Sie waren zwischen 14 und 23 Jahren alt. Sie waren weiss und schmal und er fand sie wunderschön. Und im Tod noch schöner als im Leben. Denn waren sie erst einmal tot, so konnte er sie ausziehen, waschen, sie nackt in einen Stuhl setzen oder neben sich ins Bett legen oder mit ihnen Sex haben. Die meisten seiner Opfer strangulierte Dennis Nilsen bis zur Bewusstlosigkeit, dann ertränkte er sie.
Wenn er sich mit ihnen verlustiert hatte, versteckte er sie unter Dielenbrettern. Und holte sie bei Bedarf wieder hervor. Tage-, wochen-, ja gar monatelang. Bis der Verwesungsprozess zu weit fortgeschritten war. Bis Maden die schönen Körper übernommen hatten. Dann zertrennte er die Leichen, packte sie noch für eine Weile in Plastiksäcke, bevor er sie schliesslich zusammen mit ein paar Autoreifen im Hinterhof verbrannte.
15 junge Männer soll der ehemalige Polizist und spätere Job-Center-Angestellte so zwischen 1978 und 1983 in London geschlachtet haben, die Überreste von 12 wurden gefunden, 6 wurden identifiziert. Weil Dennis Nilsen selbst dafür sorgte, dass die Polizei auf seine Morde aufmerksam wurde.
Als die Polizei realisierte, dass es sich um menschliche Überreste handelte, und dass auf dem Herd von Dennis Nilsen ein Topf stand, in dem ein Männerkopf ausgekocht wurde, da hätte sie keinen kooperativeren Täter finden können: Denn der 37-Jährige, der als Kind versucht hatte, seine Geschwister zu missbrauchen, und der seit seiner Pubertät sexuelle Unterwerfungs- und Tötungsfantasien hegte, fand eine neue, womöglich noch grössere Lust darin, über seine Morde zu reden. Sie als Narrativ erneut zu serialisieren. Man kennt dieses Motiv. Sehr schön auch zu sehen in der fabelhaften, von wahren Ereignissen inspirierten Thriller-Serie «Mindhunter».
Und an dieser Stelle setzt nun der sensationelle britische TV-Dreiteiler «Des» (Regie: Lewis Arnold) ein, der vor wenigen Tagen auf ITV gezeigt wurde und der am Zurich Film Festival im Kino als Dreistünder gezeigt werden wird. «Des» mit David Tennant («Broadchurch», «Doctor Who») in der Hauptrolle erhielt nach seiner Ausstrahlung etliche Beschwerden von Zuschauern wegen allzu expliziter Gewalt.
Selbst die «Bild»-Zeitung schrieb darüber – und bewies, dass sie keine Minute von «DES» gesehen hatte: «Auch die Bilder von verfaulenden Körpern, die Nilsen in Schränken und unter Dielen versteckte, dürften sich den Zuschauern eingebrannt haben.»
Wir sind das gebannte Publikum, dem Nilsen mit buchhalterischer Sachlichkeit, vollkommen reuelos und mit Freude an verwirrenden Umwegen seine Geschichten erzählt. Wie er die jungen Männer in seine Wohnung lockte, indem er ihnen Essen, Sex oder ein Dach über dem Kopf versprach. Die meisten von ihnen waren Junkies oder obdachlos.
Der Schotte David Tennant schlüpft in die Figur des Schotten Dennis Nilsen. Äusserlich lassen sich die beiden nicht unterscheiden. Innerlich sei es auch schwer gewesen, sagte Tennant in einem Interview, oft sei er schreiend aus Träumen erwacht, in denen er sich mit Nilsen im gleichen Raum befunden habe. Quasi kurz vor der Einverleibung durch den andern.
Tennant liefert als Nilsen die eine von drei Perspektiven auf den Fall, die minutiöse, hoch suggestive Innensicht, die beim Zuhören ein monströses Kino im Kopf entfesselt. So oft kann man gar nicht «What?!?!» sagen, wie man es angesichts seiner Rapporte denkt. Die andern beiden Perspektiven – und damit auch unsere – kommen von Chef-Ermittler Peter Jay (Daniel Mays), einem Mann, der im Lauf des Falls regelrecht vom Glauben an den Menschen abfällt, und vom Schriftsteller Brian Masters (Jason Watkins), der von Nilsen als Biograph angestellt wird. Die beiden nehmen stellvertretend für uns immer neue Monstrositäten entgegen.
Die eigentlichen Verbrechen oder irgendwelche Leichenteile gibt es dabei – abgesehen von ein paar abstrakten Funden aus dem Wasserrohr zu Beginn – nicht zu sehen. Kein Sarg, kein Müllsack oder Zelt, gibt sein schauriges Geheimnis preis. Man sieht, wie Peter Jay den Deckel des ominösen Kochtopfs hebt, hebt, mehr nicht. Es reicht.
«Des» serviert mit vollendetem Understatement einen Overkill der Grausamkeiten. Und David Tennant wird für seine Alptraumrolle sehr, sehr viele Preise einsacken.
Was ist so toll an diesen, das wir alle ihre Namen und Geschichten kennen müssen.
Dank des Artikels weiss ich nun auch wer er war. Die Opfer kenn ich nicht. Über sie weiss ich nur, das sie "weiss", "schmal" und "schön" waren, und was er ihnen angetan hat. Aber sie waren ja auch nur Opfer und darum sekundär, reine Statisten in der Geschichte die zählt: diejenige des Täters.
Wieso können wir die Mörder nicht einfach vergessen statt sie filmisch zu feiern, oder Filme über ihre Opfer zu machen
Danke für den Tip Frau Meier 🖖🏼👍🏼