In der Ökonomie macht ein neuer Begriff die Runde: «Free Money». Unter dem Gratis-Geld verstehen die Volkswirte die Tatsache, dass die Zentralbanken Geld zu Nullzinsen ins Finanzsystem pumpen. Damit ermöglichen sie den Staaten, im grossen Stil aufwändige Hilfsprogramme gegen die Coronakrise zu finanzieren. Investoren können derweil gefahrlos spekulieren, denn die Notenbanker kaufen auch Schulden und Wertpapiere von Unternehmen auf.
Dieses Gratis-Geld wird auch dringend benötigt. «Der IWF sagt voraus, dass allein die reichen Länder im laufenden Jahr 17 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) borgen werden, um die 4,2 Billionen Dollar zu finanzieren, die sie für ihre Hilfsprogramme und Steuererleichterungen ausgeben», meldet der «Economist».
Das Free Money ist auch keine Eintagsfliege. Nochmals der «Economist»: «Defizite und das Gelddrucken könnten die Standard-Instrumente der Geldpolitik für Jahrzehnte werden.»
Realistisch gesehen ist das Gratis-Geld der Zentralbank die einzige Möglichkeit, eine Depression wie in den 30er-Jahren zu verhindern. Doch möglicherweise ist es bereits zu spät. Das zumindest glaubt das Ökonomen-Ehepaar Carmen und Vincent Reinhart. Die beiden haben im Magazin «Foreign Affairs» ein Essay publiziert, in dem sie vor einer globale Depression warnen.
Die Reinharts sind ein volkswirtschaftliches Power-Couple. Sie lehrt an der Harvard-University und ist für die Weltbank tätig. Er war bei der US-Notenbank und ist heute Chefökonom bei der Investmentbank BNY Mellon.
Die Pandemie habe die reale Weltwirtschaft bereits gewaltig schrumpfen lassen. Weil viele Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen können, werde dies bald auch zu einer Finanzkrise führen. «Die Situation ist so schlimm, dass man sie eine ‹Depression› nennen muss – eine pandemische Depression», so die Reinharts.
Die Makrodaten sind in der Tat gruslig. Die Weltbank prophezeit, dass das globale BIP im laufenden Jahr um 5,2 Prozent schrumpfen wird. Vereinzelte Erfolgsmeldungen – beispielsweise die Anzahl neu geschaffener Jobs – dürfen daher nicht überbewertet werden. «Ein Aufflackern der Wirtschaft sollten nicht mit einer Erholung verwechselt werden», warnen die Reinharts. «Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat es in allen schlimmen Finanzkrisen durchschnittlich acht Jahre gedauert, bis sich das BIP wieder erholt hat.»
Verschiedene Gründe sind für das aktuelle Elend der Weltwirtschaft verantwortlich. Weil rund um den Globus die Zollschranken fallen, sind die Exporte eingebrochen. Der immer heftiger werden Handelskrieg zwischen den USA und China verschärft diesen Trend noch.
Die schwächelnde Weltwirtschaft hat auch die Rohstoffpreise in den Keller rasseln lassen. Vor allem der nach wie vor wichtige Preis für Erdöl befindet sich auf einer Achterbahn. Das hat nicht nur die OPEC-Länder geschwächt. Auch die amerikanische Schieferöl-Industrie wurde hart getroffen, zudem einzelne Entwicklungsländer wie Ecuador, das vom Öl abhängig ist.
Während andere Krisen jeweils nur Teile der Welt erfasst hatten – Südamerika in den 80er, Asien in den 90er Jahren – sind von der Coronakrise alle betroffen. «Das ist zum letzten Mal während der Grossen Depression der Fall gewesen» so die Reinharts.
Rund um den Globus steigen daher die Arbeitslosenzahlen. Viele Gewerbe- und Kleinbetriebe sind geschlossen, manche für immer. Gerade die KMU sind jedoch auch in den Industrieländer für die Mehrheit der Jobs zuständig. Besonders hart hat es die Tourismus-Industrie erwischt. In der Karibik beispielsweise sind neun von zehn Arbeitsplätze im Tourismus angesiedelt, die Wirtschaft liegt am Boden.
Am meisten leiden die Ärmsten unter der Coronakrise. Die Uno hat kürzlich vor der schlimmsten Hungerkatastrophe der letzten 50 Jahre gewarnt. In der «Financial Times» schlägt daher Tony Blair alarmierende Töne an: «Es besteht ein grosses Risiko, dass sich die Todesfälle von Covid-19 mit anderen vermischen» so der ehemalige britische Premierminister. «Wirtschafts- und Ernährungskrise können sich gegenseitig hochschaukeln.»
Dank Free Money sind zumindest die reichen Industriestaaten bisher relativ ungeschoren über die Runden gekommen. Das könnte sich jedoch bald ändern. In ärmeren Ländern wie dem Libanon oder in Weissrussland gehen die Menschen bereits auf die Strasse. In den USA ist derzeit unklar, wie weit Millionen von Arbeitslosen weiterhin Unterstützung erhalten.
Die Pandemie sorgt weltweit für ein gereiztes politisches Klima. Die Reinharts kommen daher zu einem Besorgnis erregenden Fazit:
«Wenn die Wirtschaft einbricht, kommt es oft zu einer populistischen Welle. Das Misstrauen innerhalb der globalen Gemeinschaft wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zunehmen. Das wird den Niedergang des Multilateralismus beschleunigen und könnte eine Verelendungsspirale in Gang setzen, welche die wirtschaftlichen Aussichten weiter verschlechtert. Genau das ist während den beiden Weltkriegen der Fall gewesen, als Nationalismus und Beggar-thy-neighbor-Politik (seinen Nachbarn zum Bettler machen) in voller Blüte standen.»
Dies würde gewärleisten, dass das Geld gut verteilt in Umlauf kommt. Ansonsten bekommen die welche nichts haben wieder nichts und die welche schon haben wieder alles.