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Was ich wirklich denke

Schweizer Sexarbeiterin erzählt, wie sie im Sexgewerbe tätig wurde

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Bild: Shutterstock
Was ich wirklich denke

Sexarbeiterin: «Als ich mit 2000 Franken nachhause ging, hatten sie mich an der Angel»

25.07.2021, 20:4727.07.2021, 14:04
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  • Leticia ist selbständige Sexarbeitende.
  • Sie lebt im Kanton Zürich und hat eine kleine Tochter.
  • Sie verdient ihr Geld in sogenannten Seitensprungzimmern, in welchen sie tageweise arbeitet.
  • Sie erzählt, wie sie in das Sexgewerbe hineingekommen ist und welche Folgen die Pandemie für sie hatte.

Ich war 17, als ich das erste Mal angeschafft habe. Damals war ich in der Lehre und wir hatten ab und zu Sexarbeitende bei uns im Salon als Kundinnen. Mit dem Sexgewerbe kannte ich mich überhaupt nicht aus. Die Frauen haben mich dann immer wieder darauf angesprochen, gesagt, ich sei so hübsch und gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mir das einmal anzuschauen. Ich habe mir lange gedacht: «Spinnt’s euch eigentlich?», und habe mich geweigert.

Dann bin ich trotzdem mal in einem der Bordelle vorbeigegangen. Von zwei bis sechs Uhr habe ich an diesem Nachmittag gearbeitet. Damals hat eine Stunde noch um die 500 Franken gekostet. Als ich dann abends mit meinen 2000 Franken nach Hause ging, wusste ich, die haben mich an der Angel. Wenn du in vier Stunden mehr verdienst als in deinem normalen Job in einem Monat, was willst du machen? Na ja, und jetzt komme ich da irgendwie nicht mehr raus, das ist wie eine Sucht.

Als ich dann abends mit meinen 2000 Franken nach Hause ging, wusste ich, die haben mich an der Angel.
Leticia

Jetzt arbeite ich nur noch in Seitensprungzimmern. Meine Kunden kenne ich von früher. Damals habe ich immer wieder Inserate gemacht. In der Zeitung, im Internet. Da haben sich viele gemeldet. Und die, die einmal gekommen sind, sind dann geblieben. Jetzt bediene ich eigentlich immer die gleichen Männer. Einige sind bereits seit zwanzig Jahren bei mir und kommen durchschnittlich alle fünf Wochen vorbei. Ich kann mir vorstellen, dass sie ab und zu noch zu anderen Frauen gehen. Aber das ist mir eigentlich egal. Ich bediene ja mehrere Kunden.

Was ist «Was ich wirklich denke»?
Wir gestehen: Bei der Idee für «Was ich wirklich denke» haben wir uns schamlos beim Guardian-Blog «What I'm really thinking» bedient. Wir mussten fast, denn die Idee dahinter passt wie die Faust aufs Auge auf unseren alten Claim «news unfucked». Es geht darum, Menschen, Experten, Betroffene anonym zu einem Thema zu Wort kommen zu lassen, ohne dass diese dabei Repressalien befürchten müssen. Roh und ungefiltert. Und wenn du dich selber als Betroffener zu einem bestimmten Thema äussern willst, dann melde dich bitte unter wasichdenke@watson.ch.

Im letzten Jahr konnte ich kaum arbeiten. Zu Beginn habe ich das irgendwie auch gar nicht so mitbekommen, dass es verboten ist. Ich arbeite nicht in einem Bordell, da habe ich mir gedacht, ist ja privat, was ich mache, also darf ich. Und die Massnahmen haben ja auch ständig geändert. Einmal im Dezember ist die Polizei mit dem Kastenwagen aufgetaucht, hat mein Zimmer gestürmt und ich musste mit auf den Posten. Ich habe echt erst im Nachhinein realisiert, dass es wieder verboten ist. Irgendwann muss ich deswegen auch noch vor Gericht.

Das Sexgewerbe hat sich schon sehr verändert, seit ich angefangen habe.
Leticia

Das Coronajahr war eine Herausforderung für mich. Ich habe ein bisschen Geld von der Sozialversicherung bekommen. Da kriegt man maximal irgendwie so 195 Franken pro Tag. Eine Zeit lang habe ich davon nur 100 bekommen. Keine Ahnung, wie die das genau berechnen, aber das ist doch lächerlich. Ich habe eine Wohnung zu zahlen, eine Tochter zu ernähren. Wie soll das bitte gehen mit dem Betrag?

Ich habe von einer Kollegin gehört, dass sie seit Dezember kein Geld mehr bekommen hat. Stellt euch das vor, das geht doch nicht. Wenn ich nichts gespart hätte, meine Güte, das wäre nicht gut rausgekommen. Irgendwie fand ich das mit Corona auch eine schöne Veränderung. Nicht auf finanzieller Ebene, aber die Menschen hatten wieder mehr Zeit für sich selbst. Sonst sind alle immer im Stress, von einem Ding zum anderen. Ich habe das sehr genossen, zu Hause zu bleiben und mehr Zeit für meine Tochter zu haben. Geld macht es mir vielleicht einfacher, zu leben. Aber erfüllend ist es für mich nicht. Geld ist nicht alles.

