Über «obrigkeitsstaatliche Bevormundung» schimpfte Alice Weidel in ihrer Rede am Donnerstag im Bundestag. Sie geisselte in gepfefferten Voten die Coronamassnahmen, welche am Abend zuvor von Kanzlerin Angela Merkel in einer Konferenz mit den 16 Länderchefs festgezurrt worden sind.
Die Co-Fraktionschefin der AfD trat just nach der Ansprache der Kanzlerin ans Rednerpult. Als Vertreterin der grössten Oppositionspartei im Parlament hat die Alternative für Deutschland das Privileg der ersten Widerrede nach Ansprachen der Regierungschefin. «Begreifen Sie wirklich nicht, wie herablassend und verletzend es auf erwachsene, mündige Bürger wirkt», schimpfte Weidel an die Adresse Merkels, «wenn der Staat Gouvernante spielt und sich anmasst, gnädig zuzuteilen, was an Festtagen noch erlaubt sein soll?»
Applaus gab es für die 41-Jährige ausschliesslich aus den Reihen der AfD. Freilich, auch die FDP kritisiert Teile der Massnahmen, die Linkspartei ebenfalls. Doch keine Partei stellt sich der Coronastrategie so dezidiert entgegen wie die AfD. «Die Kollateralschäden Ihrer Politik sind jetzt schon grösser als die Schäden, die das Virus anrichtet», polterte Weidel.
Dennoch gelingt es der Partei nicht, mit ihrem Anti-Kurs bei jenem Teil der Bevölkerung zu punkten, dem die Massnahmen zu weit gehen. Die Partei hat es sich zu grossen Teilen selbst zuzuschreiben, dass sie ihre Ausgangslage im Parlament nicht besser nutzen konnte. Vor einem Jahr lag sie in Umfragen komfortabel im zweistelligen Bereich, nun ist sie weniger als ein Jahr vor den nächsten Bundestagswahlen unter die 10-Prozent-Marke gerutscht.
Die Pandemie spielt der Exekutive in die Karten. Aber der Regierungs-Bonus alleine ist nicht der Grund für das Schwächeln der AfD. So beschädigt sich die Partei mit Richtungs-Kämpfen selbst. Im Frühjahr löste die AfD den vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Flügel um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke auf. Doch die Auflösung einer nicht klar umrissenen parteiinternen Gruppierung verhilft nicht zu einem bürgerlichen Antlitz, solange die «Flügel»-Exponenten weiterhin in der Partei mitreden und bisweilen das Sagen haben.
Abschreckend auf bürgerliche Wähler wirkt nicht zuletzt die Nähe einiger Exponenten der Partei zu extremen Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung. Die seit Frühjahr regelmässig stattfindenden Coronademos werden zunehmend von Extremisten unterwandert – doch bei den Demonstrationen lassen sich immer wieder Abgeordnete der AfD auch in unmittelbarer Nähe von Extremisten blicken.
Dass AfD-Bundestagsabgeordnete letzte Woche rechten Störern Zugang zum Bundestag gewährt hatten, wo diese mehrere Abgeordnete und Wirtschaftsminister Peter Altmaier bedrängt hatten, wird in Deutschland als Tabu-Bruch gewertet.
An diesem Samstag trifft sich die AfD mit über 500 Delegierten in einem Freizeitpark in Nordrhein-Westfalen zu ihrem Parteitag. Das Bundesland hat in Coronazeiten eine Ausnahme für den Grossanlass erteilt. Die Parteimitglieder müssen allerdings Mund und Nase mit einer Maske bedecken. Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat einen Antrag der AfD gegen die Maskenpflicht verworfen. (aargauerzeitung.ch)