Kocher gewann ihre ersten drei Kämpfe in der Gewichtsklasse bis 52 kg gegen starke Gegnerinnen und verdiente sich so zwei Chancen auf die erste Olympiamedaille einer Schweizer Judoka. Neben den Nummern 1 bis 3 war die 28-jährige Zürcher Oberländerin als Nummer 15 der Überraschungsgast in den Halbfinals. Sie konnte dann aber weder diesen Halbfinal noch den Kampf um Platz 3 gewinnen.
Gegen die Britin Chelsie Giles, die sie auf dem Weg zu WM-Bronze vor sieben Wochen noch bezwungen hatte, lieferte sich die WM-Dritte ein hartes Duell um Olympia-Bronze. Sie geriet aber mit einer kleinen Wertung (Waza-Ari) ins Hintertreffen und musste danach etwas riskieren. So kam die Britin noch zur Ippon-Wertung und zur Medaille, die für Kocher schon so nahe schien. Giles sei besser gewesen wie die Schweizerin sagte: «Ich konnte zu keinem Wurf ansetzen, und im Halbfinal ging es ja sehr schnell.»
Nach der Niederlage flossen bereits auf der Matte ein paar Tränen. Die Schweizerin bestätigte: «Die Enttäuschung überwiegt jetzt ganz klar und sie wird noch einige Tage anhalten.» Der Halbfinal gegen die topgesetzte Französin Amandine Buchard war bereits nach 16 Sekunden zu Ende gewesen.
Kocher erlebte in der legendären Kampfsport-Halle Nippon Budokan einen ereignisreichen Tag. Zum einen kämpfte sie sich durch ein hochklassiges Tableauviertel in den Halbfinal. Die schon vor einiger Zeit in die Nähe des nationalen Leistungszentrums in Brugg gezogene Ustermerin schaltete in der Startrunde die WM-Zweite Ana Perez Box aus, der sie im WM-Halbfinal unterlegen war. Im Viertelfinal gewann sie mit der höchsten Wertung Ippon gegen die Ungarin Reka Pupp, die zuvor überraschend die Kosovarin Majlinda Kelmendi, die Olympiasiegerin von Rio 2016, aus dem Wettkampf geworfen hatte.
Zusätzlich wurde ihr Judogi (Judo-Jacke) beanstandet, so dass sie mit einem Ersatz ohne die Aufschrift «SUI» antreten musste. Und gemäss Reglement durfte Coach Aleksei Budolin deshalb nicht an der Matte coachen, sondern nur von der Tribüne. «Das war aber nicht zwingend ein Nachteil», stellte Kocher fest. «So konnte er immer rufen und nicht nur bei Unterbrüchen.»
Am Ende wurde es dann aber der undankbare 5. Platz (im Judo gibt's zwei Bronzemedaillen). Vor Kocher hatte noch nie eine Schweizerin ein Diplom geholt. Judo ist für die Frauen seit 1992 olympisch, im Mutterland Japan geniesst es eine sehr hohe Beachtung. Den Final gewann denn auch die erst 21-jährige, aber schon zweifache Weltmeisterin Uta Abe aus Japan gegen die Europameisterin Buchard in der Verlängerung (Golden Score). Wenig später doppelte ihr älterer Bruder Hifumi Abe bei den Männern nach.
Trotz der grossen Enttäuschung konnte Fabian Kocher dem gemessen an der Leistung sehr guten Tag auch positive Aspekte abringen: «Ich habe gezeigt, dass meine WM-Bronze kein Zufall war.» Dabei huscht ihr sogar ein Lächeln übers Gesicht. «Das gibt mir sicher Selbstvertrauen für die nächsten Kämpfe.» (nih/sda)