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Die Sexismus-Debatte rund um das RTS nimmt kein Ende. «Le Temps» hatte über die Missstände beim Westschweizer SRF-Pendant berichtet, und seither kommen regelmässig neue Erkenntnisse an den Tag, welche die heutige Spitze unter Druck bringt – aber insbesondere auch Gilles Marchand, der von 2001 bis 2017 als RTS-Direktor amtete und inzwischen die Dachorganisation SRG führt.

SRG-Generaldirektor Gilles Marchand will die Vorw
Der Generaldirektor der SRG, Gilles Marchand, hatte Kenntnis von konkreten Mobbing-Vorfällen.Bild: sda

Seit einigen Tagen erregt ein neues Instagram-Konto die Gemüter im Fernsehturm in Genf. «Swiss Media Too» heisst der Kanal, der aufgrund der RTS-Enthüllungen geschaffen wurde und Angestellte von Schweizer Medien dazu aufruft, von ihren sexistischen Erfahrungen zu erzählen. Teile davon wurden zuletzt in den Gängen der RTS-Büro aufgehängt, wie die hauseigene Sendung «Mise au Point» berichtete.

«Es ist wichtig, dass sie blasen lernt.»

Doch auf «Swiss Media Too» sind die Aussagen nun für die Öffentlichkeit einsehbar. «Das Konto ist bei uns das Gesprächsthema der Stunde», sagt ein RTS-Insider dazu. Tatsächlich werden regelmässig und anonym neue Beiträge publiziert. Innert kürzester Zeit hat es der Kanal auf über 5000 Follower gebracht. Ein paar Beispiele:

  • «Es ist wichtig, dass sie blasen lernt.»
    (Ein Kadermitglied über eine Arbeitskollegin)
  • «Hast du dieses Wochenende gebumst? Man sieht dir an, dass du es liebst zu bumsen.»
    (Ein Journalist zu einer Kollegin an einem Montagmorgen)
  • «Sie macht die Montage. Aber sie gibt auch Blowjobs.»
    (Ein Journalist über eine Arbeitskollegin, die inzwischen gekündigt hat)
  • «Zum Glück haben wir hübsche Mädchen wie dich für solche Dienste.»
    (Ein Produzent, der eine Angestellte um eine Aufgabe bat, für die sie nicht zuständig war)
  • «So, hast du dich befruchten lassen?»
    (Ein Angestellter zu einer schwangeren Kollegin)
  • «Mmmh, meine erste Morgen-Erektion»
    (Derselbe Angestellte zur selben Kollegin um 5 Uhr morgens im RTS-Lift.»
  • «Nur zu! Ich arbeite seit 25 Jahren in dieser Firma. Ich mach, was ich will hier.»
    (Ein Radioproduzent, nachdem eine Angestellte sich ans HR wenden wollte)

Die Liste liesse sich problemlos verlängern – auch durch Beispiele von anderen Westschweizer Medienhäusern. SRG-Generaldirektor Gilles Marchand gerät derweil noch stärker unter Druck. Bisher hatte er beteuert, von konkreten Übergriffen beim RTS während seiner Amtszeit nichts gewusst zu haben. Vor wenigen Tagen sagte er in der RT-Sendung «Mise au Point» erneut: «Ich habe die Aussagen der Betroffenen nicht gekannt.» Doch wie der «Tages-Anzeiger» und CH Media aktuell berichten, ist dies nicht der Fall.

Demnach erhielt die RTS-Direktion 2014 mehrere Briefe, in denen konkrete Fälle beschrieben wurden. Es ging um Mobbing- und Belästigungsvorwürfe durch einen Kadermann, der kurz zuvor befördert worden war. Marchand bekam wichtige, als «vertraulich» gekennzeichnete Schreiben in Kopie.

In einem Schreiben der Mediengewerkschaft SSM hiess es laut «Tages-Anzeiger»: «Die Betroffenen fühlen sich erniedrigt und herabgesetzt. (…) Acht Betroffene sind bereit in einer externen Untersuchung auszusagen.» Die Mehrheit von ihnen wurde jedoch nie angehört.

SRF-Chefin Wappler reagiert mit Personalumfrage

Der aktuelle RTS-Chefredaktor Bernard Rappaz hat inzwischen sein Amt temporär abgegeben, zumindest bis eine externe Untersuchung beendet ist. Beim RTS ist die Stimmung denn auch weiterhin angespannt. Über 140 Angestellte wollen über ihre negativen Erfahrungen bei der Genfer Anwaltskanzlei «Troillet Meier Raetzo» aussagen.

Doch die Wut richtet sich nicht nur nach innen, wie ein Insider sagt: «Die Deutschschweizer Medien zeigen nun mit Häme auf das RTS, doch wichtig wäre, dass man sich auch im Leutschenbach der Problematik ernsthaft annimmt.» Auch dort gebe es Sexismus und Mobbing.

ARCHIVBILD ZUM STELLENABBAU BEI SRF --- Nathalie Wappler, Director of Swiss Radio and Television, SRF, poses for a photograph at the television studio of SRF in Zurich-Oerlikon, Switzerland, on August ...
Nathalie Wappler, SRF Direktorin, reagiert auf die Enthüllungen in der Westschweiz.Bild: keystone

Wie gross das Sexismus-Ausmass beim SRF ist, dürfte sich demnächst zeigen. Wie in den CH-Media-Zeitungen kürzlich zu lesen war, hat SRF-Direktorin Nathalie Wappler nach dem RTS-Skandal eine interne Umfrage angekündigt. Gegenüber dem Personal schrieb sie, dass man sich um jeden Fall von Belästigung, Diskriminierung oder Mobbing kümmere. «Jedoch müssen auch wir davon ausgehen, dass nicht alle Fälle gemeldet werden, sich Betroffene zurückhalten oder sich nicht trauen, Fehlverhalten zu melden.»

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quelle: ap/ap / damian dovarganes
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39 Kommentare
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Don Alejandro
27.11.2020 11:59registriert August 2015
Diese Aussagen sind schon sehr heftig. Da ist die Firmenkultur offensichtlich ziemlich ramponiert.
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Amöbe
27.11.2020 13:07registriert Januar 2019
Jede zweite Schweizerfirma. Das Problem ist, dass im HR nur schönwetter Personal hockt. Niemand traut sich dort das Management anzugreifen. Mehrmals erlebt💁‍♂️
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Lustiger Baum
27.11.2020 12:14registriert April 2019
Wer meint dass nun nur Männer so sind, der täuscht sich, Frauen sind gleich!!!

Ich habe über Jahre oft nur mit Frauen gearbeitet. Nur habe ich als Mann keine Chance überhaupt bekommen mich zu wehren. Eine Arbeitskollegin meinte mal zu mir "Ich zeige dir wie man die Nacht durchfickt.". Mir wurden immer wieder sehr explizite Nachrichten gesendet und ja es gab sogar Arschklappse.
Sowohl HR als auch meine Vorgesetzten lachten mich aus. Ich solle als Mann doch diese Aufmerksamkeit geniessen!

Willkommen in der Doppelmoral. Das war übrigens eine Börsenkotierte Firma und kein KMU.
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