Die US-Gesundheitsbehörde probt den Befreiungsschlag. «Vollständig geimpfte Personen» dürfen die Maske ablegen. Am Dienstag vor dem Senat liess Rochelle Walensky noch nicht durchblicken, dass am Maskentragen etwas geändert werde. Am Donnerstag stellte die CDC dann die Lockerung in Aussicht. In der TV-Sendung «Meet The Press» verteidigte sie den Entscheid. Die Sache, dass Geimpfte nicht mehr infektiös seien, ist aber nicht so einfach.
Gesichert ist, dass Impfungen zuverlässig verhindern, dass Geimpfte erkranken. Aber verhindern sie auch, dass sich das Virus weiter verbreitet? Dafür muss man zuerst einmal abklären, ob die Impfungen auch asymptomatische Infektionen verhindern. Sie tun das ebenfalls, aber nicht vollständig. Die eigene CDC-Studie zeigte, dass man positiv getestet werden kann (mit einem PCR-Test), obwohl man vollständig geimpft ist. Was man bei Sars-CoV-2 schon relativ früh wusste, war eben, dass auch Angesteckte ohne Symptome das Virus weitergeben können. Und so sind wir wieder bei der 1-Million-Dollar-Frage: Wie ansteckend sind asymptomatisch Infizierte? Und wie lässt sich das messen?
Die Antwort ist schon länger umstritten. Man unterscheidet «sterilisierende Immunität» durch eine Impfung und «funktionale Immunität». Funktional sind die Impfstoffe sehr gut. Sie verhindern Krankheitsausbrüche sehr wirksam. Um herauszufinden, ob sie auch sterilisierend wirken, müsste man die Personen untersuchen, die geimpft sind, aber trotzdem einen positiven PCR-Test aufweisen. Wie kann man herausfinden, ob diese Personen weiter infektiös sind? Experimente mit Frettchen und anderen Nagern haben gezeigt, dass geimpfte Virusträger andere ungeschützte Tiere nicht mehr anstecken. Das sind Good News, aber Tiere sind nicht Menschen. Und ein ähnlich gelagertes Experiment darf man mit Menschen selbstverständlich nicht machen. Also muss man indirekt vorgehen.
Weil «Ansteckung» eine Sache der Wahrscheinlichkeit ist, kann man fragen, welche Faktoren diese Wahrscheinlichkeit erhöhen. Und da kommt die Viruslast ins Spiel. Je mehr Viren vorhanden sind in einem asymptomatisch Angesteckten, desto höher ist seine Ansteckungsfähigkeit oder Infektiosität. Nur spielen da auch noch andere Dinge hinein (die Immunsysteme reagieren sehr individuell), deshalb sind präzise Antworten schwierig.
Studien der CDC und aus Israel mit geimpften positiv Getesteten haben gezeigt, dass die Viruslast bei geimpften Angesteckten im Vergleich zu Ungeimpften bis zu viermal niedriger ist. Einen gewissen sterilisierenden Effekt haben die Impfstoffe demzufolge auch bei Menschen. Und bei einer Studie unter britischen Haushalten reduzierte sich die (vermutete) interne Ansteckungshäufigkeit, wenn sie «gemischt» waren, also Geimpfte und Ungeimpfte im gleichen Haushalt lebten, um 40 bis 60 Prozent. So dürfte eine angemessene Antwort auf die Frage: Können Geimpfte das Virus weiter verbreiten? «Vorsichtig nein» lauten. Oder anders formuliert: «Es ist sehr unwahrscheinlich.» Die Empfehlung, Maske zu tragen, kann also gelockert werden.
Bei mRNA-Impfstoffen wird der Impfstoff im Körper wieder abgebaut, wenn er seinen Zweck erfüllt hat und das Immunsystem zur Produktion von Antikörpern angeregt hat. Impfstoffe dieses Typs können aus technischen Gründen nicht 100-prozentig sterilisierend sein. Sie bekämpfen das Virus im Körper drin, verhindern also nicht, dass es in die Atemwege gelangt. Aber die Gefährlichkeit ist vergleichbar mit der Schmierinfektion. Dort hat sich gezeigt, dass das Virus in einer Umgebung, in der es sich nicht replizieren kann, nicht sehr aktiv ist. Die Schmierinfektion wurde zu Beginn der Pandemie überschätzt. Wer desinfiziert seine Hände noch mehrmals am Tag?
Mittlerweile kennen wir das Stück. Zuerst hiess es: Masken bringen nichts – wohl, weil es kaum welche hatte. Das Argument war: Das Virus ist zu klein. Es schlüpft durch alle Poren. Die Maske schützt nicht. Das ist zum Teil sicher richtig. Aber ein Virus kommt selten allein, sondern klebt und klumpt zu unappetitlichen Schleimbatzen oder Aerosolen zusammen. Und die bleiben hängen. Also nützen Masken doch.
Dann war – in Akt II – Maskentragen angesagt. Das Argument: Schützt sie auch den Träger nicht zu hundert Prozent, verhindert sie immerhin, dass er andere ansteckt, sofern er das Virus trägt. Auch dieses Argument hatte seinen richtigen Kern: Wenn alle Masken tragen, trägt sicher auch derjenige eine, der auf jeden Fall eine tragen müsste, weil er sonst ein Superspreader wäre.
Und jetzt Akt III. Der Bundesrat sagte es und Präsident Biden und die CDC doppelten nach: Wer geimpft ist, ist immun und kann sich nicht wieder anstecken. Also Maske weg. Die CDC-Chefin verteidigte ihr Umschwenken im Masken-Entscheid damit, dass die Leute jetzt individuell das Risiko abschätzen sollten – ohne Maske oder allenfalls mit. Es kann ja nur so funktionieren: Die Aufhebung der Maskenpflicht (nur) für Geimpfte ist nicht kontrollier- und deshalb auch nicht durchsetzbar. Walensky nannte es ein «honor system». Ein System, das auf die Ehrlichkeit der Beteiligten gegenüber anderen, aber auch auf Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst angewiesen ist, wenn es gut funktionieren soll. Das ist wohl so. Und wie sah das Lenin damals mit Vertrauen und Kontrolle? Hoffen wir, dass sich das Maskenproblem bald von selbst erübrigt. (aargauerzeitung.ch)
Eine Maske zu tragen ist wohl die Massnahme, die am wenigsten einschränkt von allen. Lasst die Maskenpflicht doch einfach noch die paar Monate bestehen, bis alle die Chance hatten, sich impfen zu lassen.