Das Sexgewerbe hat sich schon sehr verändert, seit ich angefangen habe. Früher war zum Beispiel Sex ohne Gummi noch kein Thema. Einmal kam ein junger, gutaussehender Typ zu mir, legte mir 800 Franken auf den Tisch und sagte: Dafür machen wir es ohne Gummi. Da habe ich ihm gesagt, er könne sein Geld nehmen und gleich wieder zur Tür raus. Ich finde das so eklig, das mache ich nicht.

Seit die EU aufgegangen ist, sind halt auch viele Frauen aus Osteuropa hier. Sie verlangen so 100 Franken die Stunde und machen dafür auch viel mehr. Auch ohne Gummi und so. Die haben den Markt völlig kaputt gemacht. Da kann ich nicht mit den gleichen Preisen wie vor 20 Jahren auffahren.

Ich würde nicht sagen, dass mir meine Arbeit Spass macht. Phasenweise habe ich das Gefühl, scheisse, ich habe echt keinen Bock darauf. Da stehe ich morgens auf und denke mir, ich mach das nicht mehr. Dann kommt plötzlich wieder dieses Gefühl, dass es so einfaches Geld ist. Eine richtige Sucht. Und mich muss das Ganze ja sexuell nicht erfüllen. Wenn ich eine gute Zeit habe, super, aber ganz ehrlich: Am Ende muss einfach die Kasse stimmen.

Wenn mich jemand fragt, wie ich Geld verdiene, erzähle ich immer die gleiche Story, dass ich irgendwo in der Kommunikationsabteilung arbeite. Ich habe keine Lust darauf, irgendjemandem irgendetwas erklären zu müssen. Meine engsten Freundinnen und meine Oma sind die einzigen, die wirklich Bescheid wissen. Mit dem Rest der Familie rede ich nie offiziell darüber. Die glauben, dass ich nur so Domina-Zeugs mache, ohne den Geschlechtsverkehr.

Meine Tochter ist noch zu jung, um zu verstehen, was ich mache.
Leticia

Meine Tochter ist noch zu jung, um zu verstehen, was ich mache. Ich mache mir immer wieder Gedanken darüber, wann ich ihr erzählen soll, wie ich Geld verdiene. Sie fragt mich auch jetzt schon, was ich mache. Dann sage ich ihr, ich arbeite in einem Büro. Aber es ist nicht so toll, wenn du deiner eigenen Tochter nicht die Wahrheit sagen kannst. Ich denke, wenn sie älter ist und im Vertrauen damit umgehen kann, werde ich ihr das sagen.

Jetzt würde sie es noch nicht verstehen und erzählt es vielleicht einer Kollegin weiter, dann macht das die Runde: «Ah, das ist so Eine. Mit solchen Menschen darfst du nichts zu tun haben.» Ihr wisst ja, wie die Leute reden. Aber irgendwann bin ich zu alt für das alles und die Kunden gehen mir aus. Dann habe ich wieder ein Problem und kann an eine Migroskasse arbeiten gehen. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Aufgezeichnet von Alina und Sophie
Alina Kilongan und Sophie Ambühl studieren Kommunikation mit der Vertiefung Journalismus an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Werkstatt «Multimediales Storytelling». Für die ganze interaktive Arbeit über Sexarbeit während der Coronakrise geht's hier lang.
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85 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MrBlack
25.07.2021 21:12registriert September 2016
Irgendwie fehlt mir in diesem Text eine Kernaussage oder eine Message. Es gibt einige interessante Ansatzpunkte, aber keiner wird wirklich vertieft.

Ausserdem denke ich, dass die Arbeit an der Migros Kasse sicherlich auch interessant sein kann. Die Entlohnung sollte wenn möglich noch gesteigert werden.
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Christian Weston Chandler
25.07.2021 22:19registriert Dezember 2019
Und was soll ich jetzt daraus lernen? Das die Person sehr kurzfristig denkt, Geld extrem wichtig findet und nicht weiss, was sie in 10 / 20 Jahren macht? Wer ist der Vater des Kindes? War dieser mit ihr in einer Beziehung während sie gearbeitet hat? Was hat sie während und nach der Schwangerschaft gemacht? Was denkt diese Person jetzt wirklich über ihre Kundschaft? Fände sie es ok, wenn die Tochter den selben Weg geht? Dieser Text wirft mehr Fragen auf als Antworten.
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Ökonometriker
25.07.2021 21:43registriert Januar 2017
Heute kriegt man auch nicht mehr ohne Weiteres eine Arbeit an der Migros-Kasse. Ein Supermarkt ist ein komplexes logistisches System, die Detailhandelsleute müssen heute auch etwas drauf haben.
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