Kann eine Frau untenrum zu nass sein? Also beim Sex? Eine Frage beschäftigt die Welt. Denn Cardi B und Megan Thee Stallion berappen in «WAP» lauthals ihre Wet Ass Pussy, also eine derart luxuriös befeuchtete Vagina, dass man den Überfluss ihrer Lust mit dem Wischmop aufnehmen muss.
Eingangs Video fluten die Säfte der Leidenschaft gar die Treppe ihrer gemeinschaftlichen Villa. Diese, so lernen wir sofort, ist nichts anderes als ein Whorehouse, ein Bordell. Denn, so singt ein Mann namens Al «T» McLaran im Verlauf von «WAP» rund 80 Mal: «There's some whores in this house.» Es ist ein Sample aus dem keinerlei Sprechgewohnheiten hinterfragenden Club-Hit «Whores In This House» von 1993, der bereits von einigen Männern – etwa Lil Wayne – gecovert worden ist.
Und da sind sie dann, Gespielinnen von Cardi und Megan, jede in einem Zimmer für sich allein und jede wartet auf Kundschaft, aber nicht nur auf Geld, sondern auch auf sexuelle Befriedigung. Eine von ihnen ist Kylie Jenner.
Man schaut ihnen allen so zu, wie sie im meistgesehenen Musikvideo der letzten Tage vierfünftelnackte Dinge tun, und denkt sich, na ja, vielleicht ist Rap, so geschlechterstereotypisch gesehen, wirklich nicht das beste Vorbild für die Jugend?
Aber wieso finden dann so viele korrekte Frauen wie etwa die Schauspielerin und Oscarpreisträgerin Viola Davis («How to Get Away with Murder?») Video und Song so sehr den Oberhammer? Sind sie alle blind und taub? Sind sie natürlich nicht.
Es handelt sich bei «WAP» keinesfalls um ein diversitätssensibles oder musikintellektuelles Thinkpiece, Cardi B und Megan Thee Stallion sind ja nicht Beyoncé. Es ist eher ein sehr, sehr fröhliches Stück Brachialfeminismus.
Und es ist selbstverständlich auch nicht das erste Mal, dass Frauen den eigenen Sexhunger besingen. Sie tun es hier nur sehr, sehr anschaulich, «wie Shakespeare auf Pornhub», schrieb das Magazin «Vulture», und die Vergleiche von Geschlechtsteilen mit Autos, Food und Tieren sind denn auch endlos und einigermassen kreativ.
Aber vor allem geht es um diese gewisse Nässe, von der es nie zu viel geben kann. Was Gynäkologinnen und Gynäkologen auf Twitter nun bestätigen. Die Frauenärztin Jennifer Gunter etwa empfiehlt «WAP» als «beschleunigte Paartherapie»: «Ich sehe so viele Frauen, deren Partner mansplainten, sie seien zu nass. Das ist medizinisch nicht korrekt, ärgerlich, herzzerreissend und schädlich», schreibt sie, «danke, Cardi B und Megan Thee Stallion für diese Feier der Vagina! Ich wünschte, ich könnte diese ‹WAP›-Rezepte verschreiben.»
I see so many women who have been mansplained by their partner that they are too wet. It’s medically incorrect, infuriating, heartbreaking, and harmful. Thank you @iamcardib and @theestallion for that vagina celebration! Wish I could hand out these #WAP prescriptions. pic.twitter.com/LW38IseRKu
— Jennifer Gunter (@DrJenGunter) August 10, 2020
Natürlich kann es den beiden nicht einfach um besonders befriedigenden Sex gehen. Es muss schon noch mehr sein. Dieser klarflüssige Extraspritzer, das «Squirting», die «weibliche Ejakulation», der «Freudenfluss», quasi das, was sich über die Stufen der Villa ergiesst und das ausserhalb von Pornofilmen kaum als alltäglich beschrieben werden dürfte.
Und wie kriegt mann dies nun zustande? Nun, mit dem Zusammenspiel seiner standhaften «Königskobra» und seines Kontostandes natürlich. Nur Sex ohne viel Geld bringt den Damen ... wahrscheinlich nichts. Das wäre ja romantisch. Aber Romantik hat in «WAP» wahrlich nichts zu suchen. Da herrscht auf allen Leveln die krasseste Leistungsgesellschaft, da wird der Mann finanziell und sexuell geritten und gemolken und ausgenommen, und wehe, er wird dabei weich.
Als Haustiere halten sich die lüsternen Ladies selbstverständlich biblische Schlangen und reissende Raubkatzen, stellvertretend für die Gefahr und das Karnivore, das von ihrem nimmersatten Geschlecht (und ihren Fingernägelkrallen) ausgeht. Schliesslich ist so eine WAP die Steigerung einer mythischen Vagina Dentata, einer Kastrationsangst schürenden, bezahnten Vagina, wie Sigmund Freud sie berühmt gemacht hatte.
Kritik erntete «WAP», diese laute, lustige, unflätige Lektion in «Pleasure Politics» und «Sex Positivity», nicht nur von konservativer Seite, von Menschen, die sich ihre Ohren mit Weihwasser ausspülen wollten und an der körperlichen Gesundheit allzu feuchter Frauen zweifelten.
Auch Carole Baskin aus der Netflix-Serie «Tiger King» schaltete sich ein und kritisierte den Einsatz der Raubkatzen. Es werde suggeriert, dass sich Reiche derartige Riesenbüsis als Haustiere hielten und dass dies erstrebenswert sei, sagte sie. Andere verurteilten den Auftritt von Kylie Jenner in einem «schwarzen» Video, was eh nicht stimmt, weil neben Jenner auch die Spanierin Rosalía mit dabei ist.
Who did this? 😩😭😍 pic.twitter.com/sbgX2KWITc
— Viola Davis (@violadavis) August 10, 2020
Und was ist nun die Moral von der Geschichte? Keine. Wirklich keine. Aber allen, die sich fragen, ob dieses populär- bis vulgärfeministische Ejakulat nicht exakt das Gleiche sei wie irgendeine sexistische Nummer eines männlichen Rappers, sei die Frage gestellt: Würde ein Mann seine Sexfantasie in einem Video genau so ohne Frauen ausleben, wie Cardi B und Megan Thee Stallion in «WAP»?
Würde er nicht. Er würde die Frauen zeigen. In «WAP» bleiben die herbeigeträumten Leistungshengste reine Fantasie. Und das ist doch am Ende sehr wohlerzogen von den beiden dreisten Damen.